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02.06.07 / Exquisite musikalische Höhepunkte / Drei Uraufführungen in acht Tagen machten das Publikum mit einem Orchesterwerk und einer Opervon Siegfried Matthus bekannt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-07 vom 02. Juni 2007

Exquisite musikalische Höhepunkte
Drei Uraufführungen in acht Tagen machten das Publikum mit einem Orchesterwerk und einer Oper von Siegfried Matthus bekannt
von Ute Schindler

Drei Uraufführungen in acht Tagen - das ist selbst für einen viel beschäftigten Komponisten wie Siegfried Matthus ungewöhnlich. Sicher war es Zufall, daß die Termine so aufeinander fielen. Aber es zeigt auch, daß er sich über mangelnde Aufträge wahrlich nicht beklagen kann. "Nebenbei" leitet Siegfried Matthus ja noch das von ihm gegründete Rheinsberger Opernfesti-val, das junge Sänger fördert. Und so ist es wiederum nicht verwunderlich, daß bei seinen Uraufführungen auch Rheinsberger Sängerentdeckungen große Aufgaben bekommen. Den klangvollen, höhensicheren Sopran von Hyun-Ju Park - sie war in Rheinsberg als Lucia und Norma zu hören gewesen - hatte der Komponist nach eigenem Bekenntnis quasi im Ohr, als er sein jüngstes Orchesterwerk "Lamento" schuf. Kein geringerer als Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker erteilten dazu den Kompositionsauftrag. Anfang Mai wurde es dreimal in der ausverkauften Philharmonie (2400 Plätze) im Münchner Gasteig aufgeführt. "Musikalische Erinnerungen für großes Orchester und Sopransolo" beschreibt Siegfried Matthus sein Werk im Untertitel und erzählt die Geschichte der Flucht aus Ostpreußen im eiskalten Januar 1945. Im elegischen

1. Satz, dem Lamento I, erhebt das Solo-Cello ein Klagelied. Doch es geht nicht nur um die Klage. Die Streicher setzen ein und bereiten den nächsten Satz, "Kindheit" betitelt, vor. Volksliedmelodien klingen an, Flöte, Oboe, Klarinette lassen Vogelgezwitscher hören. Da ist plötzlich eine wunderbare Leichtigkeit in der Musik, mit der Matthus über eine glückliche Kindheit berichtet. Doch Unheil naht. Pauken und große Trommel künden davon. "Krieg" und "Kälte" - die nächsten beiden Sätze - machen den todbringenden Marsch (neun Kontrabässe und Schlagwerkbatterie) und den klirrenden Frost (unwirklich gläserne Töne der Streicher und Harfen) beinahe körperlich fühlbar. Das Ganze kulminiert in der "Katastrophe" mit grellen Akkorden und endet mit einem Donnerschlag des Schlagwerks.

Der Komponist meint noch heute, damals als Elfjähriger einen Schutzengel gehabt zu haben, der ihn diese Flucht überleben ließ. Im Konzert kommt dieser Part der südkoreanischen Sopranistin Hyun-Ju Park zu. Weiß gewandet steht sie hinter dem Orchester. Es bedarf keiner Worte in ihrem Gesang, der das gesamte Geschehen begleitet. Engelsgleich singt sie die Vocalisen, dem Aufbrausen des Orchesters entgegen, um schließlich im letzten Satz, dem Lamento II, den Trauergesang gänzlich zu übernehmen. Zuletzt schweben die zarten wohlklingenden Linien der Sopranstimme über dem Saal, von fast gehauchten glockenartigen Klängen der Harfe begleitet. Ein tief berührendes Werk verklingt, von Christian Thielemann und den Münchner Philharmonikern verstehend interpretiert.

Quasi umrahmt wurde die Münchner Uraufführung des "Lamento" von zwei Inszenierungen der jüngsten Matthus-Oper "Cosima": am Staatstheater Braunschweig und am Theater Gera / Altenburg. Worum geht es? Cosima Wagner, die außergewöhnliche Frau an der Seite des Musikgenies Richard Wagner, der Dirigent Hans von Bülow, ihr erster Ehemann, und der Philosoph Friedrich Nietzsche - vieles über die Beziehungen dieser Persönlichkeiten zueinander offenbaren Cosimas Tagebücher, Nietzsches Aufzeichnungen und seine sogenannten Wahnsinnszettel. Komponist Siegfried Matthus verwendet fast ausschließlich diese Originaltexte und bedient sich eines Kunstgriffs - er läßt die Oper Friedrich Nietzsche schreiben. Nietzsche hat wirklich komponiert, aber eine Oper? Egal. In jedem Fall hätte sie wohl Kompromittierendes über die Familie Wagner enthalten können, und das muß Cosima verhindern! Matthus gab der Oper diesen Rahmen, um Cosimas Beziehung zu den wichtigsten Männer in ihrem Umfeld zu interpretieren.

In Braunschweig dirigierte Jonas Alber, und Oberspielleiterin Kerstin Maria Pöhler führte Regie. Die Braunschweiger Bühne (Frank Fellmann) ist zweigeteilt. Links ein weißgekacheltes Krankenzimmer - Nietzsches letzte Lebensstation in der Jenaer Irrenanstalt. Rechts eine schwarze Schräge, den Blick auf Lebensräume der Wagners offenbarend.

In Gera nimmt die Jenaer Irrenanstalt die ganze Bühne ein. Nietzsche beschreibt Notenblätter. Um ihn herum die anderen Anstaltsinsassen, sie bewegen sich stumm, nur ab und an erklingen entrückte Laute. Ein Gazevorhang schafft Distanz zum Zuschauerraum wie zwischen Traum und Realität. Regisseur Martin Schüler hat diese Szene erfunden zur Einstimmung auf das Geschehen. Die Insassen - eindrucksvoll dargestellt vom Chor des Theaters - sind keine Idioten, sondern trotz allem Persönlichkeiten. Spannend, wie der Komponist Matthus den Philosophen Nietzsche komponieren läßt, dessen ungehörte Liebeserklärungen an Cosima. In größter seelischer Not begleitet ihn nur noch das Cello. Teruhiko Komori setzt seinen kernigem Bariton differenziert ein, läßt die inneren Qualen Nietzsches geradezu schmerzlich empfinden.

Matthus spielt mit musikalischen Formen, bemüht Wagner (Tristan, Meistersinger, Parsifal), Bizet (Carmen), grenzt die verschiedenen Handlungsstränge so voneinander ab und fügt sie gleichzeitig wieder zusammen. Das Orchester unter Leitung von Eric Solén macht das in Gera auf wunderbare Weise hörbar. Zwei Aufführungen, zwei Interpretationen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Beide vom Publikum gefeiert.

Weitere Aufführungen in Braunschweig: 27. und 29. Juni.

Foto: "Cosima" in Gera: Teruhiko Komori und Elvira Dreflen in der neuen Oper von Siegfried Matthus


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