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12.05.07 / Der Mann, nach dem der Karlspreis heißt / Das Bild des von der EU instrumentalisierten Kaisers hat im Laufe der Jahrhunderte manche Wandlung erfahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-07 vom 12. Mai 2007

Der Mann, nach dem der Karlspreis heißt
Das Bild des von der EU instrumentalisierten Kaisers hat im Laufe der Jahrhunderte manche Wandlung erfahren
von Manfred Müller

Für die europäische Einigungsbewegung wird Karl der Große gerne als überragende Vaterfigur in Anspruch genommen. Seit 1950 konkretisiert sich das am Himmelfahrtstag, wenn in Aachen in einer feierlichen Zeremonie der europäische Karlspreis verliehen wird: für Verdienste um die "abendländische Einigung" in Politik, Wirtschaft und Kultur. Begünstigt wurde dadurch bei den Deutschen (weniger bei ihren europäischen Nachbarn) das Vordringen einer Europaideologie, die in der europäischen Einigung nicht so sehr eine zeitgemäße Ergänzung des Nationalen, sondern vor allem die Chance einer vollständigen Überwindung des Nationalstaats sieht.

Der Name des Preises, den dieses Jahr EU-"Außenminister" Javier Solana für "herausragendes Engagement für einen substantiellen Beitrag Europas zu einer sicheren und gerechteren Welt" erhält, ruft recht unterschiedliche Karlsbilder wach, die sich im Laufe der Geschichte gebildet haben. Das Bild des großen Europäers Karl ("Vater des Abendlandes") geht auf den Lobpreis einiger Literaten zurück, die Karl schon zu seiner Zeit den "pater Europae" ("Vater Europas") nannten. Bei diesem Ehrentitel dachten sie an die Impulse, die Karls Herrschaft dem Leben der abendländischen Christenheit gegeben hatte. Dieses Karlsbild, im 20. Jahrhundert aktualisiert und manipuliert, überschneidet sich mit der Vorstellung vom idealen Herrscher des Mittelalters, vom heiligen Bekenner des christlichen Glaubens, vom antimuslimischen Heros. Viel jüngeren Datums sind im deutschen Kulturraum die Vorstellungen vom germanischen Recken Karl oder (im Gegensatz dazu) vom undeutschen Herrscher, vom "Römling", dem "Sachsenschlächter".

Als der Karlspreis gestiftet wurde, mußten die Initiatoren kaum Rücksicht auf das Bild vom undeutschen Herrscher nehmen, auch nicht auf die ähnlich diffamierende Vorstellung vom germanischen Barbaren Karl, die in Frankreich zeitweise verbreitet war. Auch das Horrorbild von Karl dem "Sachsenschlächter" konnten sie leicht beiseite schieben, da diejenigen, die es vor allem im Dritten Reich propagiert hatten, historisch diskreditiert waren. Unangenehm war, daß ausgerechnet Hitler diesem Bild die staatliche Sanktion entzogen, ja daß er Karl positiv gewürdigt und für seine Politik instrumentalisiert hatte.

Auf dem Reichsparteitag der NSDAP wandte sich Hitler 1937 gegen die Richtung Rosenberg / Himmler, ohne sie namentlich zu nennen: "Die erste staatliche Zusammenfügung deutscher Menschen konnte nur über einer Vergewaltigung des völkischen Eigenlebens der einzelnen deutschen Stämme zustande kommen." Eine solche "Vergewaltigung" war beispielsweise 782 das Blutbad bei Verden an der Aller, bei dem Karl 4500 rebellierende Sachsen hinrichten ließ. Über diese Zahl und die Umstände haben die Historiker lange gestritten. Für Hitler war Karl trotz aller Härte bei der Eingliederung der Sachsen ins Frankenreich eine der ganz großen Gestalten der Weltgeschichte. Mochten die Verächter Karls für die antichristliche Propaganda auf die Verherrlichung von dessen Widersacher Widukind zurückgreifen, Karl sollte jedoch, so Hitlers Wille, nicht mehr diffamiert werden.

