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21.04.07 / Die eigene Geschichte festhalten / Senioren schreiben ihre Erinnerungen auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-07 vom 21. April 2007

Die eigene Geschichte festhalten
Senioren schreiben ihre Erinnerungen auf
von Anja Schäfers

Angefangen hat alles am Eßtisch der ältesten Tochter von Werburg Doerr. Immer wieder wollten die Enkelkinder Geschichten aus der Kindheit der heute 75jährigen hören. Szenen wie diese gibt es in vielen Familien, doch selten entsteht daraus mehr. Die Familie Doerr kann dagegen mittlerweile die Erinnerungen der Großmutter an die Jahre 1932 bis 1945 unter dem Titel "Flieg, Maikäfer, flieg" nachlesen.

Wie kam es zu dieser Veröffentlichung? "Irgendwann fragte meine Tochter, ob sie die Erzählungen mit einem Mikrofon aufnehmen dürfe", sagt Doerr. Doch das war nicht ihre Stärke. Da sie schon viele Texte und Gedichte verfaßt hatte, wollte sie ihre Erinnerungen lieber aufschreiben. "Dadurch können meine Kinder und Enkel etwas über ihre Herkunft erfahren und sich selbst in ihren Anlagen wiedererkennen und besser verstehen lernen", erläutert die Autorin.

Wer seine Lebensgeschichte aufschreiben will, braucht Durchhaltevermögen und eine starke Motivation. "Viele ältere Menschen möchten ihre Erlebnisse für die Nachwelt festhalten", sagt Karin Wimmer-Billeter vom Münchner Bildungswerk. Die Sozialpädagogin gibt Seminare zur Dokumentation von Lebenserinnerungen.

Durch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte läßt sich das Leben aufarbeiten. "Dabei entdeckt man häufig Sachen, die einem vorher nicht bewußt waren", berichtet Wimmer-Billeter. Dies gelte für private Zusammenhänge ebenso wie für zeitgeschichtliche Ereignisse. Manche Menschen finden auch Träume oder Wünsche, die sie früher nicht verwirklicht haben und im Alter nachholen können.

"Wenn ich weiß, warum und für wen ich schreibe, kann ich mir Gedanken über die Form meiner Geschichte machen", sagt die Sozialpädagogin. Einem rückblickenden Tagebuch zum Beispiel dürfe man jeden Gedanken anvertrauen, auch ungeordnet und in Sütterlinschrift.

Man sollte aber nicht erwarten, daß andere Menschen damit etwas anfangen können. "Viele ältere Menschen gestalten Erinnerungsbücher mit dem Computer", berichtet Wimmer-Billeter. Dadurch lassen sich Texte so aufbauen, daß sie angenehm zu lesen sind, und auch Fotos können integriert werden. Einige Senioren nehmen aber auch Erzählungen von sich auf, damit andere ihre Stimme hören können. Selbst ein kleiner Film ist heute technisch möglich. "Es wirkt häufig lähmend, wenn man gleich sein ganzes Leben festhalten will", sagt die Sozialpädagogin. Deshalb sollte man sich einen überschaubaren Zeitraum wie etwa die Kindheit oder das Kriegsende vornehmen. Auch durch die Auswahl bestimmter Personen oder Orte könne man sich beschränken.

Persönliche Erinnerungen lassen sich auf verschiedene Arten wecken. Werburg Doerr zum Beispiel halfen dabei vor allem Bilder.

"Beim Ansehen eines Fotos mit einem Teich, Sumpfland und Pferdekoppeln fiel mir ganz viel ein, was ich dort erlebt hatte", sagt die Autorin. Danach stellte sie sich verschiedene Plätze auf dem elterlichen Gut und in ihrem Heimatdorf vor und konnte sich so an viele Begebenheiten erinnern.

Alte Gegenstände sind in der Regel sehr inspirierend. Das können eigene Besitztümer sein, aber auch Sachen vom Trödel oder Ausstellungsstücke im Museum. Anregend wirken zudem Bücher, Filme oder der Austausch mit anderen Menschen. "Gerade in Gruppen multiplizieren sich die Erinnerungen", berichtet Wimmer-Billeter. Häufig rufe hier der Gedanke eines einzelnen viele Geschichten bei den anderen hervor.

Gleichgesinnte lassen sich vielfach in Nachbarschafts- oder Seniorentreffs finden. An etlichen Orten gibt es auch Geschichtsprojekte oder Initiativen wie das Erzählcafe, bei denen persönliche Erinnerungen ausgetauscht werden. Viele Volkshochschulen und andere Bildungswerke bieten mittlerweile auch besondere Kurse für biografisches Schreiben an.

"Beim Verfassen der eigenen Erinnerungen sind Rückmeldungen von anderen Menschen enorm hilfreich", sagt Wimmer-Billeter.

Familienmitglieder, Freunde oder Außenstehende sollten kritisch prüfen, ob sie die Schilderungen verstehen.

Häufig sind zunächst Zusammenhänge unklar oder es fehlen wichtige persönliche oder auch zeitgeschichtliche Informationen.

Auch bei Werburg Doerr dauerte es einige Zeit, bis aus einzelnen Geschichten ein für ihre Enkel verständlicher Text wurde.

"Mein Schwiegersohn fand eine günstige Druckerei, so daß ich genügend Exemplare für meine große Familie hatte", berichtet Doerr. In dieser Form landeten die Erinnerungen bei einem Literaturagenten, der dafür einen renommierten Verlag fand.

Mit der Veröffentlichung ihrer Memoiren in Buchform ist Doerr eine große Ausnahme. Denn die meisten Biographien interessieren nur sehr wenige Leute. "Die Publikation allein motiviert mich auch nicht zum Schreiben", sagt die Autorin. Sie möchte dabei vor allem Erkenntnisse über sich selbst gewinnen und das, was sie erlebt hat, an die Enkel weitergeben.

Buchtips zum Verfassen von Lebenserinnerungen: Judith Barrington: "Erinnerungen und Autobiographie schreiben", Autorenhaus Verlag, 2004, 14,90 Euro; Barbara Kerkhoff, Anne Halbach: "Biographisches Arbeiten - Beispiele für die praktische Umsetzung", Vincentz Network, 2002, 15,80 Euro; Hubert Klingenberger: "Lebensmutig - Vergangenes erinnern, Gegenwärtiges entdecken, Künftiges entwerfen", Don Bosco Verlag, 2003, 18 Euro; Sabine Sautter: "Leben erinnern - Biographiearbeit mit Älteren", AG SPAK Bücher, 2004, 13 Euro; Gerhild Tieger: "Anleitung zur Autobiographie in 300 Fragen", Autorenhaus Verlag, 2004, 9,80 Euro.


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