28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
21.04.07 / Vor 120 Jahren endete der Kulturkampf / Am 29. April 1887 wurde in Preußen das zweite der beiden sogenannten Friedensgesetze verabschiedet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-07 vom 21. April 2007

Vor 120 Jahren endete der Kulturkampf
Am 29. April 1887 wurde in Preußen das zweite der beiden sogenannten Friedensgesetze verabschiedet
von Manuel Ruoff

Das von Otto Fürst von Bismarck geschaffene Deutsche Reich entsprach als Nationalstaat mit einem demokratisch legitimierten Parlament weniger konservativen, klerikalen oder sozialdemokratischen Vorstellungen als vielmehr jenen der nationalliberalen Bewegung. Folglich waren zu Beginn der Reichsgeschichte die Nationalliberalen die staats- und auch regierungstragende Kraft des Deutschen Reiches.

Während die politische Kultur in Deutschland nach der Reichseinigung in hohem Maße durch den Liberalismus geprägt war, verfolgte der 1846 zum Papst gewählte Pius IX. eine illiberale, um nicht zu sagen antiliberale, Kirchenpolitik, welche auf Dogmen und Hierarchie setzte. 1864 verwarf er im "Syllabus errorum", einem Verzeichnis von 80 sogenannten Irrtümern, vom Standpunkt des kirchlichen Glaubens die politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Maximen des Liberalismus. Nachdem das Verhältnis zwischen Liberalismus und Katholizismus hierdurch bereits belastet war, beschloß das Vatikanische Konzil am 18. Juli 1870 das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen.

Hiergegen bildete sich in der katholischen Kirche eine Opposition, die altkirchliche Bewegung, von der anfänglich nicht klar war, einen wie großen Teil der katholischen Kirche sie repräsentierte. Der Staat stand vor der Frage, wie er sich zu diesem Schisma stellen sollte. Entsprechend dem liberalen Ideal des Laizismus versuchte er, eine unparteiische Haltung einzunehmen. Damit die Katholiken ihren innerkirchlichen Streit nicht in die Katholische Abteilung des preußischen Kultusministeriums und damit in den Staat hineintrugen, wurde im Sommer 1871 die Katholische mit der Evangelischen Abteilung zu einer überkonfessionellen Geistlichen Abteilung zusammengelegt. Die beiden großen Kirchen hatten damit nicht mehr ihr eigenes Staatsorgan.

Der Konflikt brach aus, als der Staat sich weigerte, gegen Beamte wie Theologieprofessoren, Religionslehrer oder Militärgeistliche, disziplinarisch vorzugehen, nur weil sie das Unfehlbarkeitsdogma ablehnten und deshalb bei der Kurie in Ungnade gefallen waren. Eine Folge dieses Kulturkampfes war eine verstärkte Säkularisation, mit welcher sich der Staat von den Kirchen und deren Querelen unabhängig machen wollte. Der preußische Ministerpräsident und deutsche Kanzler Otto Fürst von Bismarck formulierte es am 30. Januar 1872 im Abgeordnetenhaus wie folgt: "Die Staatsgesetze verbieten es, einem Bischof der katholischen Kirche das Recht der Entlassung eines Staatsbeamten zu übertragen ... Wir können den dauernden Anspruch auf eine Ausübung eines Teils der Staatsgewalt den geistlichen Behörden nicht einräumen, und soweit sie dieselbe besitzen, sehen wir im Interesse des Friedens uns genötigt, sie einzuschränken, damit wir nebeneinander Platz haben, damit wir in Ruhe miteinander leben können ... Ich kann auch für die Regierung nur den Standpunkt wahren, daß man von der Regierung eines paritätischen Staates nicht verlange, sie solle konfessionell auftreten nach irgendeiner Richtung hin."

