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14.04.07 / Streit um Treitschkestraße / Warum die Linke partout die Seitenstraße in Berlin umbenennen möchte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-07 vom 14. April 2007

Streit um Treitschkestraße
Warum die Linke partout die Seitenstraße in Berlin umbenennen möchte
von Manuel Ruoff

Der Streit, ob die Treitschkestraße im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf umbenannt werden soll, hat neue Aktualität gewonnen. Schon vor knapp einem halben Jahrzehnt hatten zahlreiche Prominente wie Wolfgang Benz, Iris Berben, Hildegard Hamm-Brücher, Reinhard Höppner, Hanna-Renate Laurien, Hans Koschnick, Henning Scherf, Rita Süssmuth, Konrad Weiß und Antje Vollmer sowie Institutionen wie die Evangelische Akademie zu Berlin, die Evangelische Kirchengemeinde Dahlem und die Evangelische Patmos-Gemeinde in Berlin-Steglitz den 100. Geburtstag des Bischofs Kurt Scharf am 21. Oktober 2002 zum Anlaß genommen, um in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister, die Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses von Berlin sowie an das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung von Steglitz-Zehlendorf eine Umbenennung der Treitschkestraße in Kurt-Scharf-Straße zu fordern. Einen neuen Anlauf unternimmt nun die SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung. Ihr neues Argument: Der niederländische Investor Multi Development plane die Straße auf einer Länge von ungefähr 150 Metern in die Einkaufsgalerie "Boulevard Berlin" als Flaniermeile zu integrieren, und es müsse verhindert werden, daß das neue Einkaufszentrum als voraussichtlich großer Anziehungspunkt mit dem Namen Treitschke in Verbindung gebracht werde, da dieses nicht nur dem Zentrum, sondern auch dem Ansehen des Bezirks schade.

Die Befürworter einer Umbenennung der Treitschkestraße und Kritiker Heinrich von Treitschkes (1834-1896) werfen dem Geschichtsprofessor vor allem dessen Aufsatz "Unsere Aussichten" mit den gerne zitierten Worten "Die Juden sind unser Unglück!" vor. Dabei wäre es abwegig, Treitschke antisemitische Äußerungen im Stile der Nationalsozialisten vorzuwerfen. Das tun auch seine Gegner nicht. Vielmehr machen sie ihm implizit gerade das Fehlen der nationalsozialistischen Radikalität zum Vorwurf, halten sie ihm doch vor, daß der Antisemitismus in seinem Land erst durch ihn gesellschaftsfähig geworden sei.

Fakt ist, daß Treitschke im Gegensatz zu den Nationalsozialisten der sogenannten Judenfrage keine Priorität eingeräumt hat - die hatte für ihn die deutsche Frage. Dem Patrioten war die deutsche Einheit höchstes Ziel. Preußen hatte unter seinem Ministerpräsidenten Otto Fürst von Bismarck den Deutschen einen Nationalstaat geschenkt, worauf der gebürtige Sachse mit Dankbarkeit und Loyalität gegenüber Preußen und Bismarck reagierte, was ihn für sich genommen schon in den Augen vieler Linker suspekt macht. Nach der Errichtung der äußeren Hülle, des gemeinsamen Staates, war es Treitschke ein Anliegen, die innere Einheit zu vollenden, ein möglichst homogenes Staatsvolk zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund sorgte ihn die Vorstellung, daß sich die jüdische Minderheit nicht in die christlich geprägte Gesellschaft integrieren, ihr Nationalgefühl eher jüdisch denn deutsch sein könnte. Bestätigt fühlte sich Treitschke in seiner Sorge durch Juden wie Heinrich Graetz, dem selbst der des Antisemitismus unverdächtige Historiker Max Lehmann vorwarf, daß sein "jüdisches Nationalgefühl sehr viel stärker ausgeprägt sei, als sein deutsches". Als Graetz im elften Band seiner "Geschichte der Juden" die Größe deutscher Dichter und Denker daran festmachte, inwieweit sie jüdischen Interessen gedient hatten, nahm Treitschke das zum Anlaß, sich 1879 in den von ihm herausgegebenen "Preußischen Jahrbüchern" in dem Aufsatz "Unsere Aussichten" unter anderem auch den Juden zuzuwenden - ohne ahnen zu können, daß es sechseinhalb Jahrzehnte später zu einer Judenvernichtung kommen würde, nach der alle Äußerungen über Juden mit einer Sensibilität betrachtet werden wie bei keiner anderen Gruppe der Bevölkerung.

Ganz im Sinne einer Stärkung des Gefühls der Verbundenheit zwischen Christen und Juden und der Integration der Juden in die bundesdeutsche Gesellschaft sprechen wir heute von Deutschen christlichen und jüdischen Glaubens. Treitschke hingegen differenzierte zwischen dem christlichen Volk der Deutschen und den Juden. Das schon als antisemitisch zu bezeichnen wäre abwegig, denn es gibt genügend Juden, die sich selber als Angehörige eines auserwählten Volkes, des jüdischen, sehen. Behalten wir im Hinterkopf, daß Treitschke zwischen Deutschen und Juden differenzierte, erinnert seine Argumentation in mancher Beziehung an die aktuelle Integrationsdiskussion.

