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19.05.07 / Der das Dunkel sichtbar machte / Berührungslose Temperaturmessung und Fernerkundung wurden durch Wilhelm Wien erst möglich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-07 vom 19. Mai 2007

Der das Dunkel sichtbar machte
Berührungslose Temperaturmessung und Fernerkundung wurden durch Wilhelm Wien erst möglich
von Wolfgang Thüne

Er ist einer der berühmtesten Söhne Ostpreußens und dennoch weitestgehend unbekannt. Er ist der zwölfte Nobelpreisträger der Physik und wird selbst unter Physikern nur wenig genannt. Er ist ein Produkt des klassischen preußischen Humboldt'schen Bildungsideals, eines Bildungssystems, das vorbildlich in der Welt war. Doch wer war Wilhelm Wien?

Wer ist diese fast vergessene Geistesgröße, die der Welt ein Gesetz schenkte, das Unsichtbares sichtbar machte? Wilhelm Carl Werner Otto Fritz Franz Wien wurde am 13. Januar 1864 in dem Örtchen Gaffken bei Fischhausen in Ostpreußen geboren. Sein Vater war der Rittergutsbesitzer Carl Wien. 1866 zog die Familie nach Drachstein im Kreis Rastenburg. Nach dem Abitur in Königsberg 1882 studierte Wilhelm Wien Physik an den Universitäten Göttingen und Berlin. Im Jahre 1886 erlangte er seinen Doktortitel und arbeitete danach als Assistent des berühmten Physikers Hermann von Helmholtz an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. 1892 habilitierte er sich und entwickelte in den Jahren 1893/94 zuerst das "Wiensche Verschiebungsgesetz" und dann 1896 das "Wiensche Strahlungsgesetz". 1911 erhielt Wilhelm Wien den zwölften Nobelpreis für Physik als Anerkennung für seine großartigen Arbeiten zur Wärmestrahlung.

Was ist das Außergewöhnliche an der Leistung von Wilhelm Wien? Die allen Menschen wohl vertraute Wärmestrahlung ist ein volkstümlicher Begriff für die Infrarotstrahlung. Diese ist für unser menschliches Auge unsichtbar. Sie wird von jedem Körper ausgesandt, in Abhängigkeit von seiner Temperatur. Diese Strahlung wird daher auch "Temperaturstrahlung" genannt und verhält sich wiederum physikalisch wie jede elektromagnetische Strahlung.

Der Übergang von der sichtbaren zur unsichtbaren Sonnenstrahlung, die beim Sonnenbad als wohltuende Wärme empfunden wird, liegt bei 0,78 Mikrometer (µm) Wellenlänge. Die unsichtbare Wärmestrahlung wurde von Friedrich Wilhelm Herrschel im Jahre 1800 entdeckt. Er ließ das weiße Sonnenlicht durch ein Prisma fallen und spaltete es in seine Regenbogenfarben auf. Dann legte er in jeden Lichtkegel einer Spektralfarbe ein Thermometer. Hinter das Feld mit dem roten Licht legte er ein weiteres Thermometer und stellte fest, daß an dieser Stelle eine höhere Temperatur angezeigt wurde als in den Lichtkegeln des Spektrallichtes: Die für unser Auge unsichtbare, zunächst "Ultrarot", später "Infrarot" genannte Strahlung war entdeckt.

Während das sichtbare Licht die Erde und alle Gegenstände auf ihr unendlich bunt erscheinen läßt, wird die Erde hauptsächlich durch die Strahlung im nicht sichtbaren infraroten Bereich erwärmt. Die Sonne liefert Strahlungsenergie, die nach dem langen Weg durch Weltall und Erdatmosphäre schließlich von der Erdoberfläche absorbiert wird. Die Erde ist also Empfänger solarer Strahlungswärme, zugleich strahlt sie empfangene Energie wieder ab - als terrestrische Wärmestrahlung. Beide Strahlungen haben verschiedene Temperaturen und damit auch unterschiedliche Wellenlängen.

Doch wie hängen Temperatur und Wellenlänge zusammen? Dies in eine Formel gekleidet zu haben, ist das große Verdienst von Wilhelm Wien. Das "Wiensche Verschiebungsgesetz" beschreibt die Veränderung der Wellenlänge entsprechend zur Temperaturänderung. Wird ein Körper erwärmt, steigt seine Temperatur, so verschiebt sich die Wellenlänge in den kürzeren Frequenzbereich, sinkt sie, so wandert die Wellenlänge in den längeren Frequenzbereich. Erhitzt man ein Hufeisen, so wird ab einer bestimmten Temperatur die zunächst unsichtbare Wärmestrahlung sichtbar, zuerst als Grauglut, dann als Rot-, Gelb- und schließlich Weißglut: Je heißer, desto heller, desto kürzer die Frequenz der Strahlung.

Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis aus Wiens Grundlagenforschung moderne Hochtechnologie wurde: Spezielle Filme in sogenannten Infrarot- oder Wärmebildkameras zeichnen die Frequenzunterschiede der unsichtbaren Wärmestrahlung auf - je wärmer, desto kürzer die Frequenz. Infrarotkameras sind ein technisches Meisterwerk und wurden nach der Kuba-Krise Mitte der 60er Jahre entwickelt. Erst sie ermöglichten die militärisch wichtige und inzwischen unverzichtbare nächtliche Luftaufklärung. Nun war es möglich, die Nacht zum Tage zu machen, denn jeder Körper verrät sich durch die ihm eigene und nur von seiner Temperatur abhängende Wärmestrahlung. Diese durchdringt jedes perfekte Tarnnetz.

Dank Wilhelm Wien war lange nach seinem frühen Tod im Jahre 1928 die berührungslose Temperaturmessung möglich geworden, war die Fernerkundung geboren. Von Hubschraubern, Flugzeugen und Satelliten war es möglich, jeden Gegenstand über seine Infrarotstrahlung zu orten. Seit 1977 sind alle europäischen Wettersatelliten mit Infrarotkameras ausgerüstet, kann der Tagesgang der Erdoberflächentemperaturen fotografiert und nachvollzogen werden. Dies ist aber nur deswegen möglich, weil in dem Wellenlängenbereich zwischen etwa acht und 13 Mikrometer die Atmosphäre durchsichtig oder transparent ist, ein stets offenes "atmosphärisches Strahlungsfenster" besitzt.

Wilhelm Wien reiht sich ein in die Reihe der großen Experimentalphysiker des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Licht war ja seit Sir Isaac Newton zum Gegenstand der physikalischen Forschung geworden. Jahrhunderte ist gestritten worden, ob das Licht Welle oder Korpuskel ist, bis die Physik sich zu der Erkenntnis durchrang, daß Licht sowohl Welle als auch Korpuskel ist und gemäß Max Planck aus Quanten oder nach Albert Einstein aus Photonen besteht. Wenn die Polizei in finsterster Nacht per Hubschrauber mit Hilfe von Wärmebildkameras auf Verbrecherjagd geht, Tornados nächtliche Aufklärung betreiben oder Spionagesatelliten jede Bewegung und Tätigkeit auf der Erdoberfläche überwachen, dann geschieht dieses per Umsetzung einer Strahlungsinformation in eine Temperatur, wobei die Eichung der Wärmebilder nach dem Wienschen Verschiebungsgesetz funktioniert.

Wilhelm Wien baute auf den Erkenntnissen seines berühmten Landsmannes Gustav Robert Kirchhoff auf, der am 12. März 1824 in Königsberg geboren wurde. Kirchhoff ist nicht nur bekannt für seine Regeln der elektrischen Stromkreise. Kirchhoff hat auch zusammen mit Robert Wilhelm Bunsen die Elemente Caesium und Rubidium entdeckt.

Beide erklärten sehr spät auch die schon 1814 entdeckten dunklen "Fraunhoferschen Linien". Nach zahllosen Experimenten hatten sie herausgefunden, daß es sich um Absorptions- und ebenso Emissionslinien von Molekülen in der Sonnenatmosphäre handelt. Kirchhoff und Bunsen begründeten die Spektralanalyse und legten damit die Grundlagen für die moderne Astronomie und Astrophysik. Über die Spektrallinien konnte man nun die stoffliche Zusammensetzung von Sternatmosphären bestimmen.

Der Königsberger Kirchhoff konstruierte auch den "Schwarzen Körper" als Eichkörper für das "Wiensche Verschiebungsgesetz", wonach Wellenlänge und Temperatur in direkte Beziehung gesetzt werden können. Von Kirchhoff stammt auch das "Kirchhoffsche Strahlungsgesetz". Es besagt, daß Materie gleich welcher Art eine elektromagnetische Strahlung aussendet, die je nach Temperatur sichtbar oder unsichtbar ist. Emission und Absorption erfolgen bei festen und flüssigen Körpern wie der Erde kontinuierlich über ein breites Wellenlängenspektrum mit einem genau bestimmbaren Maximum, bei Gasen dagegen aber nur diskontinuierlich, selektiv, stoffspezifisch. Jeder gasförmige Stoff kann daher anhand seiner nur ihm eigenen Spektrallinien identifiziert werden - wie Menschen anhand ihrer unterschiedlichen Fingerabdrücke. Gustav Kirchhoff starb in Berlin am 17. Oktober 1887. Er wäre des ersten Nobelpreises für Physik im Jahre 1900 würdig gewesen.

