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28.04.07 / Zukunft kostet Geld / Frankreichs Wahlkampf wird wirtschaftsbezogener

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-07 vom 28. April 2007

Zukunft kostet Geld
Frankreichs Wahlkampf wird wirtschaftsbezogener
von Jean-Paul Picaper

Freilich, die französischen Wähler haben am letzten Sonntag mit einer riesengroßen Wahlbeteiligung von 84 Prozent die Versöhnung der Franzosen mit der Politik geschaffen: Der liberal-konservative Favorit Nicolas Sarkozy bekam 31,18 Prozent der Stimmen, also deutlich mehr als erwartet; seine sozialistische Gegnerin Ségolène Royal folgt mit 25,87 Prozent; der gefährliche Konkurrent der beiden, François Bayrou, schaffte mit 18,57 Prozent nicht den Einstieg in die Endrunde.

Damit bleibt Frankreichs politisches System wohl erhalten. Die gemäßigte Linke und die rechte Mitte werden sich weiter ausbalancieren, weil der Ausstieg aus diesem austarierten Gleichgewicht, den fast alle anderen mit Bayrou und Le Pen an der Spitze anstrebten, nicht gelungen ist.

Wie seinerzeit Franz Josef Strauß hat Sarkozy damit die Rechtsradikalen in die Schmollecke geschubst. Sein Vorsprung gegenüber Royal ist sicherlich zum größten Teil den Anhängern von Le Pen zu verdanken, die ihn diesmal unterstützt haben, um zu verhindern, daß entweder "Weichling Bayrou" oder "die linke Ségolène" als Sieger der ersten Runde dasteht. Und damit fangen Sarkozys Probleme an. Wenn überhaupt noch Wähler der Le-Pen-Partei Sarkozy in der Endrunde ihre Stimme geben, dann nur, um den Sieg der Linken zu verhindern. Viele werden sich der Stimme enthalten.

Die Auguren gaben am Sonntagabend Sarkozy als Sieger der Endrunde am 6. Mai 2007 mit 54 Prozent gegen 46 Prozent für Royal an, doch Sarkozy wird nichts geschenkt werden. Nicht nur, daß er das volle Restpotential der Ultrarechten nicht ausschöpfen wird, auch die politische Mitte wird er nicht voll abfischen können. Der Zentrist Bayrou, der es am Wahlabend geschafft hat, seine Niederlage als einen Etappensieg darzustellen, sieht sich durch Sarkozy um seine langjährige Arbeit geprellt. Er wird sich wenig kooperativ zeigen. Sein zentristisches Wählerpotential, immerhin 6,8 Millionen Wähler, besteht nicht allein aus engagierten Gutmenschen und Humanisten, wie er es behauptet, sondern mehrheitlich aus unpolitischen Bürgern, die der linken Agitprop unkritisch gegenüberstehen oder aus Linken, denen die Ségolène nicht geheuer war. Frau Royal hat am Tage nach der Wahl der Bayrou-Partei eine Annäherung auf der Grundlage gemeinsamer Werte angeboten.

Nicht weniger wichtig ist der Abfall der Kommunisten auf 1,93 Prozent und der Grünen auf 1,57 Prozent der Stimmen. Der selige Präsident Mitterrand hatte die Kommunisten "geschluckt" und Royal profitiert davon. Der einzige ultralinke Mitbewerber, der einen Zugewinn einfährt, ist der junge Trotzkist Olivier Besancenot (4,08 Prozent). Dieser Erfolg ist ein Resultat des Studentenaufstands gegen den vom Premierminister de Villepin eingeführten "Ersteinstellungsvertrag" im Frühjahr 2006. Viele radikale Studenten konnten ihre Abscheu vor den klassischen Sozialisten nicht überwinden.

Wenn auch noch bescheiden, ist Besancenots Prozentzahl doch ein Symptom für die schleichende Wirtschafts- und Sozialkrise Frankreichs. Die Sozialprobleme meldeten sich während des langen Wahlkampfes immer wieder. Ganz abgesehen vom Streit um die illegalen Zuwanderer häuften sich auf dem Weg zur Wahl die Unmutsbekundungen wie bei der Campingdemo der Obdachlosen am Ufer des St-Martins-Kanals in Paris oder die Streiks in vielen Unternehmen wegen Schließungen oder Personalreduzierungen, etwa bei EADS oder Arena. Im Hafen von Marseille wie bei den Fluglotsen und beim Krankenhauspersonal fanden ebenfalls Streiks statt.

