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21.04.07 / Rußlands Versuch eines Großbulgariens scheitert / Vor 130 Jahren begann der Krieg zwischen dem Zaren- und dem Osmanischen Reich, der zum Berliner Kongreß führte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-07 vom 21. April 2007

Rußlands Versuch eines Großbulgariens scheitert
Vor 130 Jahren begann der Krieg zwischen dem Zaren- und dem Osmanischen Reich, der zum Berliner Kongreß führte
von Manuel Ruoff

Die Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Reichen der Russen und der Osmanen ist voller Kriege. Gerne rechtfertigten die orthodoxen Christen in Rußland ihren Griff nach dem Balkan mit der moralischen Pflicht, die unter osmanischer und damit islamischer Herrschaft lebenden Glaubensbrüder zu schützen. Nach der Ausbreitung des Nationalismus vom Westen Europas über die Mitte hin zum Osten kam als weiteres weltanschauliches Motiv der Panslawismus hinzu, also das Streben, alle Slawen (unter russischer Herrschaft) zu einen.

Nach den von den Osmanen begangenen sogenannten bulgarischen Greueln erklärte das Zarenreich dem sogenannten kranken Mann am Bosporus am 24. April 1877 den Krieg. Wie kaum anders zu erwarten war, gewann die Großmacht trotz beachtlicher Einzelerfolge der Osmanen diese Auseinandersetzung. Am 3. März 1878 diktierte der Sieger dem Besiegten den Frieden von San Stefano. Rußland erhielt vom Osmanischen Reich im Kaukasus Batum, Kars, Ardahan und Bajesid sowie von Rumänien nun auch den südlichen Teil des damals schon umkämpften Bessarabien. Rumänien erhielt dafür als Kompensation die Dobrudscha und wurde unabhängig - wie auch Serbien und Montenegro, die zudem vergrößert wurden. Schließlich wurde ein großbulgarisches autonomes Fürstentum geschaffen, das von Mazedonien im Westen bis zum Schwarzen Meer im Osten und von der Donau im Norden bis zur Ägäis im Süden reichte.

Dieses Großbulgarien widersprach dem österreichisch-russischen Budapester Vertrag vom 15. Januar 1877, in dem Rußland Österreich für den Fall eines Kriegssieges nicht nur zugesagt hatte, daß es Bosnien und Herzegowina besetzen und verwalten dürfe, sondern auch, daß ihm die Schaffung eines "großen, kompakten, slawischen Staates", der Anziehungskraft auf die slawischen Völker in der Donaumonarchie ausüben könnte, erspart bleibe.

Neben der Doppelmonarchie war auch Großbritannien gegen den Frieden von San Stefano. Die Briten fürchteten, daß die Großmacht Rußland über den Ägäiszugang des von ihr geschaffenen Großbulgarien Englands Verbindungslinie nach der Kolonie Indien bedrohen könne. Als unmißverständliche Kriegsdrohung verlegten die Angelsachsen eine Flotte in das Marmarameer.

Österreichs Außenminister, Gyula Graf Andrássy, schlug in dieser Situation zur Revision der Friedensbestimmungen von San Stefano einen internationalen Kongreß vor. Rußlands Außenminister Alexander Michailowitsch Gortschakow erkannte, daß der russisch-osmanische Friedensvertrag in seiner ursprünglichen Fassung gegenüber der Staatengemeinschaft nicht durchsetzbar war, und stimmte zu. Da er jedoch einen zweiten Wiener Kongreß verhindern wollte, schlug er Berlin als Veranstaltungsort vor, ein Vorschlag, der angenommen wurde. Stimmberechtigte Teilnehmer waren neben den Kriegsparteien Rußland und dem Osmanischen Reich sowie dem Gastgeber die Großmächte Großbritannien, Österreich, Frankreich und Italien.