Das Konzept des "schwarzen Körpers" inspirierte nicht nur Wilhelm Wien, sondern auch die Physiker Stefan und Boltzmann und insbesondere Max Planck, der nach Isaac Newton die Quantennatur der Strahlung nachwies und 1900 die Quantenphysik begründete und die Periode der klassischen mechanischen Physik beendete. Max Planck erhielt im Jahre 1919 den Nobelpreis für Physik. Daß Kirchhoff und Wien solch ein Schattendasein führen, liegt in der unglückseligen Trennung zwischen den reinen Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften, der Trennung zwischen Natur und Kultur. Doch auch Naturwissenschaftler sind Kulturträger allerersten, ja höchsten Ranges und exzellente Geisteswissenschaftler. Wer das Erbe ostpreußischer Kultur hegen und pflegen will, darf solche Kultur- und Geistesgrößen wie Kirchhoff und Wien nicht geringer stellen als Agnes Miegel, Käthe Kollwitz oder Lovis Corinth. Daß nachts nicht mehr alle Katzen grau sind, das verdanken wir dem Nobelpreisträger Wilhelm Wien aus dem kleinen Gaffken bei Fischhausen im Samland.

 

Wien, Kirchhoff und das Klima

Schlag nach bei den alten Ostpreußen - Etwa 50 Prozent des "Sonnenlichts" erreichen die Erdoberfläche als Wärmestrahlung im Infrarotbereich mit einer Wellenlänge von drei Mikrometer - die andere Hälfte des Sonnenlichts "beleuchtet" unseren Planeten. Der Lichtanteil wird von den angestrahlten Gegenständen reflektiert und von unserem Auge wahrgenommen. Die infrarote, nicht sichtbare Wärmestrahlung wärmt die Erdoberfläche.

Die Erde gibt wieder Wärme ab - denn nach den Gesetzen der Natur muß jeder Körper Wärme als Strahlung abgeben - theoretisch frei von Wärmestrahlung sind nur Körper, die auf den absoluten Nullpunkt von -273 Grad Celsius ausgekühlt sind.

Man kann die Strahlung sogar exakt berechnen: Sie steigt proportional der vierten Potenz der absoluten Temperatur eines Körpers und kann einfach mittels des Stefan-Boltzmann-Gesetzes abgeschätzt werden. Hätte die Erdoberfläche eine Einheitstemperatur von +15 Grad Celsius, dann läge das Maximum der abgestrahlten Energie bei einer Wellenlänge von 10 Mikrometer (µm). Hätte sie eine Temperatur von -80 Grad, so läge das Maximum bei 15 Mikrometer.

Diese feste Beziehung zwischen Temperatur und Wellenlänge der Strahlung gilt für feste Materie und Flüssigkeiten, nicht aber für Gase. Dieses physikalische Grundprinzip wird in der aktuellen Klimadiskussion regelmäßig übersehen. Dabei sind die Gesetzmäßigkeiten der Temperaturausbreitung seit Wiens und Kirchhoffs Zeiten nachgewiesen.

Aus dem unterschiedlichen Verhalten von fester Materie und Gasen läßt sich auch nachweisen, warum das Kohlendioxid nicht wie die Wände eines Treibhauses die Wärme in der Atmosphäre halten kann - die Gase haben physikalisch gesehen "offene Fenster". Fenster, durch die Satelliten die Wärmestrahlung von der Erdoberfläche messen können, und durch die auch die Hitze eine Tages ins Weltall verschwindet. Dieses Phänomen kennen alle Menschen - daß sich die Erde nach einem heißen Tag in der Nacht unter 10 Grad abkühlen kann. Und ohne dieses unterschiedliche Temperaturverhalten von Gasen und fester Materie wäre auch ein ganz natürlicher Vorgang nicht zu erklären: der Tau an einem frühen Morgen. W. T.

Foto: Thermogramm eines Wohnhauses: Die Kontraste sind fast so deutlich wie bei einer konventionellen Tagesaufnahme.


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