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16.06.07 / Müsli-Riegel für die Rebellen / Unter ungebetenen Zaungästen - Aus dem Unterholz der Protestkultur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-07 vom 16. Juni 2007

Müsli-Riegel für die Rebellen
Unter ungebetenen Zaungästen - Aus dem Unterholz der Protestkultur
von Peter Westphal

Auf den Einwand, daß die bis zu 16000 Demonstranten, die zeitweise sämtliche Zufahrtsstraßen zum Tagungsort des G8-Gipfels in Heiligendamm blockiert hatten, doch viel weniger Legitimation besäßen als die gewählten Staatsoberhäupter, die sich hier versammelt haben, antwortet ein etwa 20jähriges, als Clown kostümiertes Mädchen mit den Worten: "Das geht ja jetzt gar nicht." Das Gespräch ist damit abrupt beendet. Und somit auch der Versuch, einen Akteur der Protestbewegung mit seinem eigenen Weltbild zu konfrontieren. Dabei ist diese Begegnung symptomatisch, steht sie doch für die scheinbare Unmöglichkeit, sich mit der weitgefächerten Widerstandsszene gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm einigermaßen rational auseinanderzusetzen.

Eine Annäherung scheint zunächst nur indirekt möglich - über die bloße Dokumentation der Rückendeckung, welche die zwischen paramilitärischer Disziplin und Woodstock-Gefühl agierenden Jugendlichen vor Ort genießen. Abgesehen von den Bauern, denen die Felder kaputt getrampelt und die Umzäunungen gestohlen wurden, gibt es andererseits zahlreiche Einwohner, die den Protestlern ihre Hilfe angedeihen lassen. Sei es, daß sie ihr Grundstück für das Zeltlager zur Verfügung stellen, die Teilnehmer der Straßenblockaden mit Trinkwasser versorgen oder Sanitärgelegenheiten bereitstellen. Doch das ist längst nicht alles: Selbst die öffentliche Infrastruktur unterstützte die G8-Gegner. Letztere bedanken sich nachdrücklich, indem sie über drei Tage das Straßennetz zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn phasenweise komplett lahmlegten. Aufgrund der befürchteten Krawalle war der Kurort Bad Doberan wie ausgestorben, die Schulklassen blieben leer, die Geschäfte geschlossen, die Fensterläden vernagelt.

"Ein Brett vor dem Kopf" haben offensichtlich auch die Ordnungskräfte. So wurde die Umgehung der Polizeiketten, welche die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm hatten absichern sollen, viele Wochen vorher in ganz Deutschland in aller Öffentlichkeit geübt, selbst im unmittelbaren Umfeld des Tagungsortes. Polizeieinheiten standen am Straßenrand direkt daneben und guckten einfach nur zu, wie die späteren Blockadesieger ihre berüchtigte "Fünf-Finger-Taktik" übten und sie Pressevertretern vor Ort erläuterten. Hinter der Fünf-Finger-Taktik verbirgt sich Bildung von Personengruppen, bei denen sich fünf Mitglieder jeweils einer Bezugsperson, einem Unterführer, zuordnen. Sobald dieser seine Faust hebt und die Finger spreizt, ist es das Signal für die anderen, in verschiedenste Richtungen auseinanderzulaufen, um so durch die irritierte Polizeikette zu schlüpfen. In einer grandiosen Weise stürmten sie so die Allee nach Heiligendamm und setzen sich direkt vor das Kontrolltor am Zaun.

Taxifahrer berichteten derweil, daß Städte und Gemeinden sie um ihre potentiellen Fahrgäste bringen. So wurden in der Stadt Rostock öffentliche Busse eingesetzt, um die anreisenden G8-Gegner kostenlos in die Zeltlager zu fahren. Diese wurden wiederum teilweise von der öffentlichen Hand unterstützt, sei es durch Zelte, Kinderspielplätze, Duschplätze oder Verpflegung. Die Beispiele ließen sich lange fortsetzen. In Kröpelin etwa wurde auf dem Marktplatz für einen kleinen Infostand der G8-Gegner extra ein Wasseranschluß gelegt - eigentlich skandalös, bedenkt man, daß die Markthändler schon seit 20 Jahre darauf warten. Ein japanischer Tourist, der mit der Szenerie konfrontiert wird, schüttelt verwundert den Kopf. Für ihn ist es unfaßbar, wie Gemeinden ihre Infrastruktur für Leute bereitstellen, die explizit anreisen, um Landfriedensbruch zu begehen.

Der Straßenverkehr um Heiligendamm kam fast vollständig zum Erliegen. Täglich, beinahe stündlich gab es neue Straßensperren durch G8-Gegner. Die Blockadesheriffs errichteten temporär ihre eigene Ordnung, da das staatliche Gewaltmonopol das Weite gesucht hatte. Jugendliche aus aller Herren Länder entschieden willkürlich, welches Fahrzeug sie passieren ließen und welches nicht. An der Pforte des fast wie ein Militärcamp gesicherten Lagers Reddelich hielten die Taxifahrer an, um Order zu erhalten, wo sie heute fahren könnten und wo wann blockiert wird. Der Staat ist hier abwesend. Manchmal kam er aber doch vorbei, zum Beispiel in einem Landrover. Dort wurde der Autor dieser Zeilen per Anhalter vom Mitarbeiter eines amerikanischen Autokonzerns mitgenommen. Der drahtige Managertyp in Radsportbekleidung kam gerade von der Blockade, wo er Kistenweise Müsli-Riegel verteilt hatte. Er ist Mitglied bei den Grünen und Bürgermeister einer umliegenden Gemeinde. Er glaubt, daß einem bei solch engagierten Leuten wie den Blockierern vor der Zukunft in diesem Land nicht bange sein braucht. Seinen etwa zehnjährigen Sohn hat er mitgenommen, es ist kurz vor Mitternacht.

Am nächsten Morgen, auf der Rückreise, zeigt sich, daß die Protestform dieser Tage Zukunft hat. Leider hat das symbolischste Schlußbild - eine Sitzblockade von Kindern im Vorschulalter - keine Kamera eingefangen: Wenige Kilometer hinter Bad Doberan sitzen diese Kleinen selbstbewußt auf der asphaltierten Feldstraße und versperren den Weg. Der Großvater steht daneben, er war zuvor selbst von der Aktion überrascht worden. "Aus Spaß geht das aber nicht, ihr müßt schon ein Ziel haben!" sagt er. Die Kinder überlegen nicht lange: "Weil die Autos hier so schnell fahren." - So ist das, wenn eine andere Welt möglich ist.

Foto: Früh übt sich: Demonstranten brachten auch ihre Kinder mit zum G8-Protest.


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