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12.05.07 / Die Kunst, zu leben und zu kochen / Ein kulinarisches Gespräch über die wichtigen Dinge des Lebens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-07 vom 12. Mai 2007

Die Kunst, zu leben und zu kochen
Ein kulinarisches Gespräch über die wichtigen Dinge des Lebens
von Heike Maleschka

In ihrem neuen Dokumentarfilm "Wie man sein Leben kocht" thematisiert Doris Dörrie nicht nur die Kunst des Kochens, sondern auch die Kunst zu leben. Dörrie, die mit Filmen wie "Der Fischer und seine Frau", "Nackt" und "Happy Birthday, Türke!" bekannt geworden ist, inszeniert im gewohnt eigenen Stil wie etwa 2001 an der Staatsoper Berlin die Oper "Così fan tutte" sowie 2005 Giuseppe Verdis "Rigoletto" an der Bayerischen Staatsoper in München und Giacomo Puccinis "Madame Butterfly" am Münchner Gärtnerplatztheater. Doris Dörrie, die auch als Professorin für Angewandte Dramaturgie und Stoffentwicklung an der Hochschule für Fernsehen und Film lehrt, und der kochende Zen-Priester Edward Brown äußerten sich nicht nur zum Thema Kochen, sondern auch über eine Gesellschaft, die immer hektischer lebt, und über Probleme, die entstehen, wenn die Menschen unter Druck gesetzt werden und sich dabei selbst aus den Augen verlieren.

 

Warum wollten Sie einen Film über das Kochen machen?

Doris Dörrie: Ich wollte keinen Film über das Kochen machen. Überhaupt nicht. Ich hatte das gar nicht geplant, aber dann traf ich Edward und ich wollte filmen, wie er Zen in seinem Kochunterricht vermittelt.

Mister Brown, seit wann sind Sie als Zen-Priester tätig und wie kam es zu der Kombination Zen und die Kunst zu kochen?

Edward Brown: Das ist schon eine Weile her. 1965 begann ich mich für Zen zu interessieren. Zwei Jahre später lebte ich im Tassajara Zen Mountain Center in Kalifornien. Am 11. September 1971 wurde ich zum Priester geweiht, so kam es, daß ich am schicksalsträchtigen 11. September 2001 meinen 30. Jahrestag hatte. Mit dem Zen-Studium begann ich auch zu kochen. Ich fand es sehr interessant, denn von Anfang an merkte ich, daß es gar nicht so leicht ist. Man kann verstehen, warum die Leute nicht so viel kochen. Es ist einfach so anspruchsvoll. Man möchte etwas schaffen, das lecker aussieht, etwas, das andere mögen und jeden glücklich macht. Dabei sorgt man sich immer, ob es gut genug ist. Ich fand es immer interessant zu sehen, wie alles entsteht. Man bietet an, was man hat, und teilt es. Das ist es.

Was sind das für Menschen, die in das Zen-Center kommen?

Brown: Das Tassajara liegt in den Bergen. Es ist sehr einzigartig. Man fährt 1000 Meter hoch und 1000 Meter runter, um dorthin zu gelangen. Sogar der Weg zum Center bremst die Besucher, denn Tassajara liegt am Ende des Weges. Die wichtigste Gemeinsamkeit der Menschen im Center ist der Wechsel. Manche beenden die Schule und fühlen sich noch nicht fertig für die Arbeitswelt und praktizieren einen Sommer lang Meditation. Andere haben etwas verloren. Die Zeit der Reflektion und der Innenkehrung hilft ihnen, wieder nach vorne zu schauen. Trauer, Beziehungskrisen, Karrierewechsel, alles führt zu Veränderungen, und Meditation ist in dieser Zeit sehr nützlich.

Sie lehren also, das Leben zu verändern, indem man mit kleinen Dingen beginnt und dann zu den größeren Projekten übergeht. Man beginnt zu kochen und geht dazu über, den Raum zu putzen, sich mit anderen zu unterhalten, es spiegelt sich wieder, in der Art und Weise, wie man mit anderen in Beziehungen tritt.

Brown: Ja, das ist die Basis. Man muß irgendwo anfangen. Zen-Meister Suzuki sagte einmal: "Du mußt nicht alles auf einmal ändern. Wenn der Wecker klingelt, steh auf." Wenn du diese eine Sache kannst, dann beeinflußt das auch die anderen Dinge in deinem Leben. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, alles zu ändern oder in Ordnung zu bringen. Nur eine Sache. Wenn du kochst, dann kochst du. Du machst immer eins nach dem anderen und das verändert alles. Er sagt auch noch etwas anderes, sehr Interessantes: "Wenn du kochst, dann kochst du nicht nur, du arbeitest auch an dir selbst und an anderen Menschen."

Ist es das, was Sie vermitteln wollen? Richtet eure Aufmerksamkeit auf die Dinge, die ihr macht, egal wie klein sie auch sind?

