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02.06.07 / Oberstaatsanwalt abgestraft / Streit um U-Haft als Erziehungsmaßnahme: SPD-Senatorin geht auf erfolgreichen Juristen los

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-07 vom 02. Juni 2007

Oberstaatsanwalt abgestraft
Streit um U-Haft als Erziehungsmaßnahme: SPD-Senatorin geht auf erfolgreichen Juristen los
von Peter Westphal

Das Disziplinarverfahren, das Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) gegen Oberstaatsanwalt Roman Reusch (PAZ 21) angestrengt hat, schlug diese Woche erhebliche Wellen. Reusch leitet die Abteilung 47, welche sich ausschließlich mit jugendlichen Intensivtätern befaßt - so erfolgreich, daß sein Modell bundesweit Vorbildcharakter besitzt.

In einem Streitgespräch mit dem Hamburger Strafrechtsprofessor Bernd-Rüdiger Sonnen, "Spiegel" (19/2007), hatte sich Reusch ungeschminkt über die Situation Berliner Problemviertel geäußert. In manche Gegenden würden sich einzelne Polizeiwagen gar nicht mehr hineintrauen, da sie "sofort von einer Menschentraube umgeben" seien. Jugendliche betrachteten "die Polizei als fremde Besatzungsmacht - wie Iraker in Bagdad die Amerikaner, getreu dem Motto: Macht euch weg hier, das ist unser Kiez!"

In einem solchen Klima verschärfe sich das Phänomen jugendlicher Serientäter explosionsartig. Die Täter werden immer jünger. Mittlerweile bessern sich Sechs- und Siebenjährige ihr Taschengeld auf kriminelle Weise auf.

Reusch hatte im "Spiegel" beklagt, daß die herkömmlichen Methoden wie Freizeitarbeit, Ermahnungen, Betreuungsweisungen oder soziale Trainingskurse wirkungslos blieben. Infolgedessen müsse man oft genug zähneknirschend zuschauen, wie ein Täter noch mehr Leute "überfällt, demütigt, zusammenschlägt", weil der Gesetzgeber nicht die Handhabe gebe, die betreffenden Jugendlichen einzusperren.

Aber erst wenn die Jugendlichen in Untersuchungshaft gesessen hätten, würde ein Großteil von ihnen "nicht mehr den dicken Max" markieren. Infolgedessen greife man, "wenn es rechtlich irgendwie möglich ist, ... zur U-Haft als Erziehungsmittel". Diese in Deutschland weitverbreitete Praxis resultiere letztlich aus "purer Verzweiflung". Zu deutsch: Weil der Gesetzgeber keine angemessenen Mittel gegen solche Kriminellen geschaffen hat.

Anstatt über die Schließung dieser offenkundigen Gesetzeslücke nachzudenken, holte Justizsenatorin von der Aue öffentlich zum Schlag gegen den Oberstaatsanwalt aus und wertete seine Äußerungen als "absolut indiskutabel", da er den Eindruck erweckt habe, in Berlin werde über Intensivtäter gesetzeswidrig das Mittel der U-Haft als Erziehungsmaßnahme verhängt. Des weiteren kündigte sie Reusch ein Disziplinarverfahren an, das inzwischen eingeleitet worden ist.

Vera Junker, Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) und als SPD-Mitglied Parteigenossin der Justizsenatorin, hat von der Aue in einem offenen Brief vorgeworfen, erst selber für die Eskalation gesorgt zu haben. Nicht durch Reuschs Äußerungen sei der Eindruck entstanden, daß in Berlin rechtswidrig U-Haftbefehle gegen Intensivtäter erlassen würden, "sondern weil sie als Senatorin der Justiz diesen Eindruck erst konstruiert" habe. Zudem seien die Auslassungen der Senatorin "nicht nur fern der Realität", sie stellten darüber hinaus "alle Beteiligten, die an der Entscheidung über einen Haftbefehl gegen einen Intensivtäter beteiligt sind, unter einen ungeheuerlichen Generalverdacht."

Der Umgang mit Reusch sei auch deshalb inakzeptabel, weil öffentliche Äußerungen zu personellen Einzelmaßnahmen für einen Dienstherren "tabu" zu sein hätten, da der betroffene Beamte sich nicht öffentlich dagegen wehren könne. "Selbstverständlich" habe der Erlaß und die Vollstreckung eines Haftbefehls auch eine erzieherische Wirkung. Dies sei zwar eine Nebenfolge, aber als solche "durchaus erwünscht".

Das Berliner Abgeordnetenhaus befaßte sich vergangenen Dienstag in seiner aktuellen Stunde mit dem Fall. Anstatt indes über die durch das "Spiegel"-Interview aufgedeckte Gesetzeslücke zu sprechen, die die Politik zu schließen hätte, wurde im Wesentlichen nur über die Stillosigkeit der Senatorin geklagt, die einen "Maulkorb" verhängt und den Oberstaatsanwalt in der Öffentlichkeit irreparabel beschädigt habe.

Der Kern des Streits blieb unerledigt. Der im Frühjahr eingebrachte Dringlichkeitsantrag der CDU-Fraktion, die einen Maßnahmekatalog zu entsprechenden Strafverschärfungen forderte (PAZ 14), wäre ein Ansatz gewesen. Zu den Forderungen gehörte nicht zuletzt eine Herabsetzung der Strafmündigkeit.


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