Am 11. März 1871 wurde die Schulaufsicht durch das Schulaufsichtsgesetz von der Kirche auf den Staat übertragen. Einen Monat später kam es zu einer Eskalation, an der beide Seiten, sprich Staat und Kirche, ihren Anteil hatten. Als der deutsche Gesandte beim Vatikan nach Paris versetzt wurde, ernannte Berlin mit Kurienkardinal Gustav von Hohenlohe-Schillingsfürst einen Altkatholiken zum Nachfolger. Im Gegenzug machte Rom es dem Bruder des vormaligen bayrischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzlers unmöglich, sein Amt anzutreten, indem es ihm das "Nihil obstat", das er zur Übernahme eines staatlichen Amtes brauchte, verweigerte. Die Folge war, daß diese wichtige Position für die bilateralen Beziehungen unbesetzt blieb, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

Der Ton wurde schärfer. Am 14. Mai 1872 sprach Bismarck die berühmten Worte: "Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig." Die Angelegenheit entwickelte eine Eigendynamik, und der Staat griff nun zu Maßnahmen, die nicht mehr samt und sonders als liberal und Bestandteil einer fortschrittlichen Säkularisierung bezeichnet werden können. Bismarck sprach von einem "Krieg" "mit der Rom jetzt beherrschenden Partei" und der liberale Kanzleramtsminister Rudolf von Delbrück von einer "Notwehr"-Situation, in der man sich "nicht mit liberalen Phrasen über staatsbürgerliche Rechte wehren" könne, sondern handeln müsse.

Am 10. Dezember 1871 wurde mit dem "Gesetz betreffend die Ergänzung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich" über den sogenannten Kanzelparagraphen den Geistlichen verboten, in Ausübung ihres Amtes Angelegenheiten des Staates "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise" zu erörtern. Ebenfalls auf Antrag des Bundesstaates Bayern wurde am 4. Juli 1872 der Jesuitenorden verboten.

Die Hauptwaffe des Staates im Kulturkampf sollten die sogenannten Maigesetze des Jahres 1873 werden. Gemäß dem "Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen" vom 11. Mai sollte ein geistliches Amt nur Deutschen übertragen werden, die das Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums erworben, ein dreijähriges Theologiestudium auf einer deutschen Universität oder in vom preußischen Kultusministerium anerkannten kirchlichen Seminaren absolviert und eine wissenschaftliche Staatsprüfung in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur, das sogenannte Kulturexamen, abgelegt hatten. Das Gesetz regelte ferner die Pflicht der Kirchen, die Übertragung eines kirchlichen Amtes beziehungsweise die Versetzung in ein anderes Amt dem Staate anzuzeigen, sowie das Recht des Staates gegen die Einstellung Einspruch zu erheben. Auf die Interessen der Altkatholiken zugeschnitten war das "Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche" vom 14. Mai. Es erleichterte mit einer Erklärung vor dem Richter des Wohnortes die Formalitäten und befreite den Ausgeschiedenen von den auf der persönlichen Kirchenangehörigkeit beruhenden Leistungen an die Kirche.

Um den passiven Widerstand der katholischen Kirche gegen die Maigesetze durch Nichtbeachtung zu brechen, wurden diese Gesetze durch Strafgesetze flankiert. Durch restriktive Maßnahmen wie Amtsenthebungen, Verhaftungen und Ausweisungen schuf der Staat prominente Märtyrer an der Spitze der kirchlichen Hierarchie und massenweise Vakanzen in der Breite. 1876 waren fast alle preußischen Bischöfe verhaftet oder ins Ausland geflohen. 1880 waren von 4600 katholischen Pfarreien über 1000 unbesetzt. Als Folge konnten in vielen Gemeinden Geburten, Todesfälle und Heiraten nicht mehr beurkundet werden. In dieser Notsituation wurden 1874 in Preußen und 1875 auch im Reich die obligatorische Zivilehe und die Beurkundung des Personenstandes in staatlichen Standesämtern eingeführt.

Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Maigesetze und der Strafgesetze Rechnung tragend, sorgte Bismarck dafür, daß der preußische Landtag im Juni 1875 die Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassung aufhob. Sie hatten bis dahin den Kirchen Selbstverwaltung in ihren Angelegenheiten, Freiheit des Verkehrs mit ihren Oberen und Freiheit von staatlichem Bestätigungsrecht zugesichert.

Im Gegensatz zu den Liberalen wollte Bismarck mit dem Kulturkampf weniger den Katholizismus oder auch nur die Kurie als vielmehr deren politische Partei im Deutschen Reich, das Zentrum, treffen. Er unterstellte diesem, sich im mehrheitlich protestantisch geprägten sogenannten Preußen-Deutschland staatsfeindlich zu verhalten, da es im Reichstag mit den frankreichfreundlichen Elsaß-Lothringern, den preußischen Polen sowie den Anhängern des Herrscherhauses Hannover zusammenarbeitete, die Preußen noch immer nicht verziehen hatten, daß es 1866 nach dem Deutschen Krieg das zu den Verlierern gehörende norddeutsche Königreich annektiert hatte.

Bismarck mußte jedoch feststellen, daß der Kirchenkampf dem Zentrum eher zu nützen denn zu schaden schien. So konnte die Partei bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus 1873 und zum Reichstag 1874 fast doppelt so viele Wähler mobilisieren wie bei den vorangegangenen Wahlen. Da Bismarck im Gegensatz zu den Liberalen den Kulturkampf nicht aus Überzeugung focht und die Erkenntnis gewonnen hatte, daß dieser Kampf nicht die erwünschten Folgen zeitigte, ruderte er zurück.

Ende der 70er Jahre wechselte Bismarck sowohl seine Verbündeten als auch seine Gegner. Statt auf die Liberalen stützte er sich in seiner zweiten Regierungsphase als Reichskanzler lieber auf die stärker kirchlich (wenn auch protestantisch) gesinnten Konservativen und sogar auch auf das katholische Zentrum. Statt in ihnen sah er nun die Gefährdung seines Reiches eher in der Sozialdemokratie, für deren Bekämpfung ihm nun auch die Katholiken willkommen waren.

Erleichtert wurde Bismarck das Zurückrudern durch den Wechsel auf dem Stuhle Petri von Pius IX. zu Leo XIII. In dessen Pontifikat kam es 1882 zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und 1855 zur Verleihung der höchsten päpstlichen Auszeichnung, des Christusordens, an den preußischen Ministerpräsidenten und deutschen Reichskanzler.

Nach diversen sogenannten Milderungsgesetzen, welche die Kulturkampf-Gesetze abmilderten, kam es 1886/87 mit den beiden Friedensgesetzen vom 21. Mai 1886 und 29. April 1887 zur Einstellung der Kampfhandlungen auf Seiten des Staates. Als Reaktion auf die Friedensgesetze erklärte Papst Leo XIII. in einem öffentlichen Konsistorium den Kampf, "welcher die Kirche schädigte und dem Staat nicht nützte", für beendet.

Wenn gemeinhin Bismarck auch eher als Verlierer denn als Sieger des Kulturkampfes gilt, so blieb ihm doch der totale Rückzug auf die Ausgangsstellung erspart. Trotz der Milderungs- und Friedensgesetze überdauerte die eine oder andere gesetzliche Regelung aus dem Kulturkampf selbigen und wurde nicht dem Frieden geopfert. Zu nennen sind hier hinsichtlich des Reiches der Kanzelparagraph, das Verbot des Jesuitenordens und die Einführung der Zivilehe sowie hinsichtlich Preußens das Schulaufsichtsgesetz, die Anzeigepflicht, die Aufhebung der Katholischen Abteilung im Kultusministerium, die Aufhebung der Verfassungsartikel 15, 16 und 18 und das Gesetz über den Austritt aus der Kirche.

Fotos: Kulturkampf: Der "Kladderadatsch" personifiziert die Partei des Staates durch den preußischen Ministerpräsidenten und deutschen Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck und die Partei der Kirche durch Papst Pius IX; Rudolf Virchow: Mit seinen am 17. Januar 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus gesprochenen Worten "Es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf" prägte der Mediziner und Abgeordnete der linksliberalen Fortschrittspartei das Schlagwort für die Auseinandersetzung zwischen dem jungen Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren