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23.06.07 / Der "Zwillingsflüsterer" sucht die Konfrontation / Polens junge Intellektuelle haben Probleme mit den Herausforderungen durch Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

Der "Zwillingsflüsterer" sucht die Konfrontation
Polens junge Intellektuelle haben Probleme mit den Herausforderungen durch Europa
von Klaus Apfelbaum

Polen sucht die Konfrontation mit seinem Nachbarn Deutschland - der EU-Gipfel in Brüssel war nur ein Schauplatz von vielen - aber warum?

An dem sprichwörtlichen polnischen "Mann auf der Straße" kann es nicht liegen, der pendelt durch halb Europa und nutzt seine Chancen wie selbstverständlich: Geschätzte 1,7 Millionen Polen - und damit jeder zehnte Arbeitnehmer des Landes - gehen inzwischen regelmäßig in den Nachbarstaaten ihrer Arbeit oder ihren Geschäften nach und wollen ihr Glück machen. Das ist Alltag auf dem Kontinent der offenen Binnengrenzen.

Unterschätzt hat man im Westen, besonders in Deutschland, die Rolle der jungen Intellektuellen, die in Warschau in die Position der politischen Berater aufgerückt sind. Als "Sherpas" arbeiten sie den Kurs der Politik aus. Polens nationalkonservative Führung, insbesondere Lech Kaczynski als Staatspräsident und Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef, läßt dem EU-Beauftragten Marek Chichocki freie Hand gegenüber Berlin. Chichocki, auch "Zwillingsflüsterer" genannt, ist der Mann, der die harte Linie gegen den Nachbarn diktiert: Er will "ein gefährliches Übergewicht Deutschlands verhindern".

Marek Chichocki ist inzwischen der bekannteste Vertreter in der Liga der jungen Deutschland-Kritiker, er müßte eigentlich zu einem besseren, weil differenzierteren Deutschlandbild fähig sein. Der promovierte 42jährige hat neben Philosophie auch Germanistik studiert und spricht fließend Deutsch. Sein Nachbarland kennt er von vielen Reisen und Studienaufenthalten, jetzt arbeitet er als Programmdirektor des Europäischen Zentrums Natolin im Süden Warschaus, der "Denkfabrik" der polnischen Regierung. Chichocki hätte das Zeug zum Weltenbürger, aber sein Geschichtsbild konzentriert sich auf einen "affirmativen Patriotismus" wie er es nennt: Er klammert sich an das staatlich sanktionierte Geschichtsbild Polens.

Daß mehr als 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eine objektivere Betrachtung der europäischen Geschichte praktiziert wird, jüngere Historiker auch in Deutschland die Fakten der Geschichte im 20. Jahrhundert unbefangen aufarbeiten, selbst die Medien die Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht mehr ausklammern und Sensationserfolge wie "Die Flucht" im Fernsehen zeigen - das trifft die polnische Gesellschaft und ihre Intellektuellen unvorbereitet: "Geschichtsrevision" ist der härteste Vorwurf an die deutsche Adresse, und damit stehen die Zeichen auf Konfrontation. "Dafür werden wir sterben", war eine ausgerufene Drohung vor dem Gipfel, zu allem Möglichen.

Vermutlich sind die deutsch-polnischen Versöhnungswerke nicht frei von Mitverantwortung für dieses Defizit im polnischen Geschichtshorizont - sie haben sich zu lange allein an das Nachkriegsschuldbekenntnis der Deutschen gebunden und stets übersehen, daß auch die deutschen Opfer des Krieges Anerkennung verlangen müssen. Diese Zeit ist gekommen.

Polens junge Intellektuelle scheinen in einen Abwehrkampf geraten zu sein - gegen die Internationalisierung ihrer Gesellschaft. Daß inzwischen die Medien Polens wie in ganz Europa international verflochten sind und natürlich auch deutsche Verlage auflagenstarke Titel im Markt haben, fördert ihren Argwohn genauso wie die Herausforderung, auch in den Gesellschaftswissenschaften sich an europäischen Standards zu orientieren. Für staatlich doktrinäre Geschichtsbilder ist da kaum noch Platz.

Aber das "Feindbild auf Abruf" ist immer noch Deutschland.

Daß die Position Warschaus eher von Ressentiments statt von Fakten geprägt ist, wird auch im Ausland bemerkt, so wie es der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer formulierte: "Man könne den Eindruck gewinnen, daß Polens Führung den Deutschen den Erfolg nicht gönnt."

Und selbst die kleinen Wahrheiten bleiben unbeachtet. Kaczynski-Kritiker Bronislaw Geremek, jetzt EU-Abgeordneter, rechnete seiner Regierung im polnischen Fernsehen vor, daß ein mittelgroßes Land mittelgroß sei, ein kleines Land klein und ein großes Land groß. "Sonst verkennt man die Realität", urteilte Geremek.


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