Zur 1200. Wiederkehr von Karls Geburtstag stellte die Reichspost 1942 einen Stempel her: "Großdeutschland gedenkt Karls des Großen". Auf dieser Linie lag auch, daß für französische und wallonische Freiwillige der Waffen-SS die Division "Charlemagne" gebildet wurde. Das alles lief darauf hinaus, daß die offizielle NS-Version in Karl den Schöpfer einer europäischen Ordnung aus germanischer Kraft sah.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine solche Würdigung Karls ganz und gar unmöglich. Karl galt nun als der christlich-europäische Kaiser. Die Heiligkeit Karls ließ man dabei weitgehend unberücksichtigt. Zum einen war die Heiligsprechung Karls vom 29. Dezember 1165 durch den kaiserfreundlichen Gegenpapst Viktor IV. eine allzu durchsichtige politische Maßnahme gewesen. Zum anderen entsprach Karl sicher nicht den strengen Anforderungen, die im 20. Jahrhundert an eine Kanonisation gestellt wurden (man denke nur an die "Mätressenwirtschaft" des Herrschers). Ohne Zweifel war das Karlsreich stark christlich geprägt. Dies wirkte inspirierend auf die Initiatoren des Karlspreises und auf die führenden Europapolitiker der damaligen Zeit wie Konrad Adenauer, Alcide de Gaspari oder Robert Schumann.

Karl der Große war über die Jahrhunderte hin bei Deutschen, Franzosen, Italienern und den Bewohnern der historischen Niederlande eine der großen populären Herrschergestalten, dies nicht nur bei den Gebildeten, sondern auch in breiteren Volksschichten. Zahllose mündliche und schriftliche Überlieferungen zeugen vom Karlsmythos. Diesen nutzten die Europapolitiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf der Aachener Karlsausstellung von 1965, veranstaltet vom Europarat, wurde Karl als "der erste Baumeister Europas" gefeiert - von den Historikern damals noch durchweg akzeptiert.

Heute werden die europäischen Einschätzungen und Auszeichnungen Karls von Mediävisten stark relativiert. So etwa von Michael Borgalte: "Es steht aber fest, daß der Europabegriff im Mittelalter nicht klar umrissen war und insgesamt wenig gebraucht wurde; von einer klaren Vorstellung über Europa kann weder in der Zeit Karls des Großen noch in den späteren Jahrhunderten die Rede sein. Wenn manche Historiker trotzdem heute noch Karl als ,Vater Europas' bezeichnen oder dem großen Franken gar attestieren, für ihn sei ‚Europa' schon Realität gewesen, so erzählen sie den alten Mythos weiter, ohne die Forschungsentwicklung zu berücksichtigen." Richtig bleibt aber bei einer nüchternen Betrachtungsweise, daß Karl, wie schon Leopold von Ranke meinte, der Stifter der romanisch-germanischen Völker- und Staatengemeinschaft geworden ist, die sich lange als christlich verstand.

Mit diesem Befund und mit bestimmten Aspekten des Karlsmythos, wie dem Karls als dem Gottesstreiter gegen Heiden und Muslime, hat ein Großteil der heutigen Eurokraten Schwierigkeiten. Karl muß im Sinne von Multikulti zurechtstilisiert werden. Bei einem Blick in heutige deutsche Geschichtsbücher kann man sehen, wie das gemacht wird.

Am stärksten hat Karl im Lauf der Jahrhunderte Deutsche und Franzosen beeindruckt - weniger der historisch verbürgte als der mythisch verklärte Kaiser. Den Franzosen galt ihr Charlemagne von alters her als Franzose und als heldischer Gründer Frankreichs, während für die Deutschen traditionell Karl der erste deutsche Kaiser ist. Aber in Wirklichkeit war er weder Deutscher noch Franzose, sondern germanischer Franke. Denn zu seiner Zeit hatte die Volkwerdung der Franzosen, Deutschen und Italiener erst zaghaft begonnen und sollte sich noch Jahrhunderte hinziehen.

Die Abendland-Schwärmerei der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ist längst verklungen. Geblieben ist die Verleihung des Karlspreises. Eines fällt in den letzten Jahren dabei immer mehr auf: Die Ausweitung der Europäischen Union, ihre technokratische Ausgestaltung und die Abwendung von christlich-abendländischen Traditionen führen bei der jährlichen Würdigung des Preisträgers zu politischen Deutungsmustern, die zwar politisch korrekt sein mögen, der Karlsüberlieferung aber wenig entsprechen.

Foto: Karl der Große: Statue in der Krypta des Zürcher Großmünsters 


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