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26.05.07 / Heringsbändiger / Lehrling und sogar "Dolmetscher"

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-07 vom 26. Mai 2007

Heringsbändiger
Lehrling und sogar "Dolmetscher"
von Kurt Zwikla

Mein Heimatdorf war Misken bei Drigelsdorf. Bevor wir 1939 aus der Schule entlassen wurden, fragte uns Lehrer Liese, welchen Beruf wir erlernen wollten. Als ich sagte: "Ich möchte gerne Kaufmann werden", schaute er mich an und meinte schmunzelnd: "Also Heringsbändiger!" Das war damals die Bezeichnung für einen Lebensmittelkaufmann, denn in den Geschäften wurden früher sehr gerne Salzheringe verkauft und diese Arbeit mußten die Lehrlinge verrichten.

So fuhr mein Vater dann mit mir nach Johannisburg zum Arbeitsamt, um nach einer Lehrstelle für mich zu fragen. Und siehe da, wir hatten Glück. Der Kaufmann Schulz in Gehlenburg suchte einen Lehrjungen.

Gleich am nächsten Tag fuhr ich mit meinem Vater nach Gehlenburg, um mich vorzustellen. Wir wurden dort sehr freundlich vom Ehepaar Schulz empfangen. Herr Schulz sah sich zuerst sehr gründlich mein Zeugnis an, bis er dann zu dem Schluß kam: "Du kannst am 1. Oktober bei uns als Lehrjunge anfangen."

In der Zwischenzeit waren einige polnische Frauen ins Geschäft gekommen, um einzukaufen. Sie arbeiteten auf dem nahegelegenen Gut Flokau. Herr Schulz sagte zu mir: "Du kannst mir gleich helfen." So stellte ich mich mit hinter die Theke und merkte, daß Herr Schulz die Frauen kaum verstand. Da mein Heimatdorf unweit der polnischen Grenze lag, wurde bei den älteren Leuten manchmal masurisch gesprochen. Da kannte ich mich aus. Da Herr Schulz aber aus Zinten kam und kein masurisch verstand, konnte ich mich sofort als Dolmetscher betätigen. Mein zukünftiger Lehrherr war darüber sehr erfreut und auch die polnischen Frauen waren begeistert.

Nach dem Mittagessen, das Frau Schulz für uns bereitet hatte, wurde der Lehrvertrag von Herrn Schulz, meinem Vater und mir mit folgenden Bedingungen unterschrieben: Beginn am 1. Oktober 1939 für drei Jahre, als Lohn bekam ich im 1. Jahr zwei Reichsmark, im 2. Jahr drei Reichsmark, im 3. Jahr fünf Reichsmark. Jeden 1. Sonntag im Monat hatte ich frei und konnte nach Hause fahren, neun Kilometer. Ich bekam im 1. Obergeschoß ein Zimmer, wurde verpflegt und gehörte zur Familie.

Zur Familie Schulz gehörte auch ein dreijähriges Zwillingspärchen, Waltraud und Waldemar. Wenn meine Chefin mal am Abend nicht da war, brachte ich die beiden ins Bett und sang ihnen ein Schlaflied vor oder erzählte eine Geschichte.

Nach der Flucht habe ich durch "Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung" die Familie Schulz samt den Kindern in Leichlingen im Rheinland wiedergefunden. Wir trafen uns oft und erzählten viel von der alten Zeit aus unserer masurischen Heimat und meiner Arbeit als "Heringsbändiger".


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