Das Land befindet sich in einem eigenartigen Schwebezustand. Wie labil die Lage ist, zeigten am 27. März Krawalle im Pariser Nordbahnhof. Die städtebaulich und bevölkerungspolitisch unattraktiven Vorstädte sind Sprengstoff. Es ist anzunehmen, daß die Sozialkonflikte härter werden und daß der neue Staatspräsident einen schweren Anfang haben wird, zumal der islamistische Terrorismus in Nordafrika nun Fuß gefaßt hat und damit Spanien, Italien und Frankreich aus unmittelbarer Nähe bedroht. Die Angst vor der Zukunft ist groß. Die Jugendarbeitslosigkeit, die Villepin mit seinem Einstellungsvertrag eindämmen wollte, bleibt die höchste in Europa: 22 Prozent. Die soziale Spaltung, die Chirac bei seiner ersten Wahl 1995 zu überwinden versprach, klafft weiter auseinander. Die Kandidaten haben deswegen in ihren Reden Zukunft angeboten. Aber Zukunft kostet Geld. Bayrous Programm sollte nur 27,5 Milliarden Euro kosten, sie sollten durch Einschränkungen des staatlichen Luxus, insbesondere des Präsidentenpalastes, eingespart werden. Sarkozys und Royals Programme sahen doppelt so hohe Ausgaben vor und setzten auf Wachstum, um die Kasse zu füllen.

Nach Deutschland übernimmt nun Frankreich mit zwei Prozent oder weniger Wachstum die rote Laterne in Europa und zehn Prozent Arbeitslosigkeit sind auch kein Ruhmesblatt. Das Haushaltsdefizit liegt mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gefährlich nah an der zulässigen EU-Obergrenze von drei Prozent, und die Staatsschuld liegt mit 64 Prozent des BIP deutlich über dem Strich. Die Rezession ist aber nicht für alle spürbar, und da liegt die Crux. Einerseits boomt der Immobilienmarkt, insbesondere in der Südhälfte des Landes, mit horrenden Preisen, und die Franzosen konsumieren fröhlich. Viele leben über ihre Verhältnisse. Andererseits ist die Anzahl der Armen gestiegen. Prekarität, dieses neudeutsche Wort, kommt nicht von ungefähr aus dem Französischen ("la précarité").

Sarkozy hat deswegen versprochen, daß er "all denjenigen, die das Leben gebrochen hat, Hoffnung wiedergeben will" und daß er von "einem Frankreich träumt, das niemanden fallen läßt". Sarkozy ist der erste französische Politiker seit Jahrzehnten, der die Arbeitsförderung predigt. Steuer- und beitragsfreie Überstunden sollen möglich werden, und die Vermögensabgabe soll entfallen, wenn dieses Geld wieder investiert wird. Ségolène Royal muß ihrerseits beweisen, daß ihr Arbeits- und Reichtumsumverteilungs-Sozialismus nicht wie bisher dem Wachstum abträglich sein wird. Zwei große Projekte muß der nächste Präsident sofort in Angriff nehmen, die Steuer- und die Rentenreform. Zwischen dem überhöhten Steuerdruck (zur Zeit auf 60 Prozent der Einkünfte begrenzt), den Sarkozy auf 50 Prozent reduzieren will, und der Steuerflucht einerseits und der Staatsschuld von 1,2 Billionen Euro (in Wirklichkeit 2,5 Billionen, berücksichtigt man alle Staatssonderausgaben inklusive Sonderrenten) muß ein Weg gefunden werden. Die Rentenreform von 2003 ist bereits überholt und bekommt im Frühjahr 2008 eine Grunderneuerung.

Frankreich hat aber Trümpfe in der Hand, seine technologischen Leistungen, besonders in der Nukleartechnologie, in der Medizin, in der Pharmaindustrie, in der Eisenbahntechnik, in der Luft- und Raumfahrt. Außerdem hat es viele junge Menschen und die höchste Geburtenrate in Europa, die ein Vorteil sein könnte, wenn Frankreich diese Jugend qualifizieren und ihr Arbeit beschaffen kann.

Foto: In der Endrunde: Sarkozy und Royal kämpfen gegeneinander ums Präsidentenamt.


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