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28.04.07 / Eigenwilliges Istrien / Eigentlich zu Kroatien gehörend, fühlt man sich als EU-Bürger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-07 vom 28. April 2007

Eigenwilliges Istrien
Eigentlich zu Kroatien gehörend, fühlt man sich als EU-Bürger
von Wolf Oschlies

Erst mit Zeige- und Mittelfinger das Victory-Zeichen, dann Mittel- und Ringfinger krümmen und Zeige- und kleinen Finger strecken: So zeigen Istrier die "koza" (Ziege), das Wappentier der antiken "terra magica", also der Halbinsel Istrien an der nördlichen Adria. Mit der gefingerten Koza grüßen sich auch die Mitglieder des (im Januar 1990 gegründeten) "Istrischen Demokratischen Bundes" (IDS), der größten Regionalpartei dieses "Landes der guten Menschen". Istrien ist politisch Teil Kroatiens, was der IDS - mit vier Abgeordneten im Parlament Kroatiens vertreten - prinzipiell akzeptiert, aber im Geiste jenes legendären Graffitos aus Pula ausgestaltet: "Istrier, streitet euch nicht mit Kroatien, es ist unser Nachbarstaat!"

Kroatien möchte in die EU, bekam Ende 2005 einen positiven "Avis" aus Brüssel, sieht seit Ende 2006 aber nur noch dessen kalte Schulter: Der EU mißfallen Zagrebs reformerische Saumseligkeit, seine desaströse Wirtschaftslage, sein Nationalismus, seine eigenmächtigen Schritte bei Seegrenzen und vieles mehr, was die EU-Beitrittsperspektive Kroatiens auf türkisches Niveau drückte. Das hat Zagreb in tiefe Depression gestürzt - die durch die faktische EU-Aufnahme Istriens vertieft wird: Als Partner der norditalienischen Region Friuli-Venezia Giulia hat Istrien im Juni 2005 eine eigene Repräsentanz in Brüssel eröffnet und wird aus EU-Fleischtöpfen gut bedacht. Landeschef Ivan Jakovcic rechnet boshaft vor, wie weit Istrien Kroatien voraus ist: Vollbeschäftigte Werften, florierende Verarbeitungsindustrie, expandierender Tourismus, Überschüsse im stark wachsenden Außenhandel, Arbeitslosigkeit unter EU-Durchschnitt und ähnliche Balkan-Einmaligkeiten mehr.

Dennoch proben die istrischen Musterknaben den Schulterschluß mit den europäischen Vertriebenen, was diese staunend registrieren. Sie (und der Rest Europas) werden's noch lernen, daß auf der Halbinsel mit Verantwortung, Umsicht und gelegentlich blauäugiger Verschmitztheit ein Modell gezimmert wird, dem man nur europäische Nachahmung wünschen und jede politische Unterstützung gewähren sollte. Denn nur das ist der heimliche Hintergrund istrischer Kontaktsuche.

Es beginnt, wie oft auf dem Balkan, mit sprachlichen Finessen. Der IDS präsentiert sich in allen seinen Verlautbarungen dreisprachig (kroatisch, italienisch, slowenisch). Und er liegt seit anderthalb Jahrzehnten mit Zagreb im Clinch, ob ein echter Istrier ein "Istrijanin" oder ein "Istranin" ist.

Istrien (benannt nach den illyrischen "Histerern") gehörte in der Antike zu Rom, kam 1342 zu Habsburg, wurde 1420 größtenteils von Venedig eingenommen, landete 1797 komplett wieder bei Habsburg, fiel 1918 an Italien, wurde ab September 1943 schrittweise von Titos Partisanen erobert und blieb nach dem Friedensvertrag mit Italien von 1947 bei Jugoslawien - ausgenommen das "Territorio Libero di Trieste", aufgeteilt in die von den Alliierten kontrollierte Zone A und die jugoslawische Zone B. Das Londoner Protokoll gab 1954 A an Italien, B an Jugoslawien, Details zu ethnischen Minderheiten regelte der Vertrag von Osimo 1975.

