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16.06.07 / Wiederbelebung einer Totgeburt / Reform der Pflegeversicherung beginnt mit Streit in der Großen Koalition

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Wiederbelebung einer Totgeburt
Reform der Pflegeversicherung beginnt mit Streit in der Großen Koalition
von Rebecca Bellano

Das Gewürge geht weiter! So oder so ähnlich kann man die nun anstehende Reform der Pflegeversicherung überschreiben, die nach der Gesundheitsreform das zweite Meisterstück der Großen Koalition werden sollte. Doch schon die Gesundheitsreform ist ein Flickwerk aus lauter Halbherzigkeiten geworden und schon die ersten Diskussionen zur Pflegeversicherung lassen ähnliches vermuten.

Dabei liegen die Probleme auch hier ganz offen. Derzeit zahlt jeder Arbeitnehmer 1,7 Prozent seines Bruttolohnes - Kinderlose seit 2005 0,25 Prozentpunkte mehr - in die gesetzliche Pflegeversicherung. Kommt es zu einem Pflegefall, zahlt diese je nach Intensität des Pflegebedarfs und der Tatsache, ob der zu Pflegende daheim oder im Heim betreut wird, zwischen 384 Euro und 1668 Euro. Nur 20 Prozent der Leistungsempfänger sind Menschen unter 65 Jahren, die wegen geistiger oder körperlicher Behinderung, schwerer Krankheit oder nach einem Unfall fremder Hilfe bedürfen. Gut 80 Prozent sind jedoch Personen über 65 Jahren und je älter diese sind, desto höher ist der Pflegebedarf. 60 Prozent der über 90jährigen Frauen sind pflegebedürftig. Da die Menschen immer älter werden, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, alleine nicht mehr zurechtzukommen. Auf die Pflegeversicherung kommen also aufgrund der demographischen Entwicklung bei abnehmender Zahl an Einzahlern mehr Leistungsempfänger hinzu. Auch werden weniger Pflegebedürftige daheim gepflegt, was die Kosten zusätzlich erhöhen wird.

Dieses Problem ist nicht neu. Das wußten die Erschaffer der 1995 in Kraft getretenen Pflegeversicherung schon damals. Die Rürup-Kommission, die 2003 bereits ihre Reformvorschläge zur sozialen Pflegeversicherung vorgelegt hat, spricht in ihrem Papier deswegen von einem Mangel an Nachhaltigkeit, den man damals bewußt in Kauf genommen habe. In den Genuß der Leistungen kamen bisher ältere Leistungsempfänger, die kaum oder gar keine nennenswerten Versichertenbeiträge entrichtet hatten.

Doch wie will man das Lebensrisiko Pflegebedürftigkeit absichern, hierbei auch noch einen gewissen Qualitätsstandard halten, wenn die Kosten immer größer werden und von Generationsgerechtigkeit keine Rede mehr sein kann?

Die Beiträge einfach erhöhen ist schwierig, zumal man den Anstieg der Lohnnebenkosten doch gerade vermeiden will, also ist guter Rat teuer. Und auch die Wirtschaftsweisen unter Rürup geben der Großen Koalition keine wirklichen Hilfen an die Hand. Dort ist von Leistungsverbesserungen für die steigende Zahl (240 Prozent bis 2050) an Demenzkranken die Rede. Auch sollen die Leistungen für ambulante Pflege stärker an die für die stationäre angeglichen werden. Desweiteren wird beabsichtigt, die Leistungen an die steigenden Kosten anzupassen. Doch das verursacht nur mehr Kosten. Dafür sollen Rentner mehr zahlen und Arbeitnehmer einen Betrag in gleicher Höhe wie die Mehrbelastung der Rentner für die private Pflegevorsorge nutzen - wobei: Bisher gibt es kaum Versicherungen, die entsprechende Produkte anbieten. Dabei bestünde durchaus Bedarf, denn selbst wenn die Pflegeversicherung 1668 Euro Höchstsatz für die stationäre Vollpflege zahlt, deckt das nicht die Kosten eines derartigen Platzes von über 3000 Euro. Je nach Höhe der Rente der Pflegebedürftigen und eigenem Einkommen müssen Kinder jetzt schon für ihre Eltern draufzahlen. Eine Versicherung, um diesen Fehlbetrag abzudecken, böte sich längst an, doch offenbar ist dies für Versicherer kein lohnendes Geschäft.

Auch die Rürup-Kommission hat also keine wirklich guten Vorschläge und ist sich zudem noch uneins darüber, inwieweit ein Umstieg auf eine kapitalgedeckte Pflege, eine Kopfpauschale oder ein steuerfinanziertes Modell möglich sei.

Und auch in der Großen Koalition herrscht Uneinigkeit. Schon alleine der Termin, zu dem das Thema behandelt werden soll, löst Streit aus. Dem linken Flügel der SPD unter Andrea Nahles fällt nichts Besseres ein, als schon wie bei der Gesundheitsversicherung auf einen Finanzausgleich der Privat-Versicherten zu drängen. Doch die hat demnächst genug mit sich selber zu tun, da sie aufgrund der Einstellungswelle im öffentlichen Dienst in den 70er Jahren dringend Reserven zurücklegen muß.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die zusammen mit Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) an einem Reformentwurf arbeitet, hat bereits eine Beitragssteigerung von 0,5 Prozentpunkten angekündigt, doch hiermit sollen vor allem die Leistungen für Demenzkranke verbessert werden. Die Union wünscht sich den Aufbau eines Kapitalstocks, um die Risiken aus der demographischen Entwicklung abzudecken. Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, hat zudem mehrmals von einer Art Riester-Pflege gesprochen, indem der Staat private kapitalgedeckte Vorsorge für den Pflegefall steuerlich unterstützen würde.

Und während die Politiker sich widerwillig an eine überfällige Reform rantasten, melden die meisten Pflegeheime Notstand. Da sie schon jetzt mit ihrem Geld nicht auskommen, gibt es zu wenig Personal. Das wiederum mindert Qualität und Quantität der Pflege.


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