Dörrie: Ja, auf alle Dinge. Am Anfang des Filmes geht es nur um das Kochen und dann beginnt Edward über tiefere Dinge zu sprechen, die man auch auf das Kochen beziehen kann, doch ebenso jeden anderen Lebensaspekt betreffen. Leben und Tod, Älter werden, Krankheit, all die Sachen, die uns passieren können. Wir sind Lebewesen und diese Dinge werden passieren, denn wir leben und wir leiden.

Aber essen und kochen ist in der heutigen Zeit ein sehr schweres Thema. Es gibt viele Diskussionen darüber, welche Nahrungsmittel gut sind und welche nicht. Es gibt viele, die ihr Gewicht reduzieren wollen und dann 1000 verschiedene Möglichkeiten dafür zur Auswahl haben. Was ist für Sie das Wichtigste?

Brown: Die Welt ist so komplex und verstrickt, daß ich nicht versuche den Menschen zu sagen, was sie tun sollen und was nicht. Ich versuche sie daran zu erinnern, daß sie die Fähigkeit haben, für sich selbst herauszufinden, was sie wirklich wollen. Doris sagt auch mit dem Film: "Man soll das tun, was einem gut tut." Ich persönlich mag biologische Lebensmittel ohne Pestizide, aber mein Zen-Lehrer ging in den Supermarkt und kaufte das verdorbene Gemüse, das niemand sonst kaufen wollte. Er dachte, daß man es retten müsse und verwenden solle. Wir haben alle unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche. Er wollte das Gemüse wie Waisenkinder aufnehmen. Er wollte es nach Hause nehmen, es beschützen und ihm eine Aufgabe geben.

Dörrie: Das, was Edward unterrichtet, betrifft viele unterschiedliche Lebensthemen. Was für den einen Abfall ist, ist für den anderen ein Mittagessen.

Welches Thema hat Sie persönlich besonders beschäftigt?

Dörrie: Durch meine 16jährige Tochter sind Eßstörungen für mich ein großes Thema. Überall gibt es so junge Frauen mit Anorexie oder Bulimie. Was mich erschreckt, ist die Tatsache, daß das zentrale Problem einer Eßstörung ein fehlendes positives Selbstbild ist und die Betroffenen erst wieder lernen müssen, sich selbst zu respektieren. Darum geht es im Film, wenn Edward zeigt, wie man den perfekten Keks macht. Denn es ist unmöglich, den perfekten Keks herzustellen. Den einzigen Keks, denn man machen kann, ist der, den man selbst mag. Also sollte man versuchen der "Keks des Tages" zu sein und nicht wie all die anderen Kekse sein. Das ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Wir werden immer mehr dazu getrieben, so zu sein wie andere auch. Besonders für junge Frauen stellt dies ein großes Problem dar. Es braucht viel Mut, der Keks des Tages zu sein und nicht zu versuchen, wie all die anderen Kekse im Fernsehen oder den bunten Magazinen zu sein.

Das machen Sie aber auch mit Ihrer Arbeit. Ihre Inszenierungen, auch die im Theater, unterscheiden sich immer sehr von den gewohnten Darstellungsformen.

Dörrie: Aber haben Sie auch gesehen, was passierte? Vielen gefielen meine Kekse nicht. Sie wollten andere. Natürlich bin ich glücklich mit dem, was ich mache, denn es gibt auch wieder andere Menschen, die gerne diese Kekssorte probieren wollen.

Brown: Was wir essen und was nicht, scheint ein großes Problem in unserer reichen Welt zu sein. Kulturen, die so reich sind wie unsere, haben die meisten Probleme mit dem Essen. Hier treten die meisten Eßstörungen auf. Vielleicht hat es damit zu tun, wie man ißt. Danke ich im Gebet für das Essen? Esse ich im Stehen, sitze ich, oder esse ich unterwegs? Esse ich am Tisch oder im Auto?

Dörrie: Aber, wenn ich kurz unterbrechen darf, ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, Traditionen in einer kleinen Familie aufrechtzuerhalten. Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, und es war leicht, diese Rituale einzuhalten, denn jeder tat es. Wir hatten einen großen Tisch, wo wir uns alle trafen. Aber bei einer dreiköpfigen Familie daran festzuhalten, das ist viel schwerer. Die Kinder fragen, warum sie das machen sollen, und haben auch noch anderes zu tun. Man kommt selbst spät von der Arbeit heim, und alles fällt immer mehr auseinander. Es ist viel schwerer, alles zusammenzuhalten, als wenn es jeder einfach tun würde.

Brown: Alles ändert sich. Aber es ist nicht nur, was man ißt, sondern auch, wie man damit umgeht. Sehe ich mich als Maschine, die nur Energie aufnimmt, oder ist es mehr? Wenn die Nahrungsmittel einen Wert haben, dann habe auch ich einen Wert. Alles ist miteinander verbunden.

Foto: Kochen ist auch eine Kunst: Doris Dörrie drehte einen Film mit dem kochenden Zen-Priester Edward Brown. 


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