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14.04.07 / Eine neue Spezies / 1946 veröffentlichte Warnung vor Amerikanisierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Eine neue Spezies
1946 veröffentlichte Warnung vor Amerikanisierung

Wären die analytische Kraft und geistig-politische Unabhängigkeit der Maßstab, dann hätte der Journalistin Margret Boveri (1900-1975) der Rang gebührt, den über Jahrzehnte Marion Gräfin Dönhoff einnahm. Boveri war die Tochter eines Deutschen und einer Amerikanerin, schrieb eine Dissertation über die englische Außenpolitik am Vorabend des Ersten Weltkriegs, arbeitete beim "Berliner Tageblatt" und der "Frankfurter Zeitung", wurde - ein Novum - sogar Auslandskorrespondentin und berichtete 1940/41 aus den USA. Von Anfang an war sie davon überzeugt, daß die US-Regierung unter Roosevelt auf die militärische Konfrontation mit Deutschland zusteuerte. Zum Erstaunen der US-Behörden ersuchte sie nicht um die amerikanische Staatsbürgerschaft, sondern bestand nach dem Kriegsausbruch auf ihrer Rückkehr nach Deutschland. Nach dem Krieg gehörte sie weiterhin zur Creme des deutschen Journalismus, ohne allerdings in Zeitungsredaktionen einzutreten. Die Gegnerin von Adenauers Politik der Westintegration wollte sich ihre publizistische Freiheit bewahren. Sie starb 1975 in Berlin.

1946 veröffentlichte sie die "Amerikafibel für erwachsene Deutsche - Ein Versuch, Unverstandenes zu erklären", die jetzt vom neugegründeten Landtverlag in Berlin wieder aufgelegt wurde. Die Amerikaner, erklärte Boveri ihren Landsleuten, seien keine entfernten europäischen Verwandten, sondern eine neue Spezies. Die Schroffheit, mit der sie "die Deutschen" 1945 mit ihrer "Schuld" konfrontierten, sei aus ihrem Selbstverständnis heraus die natürlichste Sache der Welt. Denn die USA hätten sich als eine Einwanderernation konstituiert, wo der Exilant, "der Pilgrim", den Gründungsmythos personifiziert habe. Aus dieser Perspektive sei der Verbleib in "Hitler-Deutschland" etwas Unamerikanisches und damit Schlechtes.

Die rigorose Moral habe noch eine weitere Wurzel im Ursprungsmythos des Landes. In Europa habe von alters her ein Gitterwerk von Ver- und Geboten, von Gesetzen, formellen und informellen Regeln existiert, die man verinnerlicht hatte und befolgte, ohne viel darüber nachzudenken. In den USA aber, in der unorganisierten Weite des Kontinents, habe der einzelne, um selber nicht zügellos zu werden, sich seiner Moral immer wieder selbstverantwortlich zu vergewissern. 1945 mußten laut Boveri die Deutschen, die der Pervertierung des Regelwerks scheinbar oder tatsächlich keinen Widerstand geleistet hatten, den Amerikanern daher fast durchweg als verderbt erscheinen.

Den wichtigsten Unterschied zwischen Deutschen und Amerikanern sah Boveri in ihrem Verhältnis zu den Dingen. Der Deutsche, erläuterte sie unter Bezug auf Spengler und Rilke, sei stets bestrebt gewesen, sie "in eine persönliche Welt (zu) verwandeln", während nun aus Amerika "leere gleichgültige Dinge ..., Schein-Dinge, Lebens-Attrappen" herandrängten. Boveri hoffte auf die Beharrungskraft eines deutsch-europäischen Kulturbegriffs und auf "die Regenerationskraft der werttragenden Dinge", auch wenn die Deutschen "an Stelle des einst gehabten Hauses nur noch ein Bündel mit Schnüren auf dem Rücken tragen". Diese Prognose Margret Boveris hat sich als falsch erwiesen. Deutschland ist heute in seiner Anmutung das am meisten amerikanisierte Land Europas. Um so genauer bezeichnet die Fehlprognose den eingetretenen Verlust. Dieser löst immer wieder Phantomschmerzen und heftige Reaktionen aus. Weil die Gründe dafür unbewußt bleiben, werden sie fälschlich als Antiamerikanismus gedeutet. Boveris "Amerikafibel" kann uns helfen, Klarheit darüber zu gewinnen. Thorsten Hinz

Margret Boveri: "Amerikafibel für erwachsene Deutsche - Ein Versuch, Unverstandenes zu erklären", Landtverlaga, Berlin 2006, geb., 251 Seiten, 24,90 Euro, Best.-Nr. 6130


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