Die Wahl von Berlin als Kongreßort brachte dem jungen Deutschen Reich zwar Renommee, doch seinen Kanzler, Otto Fürst von Bismarck, in eine mißliche Lage. Das Reich war, wie Bismarck es so schön formulierte, "saturiert", und hatte kein (direktes) Interesse am Balkan, insofern auch kein (direktes) Interesse, sich in den Zwist einzumischen. Bismarck fürchtete jedoch, daß der Zwist das Potential zu einem großen Krieg zwischen den Großmächten habe, aus dem sich das Reich mit seiner zentralen Lage in Europa nicht würde heraushalten können. Schlug das Reich sich auf die Seite Österreichs und Großbritanniens war zu befürchten, daß sich die revanchelüsterne Französische Republik auf die Seite Rußlands schlagen würde. Deutschland hätte dann einen Zweifrontenkrieg, während sich die Briten entsprechend ihrem außenpolitischen Ideal der "Splendid Isolation" (großartige Isolation) dezent auf ihrer Insel zurückhalten würden. Schlug sich hingegen das Reich auf die Seite Rußlands war damit zu rechnen, daß sich Frankreich auf die Seite Großbritanniens und Österreichs schlagen würde. Das Reich würde dann in einer Zweierallianz mit Rußland einer Dreierallianz gegenüberstehen und als westlicherer der beiden Bündnispartner die Hauptlast des Krieges zu tragen haben. Das junge, noch ungeformte Reich konnte in einem Krieg viel verlieren, bis hin zu seiner Existenz. Es konnte jedoch nichts gewinnen, da die Krieg-in-Sicht-Krise erst wenige Jahre zuvor deutlich gemacht hatte, daß die anderen Großmächte eine weitere Stärkung Deutschlands nicht akzeptieren würden.

Um des lieben Friedens willen also - im wahrsten Sinne des Wortes - erklärte sich Bismarck bereit, die undankbare Aufgabe des Kongreßpräsidenten zu übernehmen. Wie undankbar die Aufgabe war, hatte Bismarck richtig vorausgesehen: "Gerade weil wir die einzige wirklich uninteressierte Macht sind, die durch kein eigenes Interesse genötigt ist, sich zu einer der beiden Gruppierungen zu halten, würden wir allein die Verantwortlichkeit für den voraussichtlich üblen Erfolg des Kongresses zu tragen haben."

Um dem Reich als Gastgeber und Präsidialmacht wenigstens die Blamage eines Scheiterns des Kongresses zu ersparen, setzte Bismarck jedoch wenigstens durch, daß sich die Kontrahenten über wesentlich Streitpunkte bereits vorher einigten. Am 30. Mai 1878 rang Großbritannien Rußland in einem Geheimabkommen ab, daß Bulgarien in eine Nord- und eine Südhälfte geteilt werde und keinen Zugang zur Ägäis erhalte. Von Wien holte sich London am 6. Juni 1878 die Zusicherung, daß die k.u.k. Monarchie die britische Position in der Bulgarienfrage unterstütze, wofür die Doppelmonarchie im Gegenzug britische Unterstützung in der Bosnien-Herzegowina-Frage zugesagt erhielt.

So konnte der Kongreß am 13. Juni 1878 beginnen und bereits einen Monat später mit einem Ergebnis beendet werden. Serbien und Montenegro wurden unabhängig und vergrößert. Rumänien erhielt gleichfalls die Unabhängigkeit und mußte Südbessarabien mit der Dobrudscha tauschen. Insofern wurden die Bestimmungen von San Stefano bestätigt. Im Kaukasus mußte Rußland zwar Bajesid zurückgeben, durfte aber Batum, Kars und Ardahan behalten. Auch das Österreich zugestandene Recht, Bosnien und die Herzegowina sowie den Sandschak von Novi Pazar zu besetzen, tat den Russen nicht weh. Schmerzhaft war für sie jedoch, was aus dem von ihnen geschaffene Großbulgarien gemacht wurde. Nur ein nördlicher Teil blieb als tributpflichtiges Fürstentum autonom. Ein mittlerer Teil, Ostrumelien, wurde autonome Provinz mit türkischem Besatzungsrecht. Der südliche Teil schließlich, Rumelien mit Mazedonien, Thrakien und dem für die Briten wichtigen Agäiszugang, gelangte wieder unter direkte osmanische Verwaltung.

Ob dieser Behandlung Bulgariens verstand sich Rußland als Verlierer - und dafür machte es neben dem Habsburger auch den Hohenzoller im gemeinsamen Dreikaiserbund der drei Ostmächte verantwortlich. Der Sieger war Großbritannien: Rußland hatte auf seinen bulgarischen Zugang zur Ägäis wieder verzichten müssen und kurz vor Abschluß des Kongresses gab der britische Premierminister Benjamin Disraeli bekannt, daß sein Land von der Pforte die Verwaltung der strategisch wichtigen Mittelmeerinsel Zypern übertragen bekommen hatte. Den für Deutschland schmerzlichsten Erfolg der Briten formulierte deren Premier rückblickend wie folgt. "Nächst der Schaffung einer erträglichen Existenz für die Pforte war unser Ziel, das Dreikaiserbündnis zu zerstören und seine Erneuerung für immer zu verhindern, und ich behaupte, daß niemals ein allgemeines diplomatisches Ergebnis vollständiger erreicht worden ist."


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