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23.06.07 / Preußisch diszipliniert nach vorne / Bulgarien nutzt seine Möglichkeiten und arbeitet sich an den europäischen Wohlstand heran

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

Preußisch diszipliniert nach vorne
Bulgarien nutzt seine Möglichkeiten und arbeitet sich an den europäischen Wohlstand heran
von Wolf Oschlies

Seit April 2004 ist Bulgarien Mitglied der Nato, seit dem 1. Januar 2007 auch der EU. Dreht sich jetzt Bismarck im Grabe um? Der verachtete den Balkan, der ihm nicht "die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert" war, und verabscheute die Bulgaren.

Allerdings: 1905 hat der deutsche Balkanologe Karl Dieterich den Bulgaren ein lobendes Zeugnis ausgestellt: "nüchterner, positiver Sinn", Fleiß und "zielbewußtes Handeln" zeichneten sie aus. Weil andere das auch meinten, galten die Bulgaren schon vor 150 Jahren als "Preußen des Balkans". Darauf sind sie bis heute stolz, zumal ihr "preußisches" Image ihnen derzeit ausländische Investoren in Fülle beschert: 2005 knapp 1,9 Milliarden Euro, darunter 67 Millionen aus Deutschland. Die hat Bulgarien auch nötig, da sein Lebensstandard nur ein Drittel des EU-Durchschnitts ausmacht.

Bulgarien mit seinen heute 7,7 Millionen Einwohnern stand von 1944 bis 1989 unter kommunistischer Herrschaft, die in den Anfangsjahren schlimm war, bald aber in einem gemächlichen "Joghurt-Kommunismus" mündete. Joghurt entsteht durch den "Bacillus bulgaricus", der wohl auch in der Politik aktiv war: Das einstige Agrarland Bulgarien entwickelte industrielle Kapazitäten (der Welt größter Produzent von Hebefahrzeugen), touristische Attraktivität (Meer-, Bäder- und Wintertourismus) und wurde von den Sowjets mit günstigen Öl- und Rohstofflieferungen geradezu verwöhnt. Aber diese Hilfe hatte einen verheerenden Preis, nämlich Bulgariens Rolle als Außenposten und Erfüllungsgehilfe sowjetischer Geheimdienste, wie sie beim "Regenschirmattentat" auf den Exilliteraten Georgi Markov 1978, der Verstrickung des bulgarischen "Staatssicherheitsdienstes" (DS) in das Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981, der "Zwangsbulgarisierung" der türkischen Minderheit 1984 bis 1989 und anderen Anlässen deutlich wurde.

Hinzu kamen erste ökonomische Einbußen, und das alles ließ die Bulgaren im Herbst 1989 eine radikale "promjana" (Wende) der Politik vollziehen, die von dem prominenten Dissidenten Shelju Shelev und seiner neuen "Union demokratischer Kräfte" (SDS) rigoros angeführt wurde. Gewalt war nicht im Spiel, der Kommunismus wurde eher weggelacht. Aber die Euphorie hielt nicht lange vor. Bis 1997 gelang es den zur "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP) mutierten Kommunisten mittels Koalitionen weiter zu regieren - mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft. In Bulgarien - wo man Armut mit der eleganten Aussage umschreibt, "zu Wein und Käse kannst du immer zu mir kommen" - brachen Hungersnöte und soziale Unruhen aus, der Staat war pleite und wurde vom Internationalen Währungsfonds (IMF) 1996 unter die strenge Aufsicht eines "currency boards" gestellt, das gesamte Sozialsystem brach zusammen, der Lebensstandard ging um 40 Prozent zurück. Erst eine neue SDS-Regierung unter Ivan Kostov und die 2001 überraschend siegreiche "Nationalbewegung Simeon II." (NDSV) schafften die makroökonomische Stabilisierung, die inzwischen dauerhafte Erfolge zeigt.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 2006 77,13 Milliarden US-Dollar, 10400 US-Dollar pro Kopf. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp elf Prozent, die Inflationsrate bei sechs Prozent. Bulgarien hat schon lange vor seinem EU-Beitritt hohe Brüsseler Hilfen bekommen, diese klug verwendet, weswegen man ihm die derzeit hochdefizitäre Außenhandelsbilanz nicht verübelt. Das weiß vor allem Deutschland, das Bulgariens wichtigster Außenhandelspartner ist.

Aus jüngster Vergangenheit ist nur wenig Schutt fortzuräumen: Bereits im März 1952, noch zu Lebzeiten Stalins, wurde im nordbulgarischen Lovetsch die erste "deutsche Schule" wieder eröffnet, kurz darauf folgten weitere in Sofia, Burgas, Varna und anderswo. Westdeutsche Industrielle waren früh auf der Messe in Plovdiv präsent, ab März 1964 richteten Bulgarien und die Bundesrepublik Handelsmissionen ein, ab Dezember 1973 Botschaften. Wenig Liebe empfand man für die "brüderliche DDR": Die Aversion des Staats- und Parteiführers Todor Shiwkow gegen Ulbricht war sprichwörtlich, seine Abneigung gegen den "Abgrenzer" Honecker noch größer.

Seit 1990 haben Bulgarien und Deutschland ein sehr freundschaftliches und außenwirtschaftlich expandierendes Verhältnis entwickelt. Die Messen in Hannover und Frankfurt richten traditionell "Bulgarien-Tage" aus, bei denen Deutsche sich über das Land informieren können. Momentan ist die politische Lage reichlich verworren. Seit den Wahlen vom Juni 2005 wird Bulgarien von einer Dreierkoalition aus Sozialisten (BSP), Royalisten (NDSV) und der türkischen "Bewegung für Freiheit und Recht" (DSP) regiert, die zusammen über 189 Sitze (von 240) verfügen. Premier ist Sergej Stanischew von der BSP, der auch Staatspräsident Georgi Pyrwanow angehört. Ein Kuriosum ist die NDSV, deren Führer Simeon von Sachsen-Coburg (*1937) bis 1946 als Simeon II. "Zar der Bulgaren" war, 50 Jahre im spanischen Exil lebte, 1996 nach Bulgarien zurückkehrte und von 2001 bis 2005 Premierminister war.

Die heterogene Regierungskoalition hat die Bildung von zwei neuen Parteien im rechten Spektrum provoziert.

Zum allgemeinen Entsetzen waren die bulgarischen Europawahlen vom 20. Mai 2007 ein mehrfacher Fehlschlag. Die Wahlbeteiligung lag bei kümmerlichen 28,7 Prozent, die abgegeben Stimmen verteilten sich mehrheitlich auf Links- und Rechts-Extreme. Etwas bange blickt Bulgarien auf seine europäische Zukunft, die 18 bulgarische Abgeordnete von zumeist extremistischer Observanz mitgestalten werden. Können sie Europa das wahre Bulgarien vergegenwärtigen?


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