So etwas wie "Multikulti" lehnte Treitschke ab. Er wendet sich dagegen, "daß auf die Jahrtausende germanischer Gesittung ein Zeitalter deutsch-jüdischer Mischcultur folge". Etwas weiter in "Unsere Aussichten" klagt er, "wir haben erlebt, daß die Beseitigung christlicher Bilder, ja die Einführung der Sabbathfeier in gemischten Schulen verlangt wurde". Wer fühlte sich da nicht an den Kruzifixstreit in Bayern erinnert?

Von den Juden verlangt Treitschke, daß sie, "die so viel von Toleranz reden, wirklich tolerant werden und einige Pietät zeigen gegen den Glauben, die Sitten und Gefühle des deutschen Volks, das alte Unbill längst gesühnt und ihnen die Rechte des Menschen und des Bürgers geschenkt hat". Nach dem Ende der Multikultiträume wird diese Forderung zunehmend von desillusionierten Christen gegenüber den Moslems im interreligiösen Dialog gefordert.

Bei den Juden sieht Treitschke genauso wie der ehemalige rot-grüne Bundesinnenminister Otto Schily bei den Ausländern die Lösung in der Assimilation, und damit nicht wie die Nationalsozialisten in der Ausweisung oder gar Vernichtung.

Ebenso selbstkritisch wie modern macht Treitschke Probleme bei der Integration am Fehlen einer ausgebildeten deutschen Leitkultur fest. Den Begriff der "deutschen Leitkultur" gab es damals noch nicht, weshalb Treitschke es in "Unsere Aussichten" 1879 wie folgt formulierte: "Was die Juden in Frankreich und England zu einem unschädlichen und vielfach wohlthätigen Elemente der bürgerlichen Gesellschaft gemacht hat, das ist im Grunde doch die Energie des Nationalstolzes und die festgewurzelte nationale Sitte dieser beiden alten Culturvölker. Unsere Gesittung ist jung; uns fehlt noch in unserem ganzen Sein der nationale Stil, der instinctive Stolz, die durchgebildete Eigenart, darum waren wir so lange wehrlos gegen fremdes Wesen."

Auch die sich zunehmend durchsetzende Erkenntnis, daß der Erfolg von Integration von der Zahl der Fremden und dem Kulturkreis, aus dem sie kommen, abhängt, findet sich bereits bei Treitschke: "Wenn Engländer und Franzosen mit einiger Geringschätzung von dem Vorurtheil der Deutschen gegen die Juden reden, so müssen wir antworten: Ihr kennt uns nicht; Ihr lebt in glücklicheren Verhältnissen, welche das Auskommen solcher ,Vorurtheile' unmöglich machen. Die Zahl der Juden in Westeuropa ist so gering, daß sie einen fühlbaren Einfluß auf die nationale Gesittung nicht ausüben können; über unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dies fremde Volksthum mit dem unseren verschmelzen können. Die Israeliten des Westens und des Südens gehören zumeist dem spanischen Judenstamme an, der auf eine vergleichsweise stolze Geschichte zurückblickt und sich der abendländischen Weise immer ziemlich leicht eingefügt hat; sie sind in der That in ihrer großen Mehrzahl gute Franzosen, Engländer, Italiener geworden - soweit sich dies billigerweise erwarten läßt von einem Volke mit so reinem Blute und so ausgesprochener Eigenthümlichkeit. Wir Deutschen aber haben mit jenem polnischen Judenstamme zu thun, dem die Narben vielhundertjähriger Tyrannei sehr tief eingeprägt sind; er steht erfahrungsgemäß dem europäischen und namentlich dem germanischen Wesen ungleich fremder gegenüber."

Nun hält man Treitschke gerne seine Kritik an den "hosenverkaufenden Jünglingen" vor, doch unterscheidet sich sein Denken wesentlich von jenem der Nationalsozialisten. Für letztere waren die Juden als solche ein Problem - vollkommen losgelöst von Menge und Herkunft. Wie viele Antisemiten kritisierte auch Treitschke das Übergewicht von Juden an Schaltstellen der Macht. Daraus allerdings den Vorwurf der Judenfeindlichkeit abzuleiten steht einem Staat und einer Gesellschaft nicht gut an, die ein vergleichbares Übergewicht von Männern mit Scharen von gut bezahlten Frauenbeauftragten und anderen Frauenrechtlerinnen bekämpfen.

Bleibt zum Abschluß das gerne zitierte Wort: "Die Juden sind unser Unglück!" Redlicherweise sollte man dabei nicht unterschlagen, daß es sich hierbei nicht um eine Meinungsäußerung Treitschkes handelt, sondern um eine Meinungswiedergabe. Der gesamte Satz lautet nämlich: "Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!" Nun mag man der Ansicht sein, daß Treitschke sich zu diesen Männern gezählt hat, doch das ist Spekulation.

Foto: Professor Heinrich von Treitschke: Ein einflußreicher Multiplikator seiner Zeit


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