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26.05.07 / Das Schweigen der Kinder / Erziehung ist mehr als Essen aufwärmen und den Fernseher anstellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-07 vom 26. Mai 2007

Das Schweigen der Kinder
Erziehung ist mehr als Essen aufwärmen und den Fernseher anstellen
von Mariano Albrecht

Zappelig, agressiv und nervös, immer mehr Kinder sind verhaltensauffällig und kapseln sich von der Erwachsenenwelt ab. Mangelnde schulische Leistungen und gestörte soziale Kontakte lassen bei Pädagogen die Alarmglocken läuten. Was passiert mit unseren Kindern? Spätestens seit der Pisa-Studie wissen wir, daß mit unserer Jugend etwas schiefläuft.

Die jüngste Erkenntnis liefert uns das Internationale Kinderhilfswerk Unicef. Ein Vergleich von 21 Industrienationen ergab, daß in deutschen Familien am wenigsten mit den Kindern gesprochen wird. Hat es uns die Sprache verschlagen? Im Zeitalter der Handys, des Internet, und des allgegenwärtigen Fernsehens wird in vielen Familien kaum noch über die großen und kleinen Dinge des Lebens gesprochen. 15 Prozent der von Unicef Befragten geben an, daß sie mit ihren Eltern nicht über ihre Probleme reden können. Bekommen wir tatsächlich alle Antworten aus den Medien - kein Redebedarf?

Pädagogen geben den Medien die Schuld an der Sprachlosigkeit in den Familien. Computer sind keine Gesellschaftsspiele, jeder klickt für sich allein. Vom Segen zum Fluch, 76 Prozent aller Kinder zwischen sechs und 13 Jahren haben Zugang zu einem Computer.. Während die jüngeren den PC noch für einfache Spiele und zum Lernen nutzen, steht bei den 13- bis 17jährigen das Mitteilungsbedürfnis im Vordergrund. Mittels E-Mail, Messenger oder Chat-Programmen werden so täglich mehrere Stunden am Gerät verbracht. Technik, die zur Überwindung von Entfernungen gedacht war, ersetzt nun den persönlichen Kontakt in die direkte Nachbarschaft, der Beginn der Sprachlosigkeit.

Selbst die Jüngsten werden an die elektronischen Medien herangeführt. In den 90er Jahren wurde in Großbritannien das Fernsehen für Kleinkinder erfunden. Mit den "Teletubbies" holten die Engländer schon Drei- bis Vierjährige vor die Glotze. Gesichtslose Plüschpuppen plapperten in Babysprache und hüpften durch künstliche Landschaften.

Ein Milliardengeschäft für die Fernsehindustrie und ein pädagogisches Desaster für die Familienkultur. Gestreßte Eltern empfanden den flimmernden Babyparkplatz als Erleichterung, nicht ahnend, welch verheerende Auswirkungen die zunehmende Medienpräsens, für die heranwachsende Generation haben könnte.

Es ist an der Zeit, über Grundsätzliches nachzudenken. Ist die Misere an unseren Schulen schuld, daß Kinder immer früher oder überhaupt gewalttätig werden? Sind unmotivierte Lehrer schuld, wenn Kinder im Alter von 13 Jahren nicht vernünftig lesen können? Haben sich Eltern durch den Einfluß von Medien und Technik selbst so weit von ihren Kindern entfern, daß sie nicht mehr in der Lage sind, die Entwicklung ihrer Kinder zu steuern? Als die deutsche Fernsehlandschaft noch aus zwei Sendern bestand, gab es das Kinderfernsehen, die "Sendung mit der Maus", "Plumpaquatsch" und die "Sesamstraße". Eine halbe Stunde Familienfernsehen mit Mitmachcharakter. Aufgrund der begrenzten Sendezeit und mangelnder Ausweichmöglichkeiten auf andere Programme saß man mit der ganzen Familie vor dem Fernseher und konnte Gesehenes begleiten und erklären.

Das in den 70er und 80er Jahren verbreitete Familienmodell mit dem männlichen Versorger und der treusorgenden Mutter ermöglichte eine Kindererziehung mit familiärer Nestwärme. Großeltern lebten in den 70er Jahren in Familiennähe, meist sogar unter einem Dach mit der jüngeren Generation. Märchenbücher und Gesellschaftsspiele gehörten zur Kindheit, genauso wie der Zoobesuch. Fragt man heute 13- bis 15jährige nach den Gebrüdern Grimm, bekommt man von 80 Prozent zur Antwort, das "Brothers Grimm" ein "krasser Horrofilm" aus Hollywood sei.

In der Familie des 21. Jahrhunderts herrscht kollektiver Autismus, das Überangebot an Medien verleitet zur Bequemlichkeit, jeder macht seins. Sich nach der Arbeit mit den Kindern zu beschäftigen wird von vielen Eltern als Belastung empfunden. Man ist "im Streß", Beruf und Haushalt überfordern vor allem junge Eltern, besonders wenn diese selbst sehr früh einen eigenen Haushalt gegründet haben und einer Arbeit nachgehen.

Mit der Trennung von der Großelterngeneration hat sich die moderne Familie auch vom heimeligen Familienleben verabschiedet. Computer und Fernseher haben den Platz der Alten, eingenommen, an deren Seite die heute 20jährigen schon nicht mehr gesessen haben. Doch ein modernes Familieleben kann auch in der heutigen Zeit praktiziert werden. Eine auf alle Familienmitglieder abgestimmte Tagesplanung kann aus einem tristen Alltag wieder ein erfülltes Familienleben machen.

Es gilt, gemeinsame Interessen zu finden und den Kindern Angebote zu machen. Wer seine Kinder sich selbst überläßt, überläßt sie dem unkontrollierten Einfluß der Medien. Resultate sind Vereinsamung, psychische Störungen und eine zunehmende Gewaltbereitschaft, hervorgerufen durch den unkritischen, weil unbegleiteten Konsum von Inhalten, die nahezu barrierefrei zugänglich sind.


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