So sieht istrische Geschichte im Schnelldurchlauf aus. Die Istrier haben aus ihr gefolgert, daß Grenzlinien und ethnische Statistiken des Teufels sind und sie folglich kunstvoll "vernebelt". Für sie ist Istrien "tromedja", ein überstaatliches "Dreiland": Die Halbinsel mißt 3306 Quadratkilometer, wovon 86 Prozent kroatisch, der Rest slowenisch und italienisch sind. Solche staatlichen Zugehörigkeiten sind nur geodätisch von Belang - in einer Region, die demilitarisiert ist und seit 1993 die grenzüberschreitende "Euroregion Istrien" bildet. Noch legerer behandelt man Bevölkerungsstatistiken: Die ethnische Komposition wird bewußt negiert, denn laut IDS-Programm "ist Istriertum (istrijanstvo) das Bewußtsein der Zugehörigkeit einer slawisch-lateinischen Bevölkerung zur gemeinsamen multikulturellen Realität Istriens". Auch die numerische Stärke wird wohlweißlich im Safe behalten: Laut kroatischer Volkszählung von 2001 zählte Istrien 206344 Einwohner, davon 62,6 Prozent in nur 19 von insgesamt 648 Siedlungen. Die Demographen fürchten, daß in ganz Istrien rund 580 Siedlungen über kurz oder lang "aussterben" werden - am ehesten im Norden und Zentrum ("graues Istrien"), etwas verzögert im Osten ("weißes Istrien") und hoffentlich gar nicht im Westen ("rotes Istrien").

Istrien braucht Ruhe, um zu arbeiten und gutes Geld zu verdienen, da es von Zagreb immer weniger bekommt. Doch kann der frömmste Istrier nicht im Frieden leben, wenn Nachbarn böse Erinnerungen oder wilde Territorialforderungen auftischen. Das geht seit 1991 so, da die Slowenen mit der Grenzziehung zu Istrien unzufrieden sind. Die seewärtige Verlängerung der Landgrenzen hätte kroatische und italienische Territorialgewässer nahtlos ineinander übergehen lassen, so daß die Slowenen vom offenen Meer abgesperrt und im Golf von Piran eingesperrt gewesen wären. Das verhinderten sie, indem sie südlich des Grenzflusses Dragonja einige istrische Dörfer "stahlen" und so den Grenzverlauf zu ihren Gunsten änderten. Der Streit dauert bis zur Stunde an, sogar der Papst ist als Schlichter im Gespräch. Im November 2005 klagte der slowenische Außenminister Rupel aus Anlaß des 30. Jahrestags der Verträge von Osimo, diese hätten zu Lande und zu Wasser den Slowenen "große Opfer" abverlangt, da sie die Kroaten einseitig bevorzugten. Das war natürlich Unsinn: Vertragspartner war 1975 Jugoslawien, durch Osimo wurden Istrien jugoslawisches Territorium und die Adria jugoslawisches Meer, wovon Slowenen und Kroaten größten Nutzen hatten. Seit dem Zerfall Jugoslawiens bestehen die Kroaten darauf, die Adria sei ein "kroatisches Meer" und Slowenien versuche eine "Okkupation kroatischen Territoriums". Ein Dauerkonflikt!

Neueren Datums ist ein massiver italienisch-kroatischer Streit, der mit Berlusconis neuem Staatsbürgergesetz von 2006 begann. Dieses sieht vor, Einwohnern der Gebiete, die bis 1945 italienisch waren, nachträglich die Staatsbürgerschaft zu verleihen - was Kroaten als Versuch brandmarkten, ihnen die Istrier abspenstig zu machen.

Die Istrier, indirekt im Mittelpunkt des daraus resultierenden italienisch-kroatischen Gezänks, überhörten es souverän. Sie bereiteten sich weiter auf das erste istrische Wirtschaftsforum Ende April vor. Dabei wollten Unternehmer zeigen, wie "nachprüfbar die Wirtschaft in Istrien lebt", wie eine kleine Region die "Konkurrenzfähigkeit der kroatischen Wirtschaft" zu stärken vermag, und wie die von Zagreb drangsalierten Istrier die Worte ihrer Hymne mit Schöpfergeist erfüllen: "Du schönes Land, du liebes Istrien".


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