28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.05.07 / "Wir dulden keinen Widerspruch" / Die Macht der Militärs in der Türkei: Garanten des Laizismus oder Staat im Staate?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-07 vom 12. Mai 2007

"Wir dulden keinen Widerspruch"
Die Macht der Militärs in der Türkei: Garanten des Laizismus oder Staat im Staate?
von Mariano Albrecht

Nach dem vorläufigen Rücktritt des türkischen Außenministers Abdullah Gül von seiner Kandidatur für die Wahl zum Staatspräsidenten steht die Türkei erneut vor einer Staatskrise, bei der das Militär wieder einmal die Fäden gezogen hat. Eine islamisch-konservative Regierung ist den Hütern des säkularen Systems in der Türkei ohnehin ein Dorn im Auge, wenn dann noch ein islamisch orientierter Politiker nach dem Amt des Staatspräsidenten greift, in dem er die Macht hätte, das Militär zu kontrollieren, wird im Generalstab der Alarmzustand ausgelöst. Als am 23. April, dem "Tag des Kindes" und des Tages des Inkrafttretens der ersten türkischen Verfassung, Islamisch-Konservative den "kleinen Putsch" probten, platzte Generalstabschef Yasar Büyükanit der Kragen. In seinem sogenannten Mitternachtsmemorandum, einer E-Mail an das Parlament, rechnet der 69jährige Oberbefehlshaber mit der Regierung Erdogan ab.

Während im ganzen Land Kinder den Republikgründer Atatürk feiern, kommt es an Schulen in Ankara zu Wettbewerben im Koranlesen, Mädchen werden trotz Kopftuchverbot aufgefordert, sich zu verschleiern. In Sanliurfa, Mardin, Gaziantep und Diyabakir werden "Gegenfeierlichkeiten" organisiert, bei denen Kinder in religiösen Gewändern auftreten müssen, türkische Fahnen und Atatürkbilder werden aus den Einrichtungen entfernt. In verschiedenen Orten werden religiöse Predigten provokatorisch an Schulen gehalten, obwohl es genügend Moscheen gibt. VierSterne-General Büyükanit bezeichnete die Aktionen als "religiöse Aufstände, die gegen die Republik gerichtet sind und das Ziel haben, die staatlichen Grundprinzipien auszuhöhlen ..." In der E-Mail prangert er die zunehmende Islamisierung der Gesellschaft seit Erdogans Machtantritt an und macht deutlich, daß es keine Diskussion zum Thema Laizismus geben werde. "Es darf nicht vergessen werden, daß die türkischen Streitkräfte bei diesen Diskussionen (über den Laizismus) parteiisch sind und definitive Verteidiger des Laizismus bleiben werden. Außerdem sind die türkischen Streitkräfte strikt gegen diese Diskussionen und dulden keine Widersprüche. Bei Notwendigkeit werden sie dies mit ihrer Haltung und ihrem Verhalten offen zeigen. Niemand sollte daran zweifeln", so der General.

Mit dieser klaren Ansage haben die Militärs der säkularen Opposition den Rücken gestärkt. Diese formiert sich nun in kemalistischen Wahlbündnissen für die Neuwahlen am 22. Juli, während Erdogan eine Verfassungsänderung durchdrücken will, die es ermöglicht, den Staatspräsidenten vom Volk direkt wählen zu lassen. Ob sich die säkularen Gralshüter der von Atatürk verordneten Trennung von Religion und Staat dies gefallen lassen, ist zweifelhaft.

Die Opposition hat bereits den Gang vor das Verfassungsgericht angedroht. Daß das Militär erneut einschreitet, ist wahrscheinlich, da ein unliebsamer Staatspräsident die Macht des Militärs beschneiden könnte.

In der Geschichte der Türkei hat die Armeeführung immer wieder in die Politik eingegriffen, wenn Regierungen in ihren Augen drohten, über die Stränge zu schlagen. 1960 enthoben sie unblutig den Ministerpräsidenten Adnan Menderes des Amtes. Dieser hatte die von Atatürk erlassene Anordnung, den Gebetsruf von Moscheen auf türkisch durchzuführen, aufgehoben, zugleich wies man ihm Verwicklungen der Regierung in das Pogrom von Istanbul im Jahre 1955 nach, bei dem Geschäfte und Einrichtungen von griechischen Juden und Christen zerstört worden waren. 1971 wurde die Regierung unter Süleyman Demirel entmachtet, als sie sich weigerte, dem Militär politische Vollmachten für den Antiterrorkampf zu gewähren.

Auch General Kenan Evren begründete den Putsch von 1980 mit spalterischen Tendenzen, die den Kemalismus und die Einheit des Landes gefährden. 1997 zwangen sie Präsident Erbakan, den Begründer der in der Türkei verbotenen, aber in Deutschland bis heute aktiven, islamistischen Milli-Görüs-Bewegung, zum Rücktritt.

Recep Tayip Erdogan wurde zum Vorsitzenden von Erbakans Nachfolgepartei (FP) gewählt. 1998 wurde Erdogan von einem Staatsicherheitsgericht zu einer Haftstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Er hatte einen türkischen Dichter mit den Worten zitiert: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."

Die türkische Armeeführung nimmt Premierminister Erdogan den geläuterten Islamisten, als der er sich in Europa gern präsentiert, nicht ab.

Ob der wahre Feind der Demokratie in der Türkei das türkische Militär oder der politische Islam ist, stellt sich mit Blick auf die Verwicklungen von Militärs in einen Bombenanschlag im Jahr 2005 im Südosten der Türkei. Auch General Büyükanit nimmt es nämlich mit der Demokratie nicht so genau. Einen der dem Militär angehörenden Täter nannte er öffentlich "einen guten Jungen". Der Staatsanwalt der gegen Büyükanit ermittelte, wurde vom Dienst suspendiert.

Foto: Bis hierhier und nicht weiter: General Büyükanit erklärt Erdogan seine Sicht der Dinge.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren