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09.06.07 / Preußens Militär war gut integriert / In den Garnisonstädten war das Verhältnis zwischen Soldaten und Bürgern im großen und ganzen eng und symbiotisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-07 vom 09. Juni 2007

Preußens Militär war gut integriert
In den Garnisonstädten war das Verhältnis zwischen Soldaten und Bürgern im großen und ganzen eng und symbiotisch
von Carmen Winkel

Das Bild von Preußen und besonders seiner Armee wird noch immer durch die borussische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts geprägt. Das Heerwesen des 18. Jahrhunderts mit seinen "geknechteten" und "entrechteten" Soldaten bildete die Folie, vor der sich die aus patriotischen Empfindungen dienenden Wehrpflichtigen des 19. Jahrhunderts besonders leuchtend abhoben. Ausgehend von diesem Konstrukt wurde die preußische Armee im 20. Jahrhundert schließlich zum "Hort des Bösen" schlechthin stilisiert, in dem die Militarisierung einer ganzen Gesellschaft seinen Anfang genommen haben soll.

Der Weg führte, so lange Zeit der Tenor der Forschung, vom 18. Jahrhundert unaufhaltsam und gradlinig in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.

Erst in den letzten Jahren hat sich die historische Forschung von diesen allzu konstruierten Vorstellungen lösen können und dank neuer methodischer Vorgehensweisen und Fragestellungen einen neuen, unbelasteten Zugang zum frühneuzeitlichem Heerwesen in Preußen gefunden.

Der 5. August des Jahres 1653 wird allgemein als "Geburtsstunde" des stehenden Heeres in Brandenburg-Preußen angesehen. An diesem Tage bewilligten die Stände auf dem Landtag die finanziellen Mittel für den ständigen Unterhalt eines stehenden, also beständigen Heeres.

Bis dato war es in Brandenburg-Preußen, genau wie in anderen europäischen Ländern üblich, nach dem Friedensschluß die Truppen abzudanken und nur einen kleinen Teil unter Waffen zu lassen, der im Kriegsfall als "Keimzelle" für die erneute Aufstellung von Truppen dienen sollte. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, benötigte für seine ambitionierte Politik eine starke militärische Macht. Damals wie heute garantierte ein starkes Heer Unabhängigkeit und das "Mitspielen" im Konzert der Mächte.

Bei zu seinem Tod im Jahre 1688 hatte der Kurfürst bereits 30000 Mann unter seinen Fahnen versammelt, seine Nachfolger sollten daraus schließlich eine der stärksten und besten Armeen Europas formen.

Es war besonders sein Enkel Friedrich Wilhelm I., der ob der Vorliebe für seine Soldaten auch den Namen "Soldatenkönig" erhielt. Er sollte die preußische Armee entscheidend prägen. Bei seinem Regierungsantritt 1713 umfaßte die Armee bereits 36000 Mann, bis zu seinem Tod im Jahr 1740 verdoppelte er diese Zahl noch einmal. Nahezu 80000 Soldaten dienten nun im preußischen Heer.

Preußen war, obwohl es von der Zahl seiner Einwohner sowie seiner Fläche mit den Großmächten seiner Zeit nicht mithalten konnte, nach Frankreich, Österreich und Rußland zur viertstärksten Militärmacht Europas aufgestiegen. Es war dieser Gegensatz zwischen geringer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und den großen Aufwendungen für das Militär, der schon den Zeitgenossen im In- und Ausland auffiel.

In Preußen stand jeder 32. Mann unter Waffen, in Frankreich war es nur jeder 140. und in England schließlich nur jeder 560.

Ausgehend von der demographischen Bedeutung des Faktors Militär für die preußische Gesellschaft, stellt sich die Frage, wie und wo die Soldaten lebten. Fragen, denen sich die deutsche Militärgeschichte erst in den letzten 20 Jahren zugewendet hat.

Die Masse der Soldaten war in den Städten untergebracht. Mit der Einführung des stehenden Heeres erhielten auch viele brandenburgischen Städte eine Garnison.

Potsdam, die Residenzstadt der preußischen Könige, war die größte Garnison der preußischen Monarchie. Ende des 18. Jahrhunderts gehören rund 9000 der insgesamt 18000 Einwohner zählenden Stadt zum Militär. Damals gehörten auch die Frauen und Kinder der Soldaten der Militärbevölkerung an und unterstanden ebenso wie die Soldaten der Militärgerichtsbarkeit.

Das Beispiel Potsdams zeigt, welchen Einfluß das Militär auf die Geschicke einer Stadt nehmen konnte. Da Friedrich Wilhelm I. seine Leibtruppe, die sogenannten Langen Kerls, unbedingt geschlossen an einem Ort untergebracht wissen wollte, betrieb er mit voller Kraft den Ausbau des bis dahin unscheinbaren Ortes zu einer standesgemäßen Garnison für seine - wie der König sie gern nannte - "lieben blauen Kinder".

Zwei Stadterweiterungen (1722-1725 und 1733-1738) sollten das Gesicht der Stadt für alle Zeiten entscheidend verändern. Am bekanntesten dürfte das Holländische Viertel sein, das während der zweiten barocken Stadterweiterung entstand und viele Soldaten beherbergte.

Während in der Haupt- und Residenzstadt Berlin wie auch in Potsdam die besonders prestigeträchtigen und besser besoldeten "Elitetruppen" und sonstige militärische Behörden untergebracht waren, mußten die vielen kleinen, meist nur mehrere hundert Einwohner zählenden Städte das Gros der Soldaten einer Armee aufnehmen, deren Zahl sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts verdoppelte.

Doch auch in diesen kleinen Städten zog die Präsenz der königlichen Truppen infrastrukturelle Verbesserungen nach sich. So wurde in der kurmärkischen Stadt Rathenow, die rund 70 Kilometer westlich von Berlin liegt, zeitgleich mit der zweiten Stadterweiterung in Potsdam mit dem Bau einer Neustadt begonnen, um Unterkünfte für die sich vergrößernde Garnison zu schaffen. Allerdings mußten die Kommunen einen Teil der Kosten für die Militärbauten selbst tragen, doch gab eine Garnison innerhalb der Stadtmauern meist positive Impulse für die städtische Wirtschaft.

Die uniformierten Stadtbewohner konsumierten nicht nur Lebensmittel und vor allem Bier, sondern sie waren als Tagelöhner, Gesellen oder Handlanger auch selbst in der städtischen Wirtschaft tätig. Ermöglicht wurde dieser "Nebenerwerb" durch den damals geltenden, und für den modernen Betrachter etwas seltsam anmutenden, Dienstbetrieb.

Die Soldaten hielten sich nur für eine begrenzte Zeit, nämlich während der Exerzierzeit, in ihren Garnisonstädten auf. Die "Inländer", also Preußen, rekrutierten sich aus festgelegten Bezirken, den sogenannten Kantonen, die seit 1733 mit der Einführung des Kantonsystems jedem Regiment zugewiesen wurden, und verbrachten den Großteil der Zeit in ihren Heimatorten. Nur die vielen im Ausland geworbenen Soldaten lebten dauerhaft in der Stadt und verdienten sich zum kargen Sold durch allerlei Tätigkeiten ein kleines Zubrot.

Die gewerbliche Tätigkeit der Soldaten führten häufig zu Konflikten mit den städtischen Zünften, die sich über diese Konkurrenz beschwerten, die an keinerlei Zunftzwang gebunden war.

Einzig während der Exerzierzeit waren alle Soldaten in der Garnisonstadt versammelt. Die Exerzierzeit, die immer im Frühjahr stattfand, dauerte ab 1743 nur noch zwei statt drei Monate. Im Jahre 1786 wurde sie auf sechs Wochen verkürzt.

Die Exerzierzeit bedeutete für die Soldaten und für die Offiziere eine außergewöhnliche Belastung. In nur wenigen Wochen mußte das Regiment zusammen exerzieren können, um bei der jährlichen Revue vor den Augen des Königs bestehen zu können. Insbesondere die Offiziere fürchteten die Heerschau; versagten sie hier, war der Fortgang ihrer Karriere mehr als ungewiß.

Bevor die Soldaten in der Stadt untergebracht werden konnten, mußten dafür zunächst die Voraussetzungen geschaffen werden. Straßen wurden gepflastert, Ställe und Wachhäuser gebaut - sehr zur Freude der einheimischen Handwerker - und schließlich ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch Kasernen errichtet. Allerdings stellte die Unterbringung der Soldaten in Kasernen eine Ausnahme dar. Besonders in Berlin, Potsdam und später auch in Prenzlau und Neuruppin, wo der Wohnraum auf Grund der großen Garnison äußerst knapp wurde, entstanden einzelne Kasernen, meist für "beweibte", also verheiratete Soldaten. Die Mehrheit der Soldaten wurde jedoch bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Bürgerhäusern untergebracht.

Jeder Stadtbewohner war verpflichtet, einen Soldaten unter seinem Dach aufzunehmen. Von der Einquartierung befreit waren bestimmte Funktionsträger der Stadt wie Bürgermeister, Ratsherren und anderes Verwaltungspersonal. Aber auch bestimmte Berufsgruppen, die von landesherrlicher Seite gestärkt werden sollten, waren davon ausgenommen.

Diese Form der Unterbringung war bei den Bürgern äußerst unbeliebt. Es war damals zwar nicht unüblich, Fremde im eigenen Haus zu beherbergen, aber die finanzielle Belastung der Einquartierung drückte schwer auf den bürgerlichen Geldbeutel. Neben einem Zimmer hatte der Quartierwirt dem Soldaten und gegebenenfalls auch dessen Frau die Benutzung der Küche zu gestatten sowie kostenlos Feuerholz und das "Süß und Sauer" (Salz, Pfeffer und Zucker) zu stellen. Für diese Belastungen erhielten die Wirte aus der Serviskasse eine Entschädigung, die allerdings nie die tatsächlichen Kosten ausglichen. Der Servis mußte von jedem steuerpflichtigem Bürger bezahlt werden.

Der Geldbetrag, genau wie die Sachleistungen der "Natural-Einquartierung", den die Soldaten erhielten, richtete sich nach dem Dienstgrad und dem Familienstand der Soldaten. Das Einquartierungsreglement für die Kavallerie aus dem Jahre 1721 schrieb vor, daß die Soldaten von der Stadt "nichts weiter zu fordern, als das freye Quartier, Feuer und Licht". Sein Quartier sollte nicht mehr sein als eine "Gelegenheit zu schlafen, mit einigen Bett Gerathe, so gut oder schlecht, als solches der Wirth zu geben vermag". Dafür stand es ihm aber zu, mit dem Wirt im Winter die beheizte Stube zu teilen. Auf einen eigenen beheizten Raum hatte weder der gemeine Soldat noch der Unteroffizier ein Anrecht.

Ausdrücklich wurde hier auch betont: Die "Frauen der verheyrateten Reuter und Dragoner gehören mit in die Quartiere ihrer Männer, und haben die Officiere dahin zu sehen, damit die Bürger von diesen Frauen nicht zur Ungebühr belästigt noch in ihrer Nahrung gestohret und gehindert werden mögen. Wie dann aus viele eingelaufene Klagen genug erhellet".

Die Einquartierung von "beweibten", das heißt verheirateten Soldaten, war bei den Bürgern besonders unbeliebt. Der Hausherr mußte Frau und Kinder des Soldaten aufnehmen und hatte keine Verfügungsgewalt über diesen autonomen Haushalt unter seinem Dach.

Schließlich war mit der Einquartierung in Bürgerhäusern noch ein wesentliches Element verbunden: Die Soldaten unterlagen dadurch einer sozialen Kontrolle, die staatlicherseits vor allem im Hinblick auf die zum Teil "gepreßten" ausländischen Soldaten bestanden haben mag. In einer Zeit, in der Desertionen zu einem Massenphänomen in allen europäischen Armeen gehörte, stellte der Wirt somit eine wichtige "Kontrollinstanz" im Leben eines Soldaten dar.

Neben den finanziellen Belastungen und den baulichen Veränderungen in der Stadt spielte der Faktor Militär auch eine bedeutende Rolle für die Sozialstruktur einer Stadt.

Die Soldaten lebten, wie gesagt, Tür an Tür oder gar mit den Bürgern unter einem Dach. Häufig heirateten sie Frauen aus der Stadt und unterhielten freundschaftliche Kontakte zur Stadtbevölkerung. Die Soldaten, die zur Hälfte nicht aus Preußen stammten, ließen sich nach dem Ende ihrer Dienstzeit häufig in der Stadt nieder. Ein Blick in die vorhandenen Militärkirchenbücher dieser Zeit zeigt, daß Soldaten und Bürger eng miteinander verbunden waren und sich nicht, wie es die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts glauben machen wollte, feindlich gegenüberstanden.

Die häufige Wahl von zivilen Taufpaten zeigt, wie vielschichtig die Verbindungen von Militär und Gesellschaft waren. So finden sich beispielsweise in Rathenow neben Arbeitsmännern und Handwerkern unter den Paten auch Kammerherren, Apotheker und Angehörige des Stadtrates.

Noch bis zum 30. September dieses Jahres ist im Brandenburg-Preußen Museum Wustrau, Eichenallee 7A, 16818 Wustrau, Telefon (03 39 25) 7 07 98, Fax (03 39 25) 7 07 99, E-Mail: wustrau@brandenburg-preussen-museum.de, www.brandenburg-preussen-museum.de/, die Sonderausstellung "Preußische Garnisonen in Brandenburg" zu sehen. Die Ausstellung wird ergänzt durch einen Vortrag des Direktors des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Jürgen Kloosterhuis, am 30. Juni um 15 Uhr mit dem Thema ",ABC für Lange Kerls' - Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I.". Um Anmeldung wird gebeten. Das Museum kann besucht werden vom April bis zum Oktober dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr sowie vom November bis zum März dienstags bis sonntags 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt kostet 2,50 Euro.

Foto: Kaiser Wilhelm II. nimmt die Parade des Regiments "Garde du Corps" im Lustgarten ab: In der Haupt- und Residenzstadt Berlin wie auch in Potsdam waren die besonders prestigeträchtigen und besser besoldeten "Elitetruppen" untergebracht.


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