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23.06.07 / Hoch über dem Abgrund / Gläserner Aussichtspunkt über dem Grand Canyon begeistert und macht Angst und Bange zugleich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-07 vom 23. Juni 2007

Hoch über dem Abgrund
Gläserner Aussichtspunkt über dem Grand Canyon begeistert und macht Angst und Bange zugleich
von Stefan Weissenborn

Der Grand Canyon Skywalk gilt als höchster Balkon der Welt. Doch wer das imposante Bauwerk besucht, muß auf ein Urlaubsfoto aus eigener Produktion leider verzichten, denn die Glasbrücke ist Sperrzone für Kameras. Schuld daran ist ein unachtsamer Tourist. Kurz nach der Eröffnung des gläsernen Balkons am westlichen Grand Canyon Ende März ließ er seinen Fotoapparat auf die durchsichtige Plattform fallen - und trübte somit die 1200 Meter tiefe Aussicht auf den Grund der Schlucht durch einen häßlichen Kratzer. So die offizielle Version.

Die allerdings will Günter Graul aus Aschaffenburg, mit seiner Tochter Veronique auf Rundreise im Südwesten der USA, nicht glauben: "Die wollen doch nur ihre eigenen Fotos verkaufen", ist der Gast aus Deutschland überzeugt. Begeistert sind Vater und Tochter dennoch: Nach anfänglicher Überwindung war der Skywalk für beide "ein wunderschönes Erlebnis".

Das darf auch erwartet werden: Schließlich nehmen die Hualapai-Indianer für die Herausforderung 75 Dollar, eingebunden in eine Rundtour durch ihr Reservat mit weiteren Stops. Darunter ist auch ein Besuch des Guano Point, ein ebenfalls traumhafter Aussichtspunkt, wo die Gäste sich an einem Büfett den Bauch vollschlagen können. Ein Bus pendelt von Station zu Station.

Als wir uns auf den Skywalk trauen, macht sich ein mulmiges Gefühl breit. All unserer lockeren Gegenstände entledigt, dafür aber mit Filzhüllen an den Füßen, stehen wir mit einem Schritt über dem Abgrund. Vom freien Fall trennt uns jetzt nur Glas, so dünn wie ein kleiner Finger lang. Die Dimensionen der wie ein Gemälde wirkenden rot-braunen Felsstrukturen kann das Auge nicht ermessen. Erst wenn man tief unten über dem Colorado River einen Hubschrauber entdeckt, wird einem die Höhe bewußt: Das Flugobjekt erscheint nicht größer als eine Biene aus drei Metern Entfernung.

Für Will ist all dies nichts Besonderes mehr. Zehn Stunden täglich steht der Hualapai auf dem Glas, schiebt seine Schicht als "Security". Weitere "Profis" in luftiger Höhe sind eine Frau, die die Fingertapsen der Besucher an der Brüstung ohne Unterlaß wieder wegwischt und schließlich der einzige Fotograf. 22 Dollar werden für ein großformatiges Erinnerungsbild verlangt. Immerhin: Das Werk wird mit dem Schriftzug "I did it!" veredelt.

Es getan zu haben, darauf kommt es offenbar an. Colleen Doyle aus New Jersey tastet sich wie andere auch verängstigt vorwärts, die Hände fest an der Brüstung, dort wo der Boden des 900-Tonnen-Bauwerks aus Glas und Stahl nicht durchsichtig ist und mehr Sicherheit verspricht. Nach bestandener Mutprobe findet sie: "Das ist etwas, was jeder machen sollte." Ihr Sohn Paddy und andere Kinder hingegen hüpfen unbeschwert in der transparenten Mitte umher, bringen das Hufeisen in eine leichte Schwingung und finden alles einfach nur "scary". Die kräftige Brise aber kann der Plattform nichts anhaben - Windgeschwindigkeiten bis zu 160 Stundenkilometer soll das Bauwerk aushalten. Eine Meßstation in unmittelbarer Nähe mißt die aktuellen Werte.

Andere trauen sich und der Statik nicht und drehen, obwohl sie bezahlt haben, auf dem Absatz um. Etwa fünf Besucher würden sich täglich in letzter Sekunde von dem gut 21 Meter vom Fels abstehenden Skywalk abwenden, weiß ein anderer Sicherheitsmann. Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer mal in Ohnmacht fällt.

Wer Geld sparen will, kann in direkter Nähe der gläsernen Brücke dennoch Nervenkitzel erleben. Am Westrim, der gigantischen vom Colorado in Jahrmillionen gefrästen Erdfurche, kann bis an die ungesicherte Kante herangetreten werden. Zwar ist der senkrechte Blick nicht möglich, dafür aber das Fotografieren erlaubt. Die Gewißheit, daß ein einziger Schritt den sicheren Tod bedeutet, schüchtert ein. Ein Mädchen findet dennoch die Ruhe: Sie meditiert auf einer der letzten Steinplatten. Ihr Haar weht im Wind, die Augen hat sie geschlossen.

Hier am Eagle Point - in der Sprache der Hualapai: Sá Nju Wa -, wo der Blick auf eine riesige Felsformation fällt, die an einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln erinnert, sind besondere Schwingungen in der Luft. Die Indianer glauben, daß ihre Ahnen dem Wasser entsprungen sind. Deshalb war die Errichtung des Skywalks nicht unumstritten. Vor allem ältere Stammesmitglieder forderten, das Land nicht zu berühren, da es heilig sei. Andere sagten, es müsse etwas für die Zukunft der Kinder des noch knapp 1800 Mitglieder zählenden Stammes getan werden. Daß Geld benötigt wird, kann an den ärmlichen Verhältnissen im nahegelegenen Peach Springs, dem Zuhause der meisten Hualapai, abgelesen werden.

Am Eagle Point liegen Tradition und Geschäft dicht beieinander. Das aber ist nicht erst seit Skywalk-Zeiten so. Die Hualapai vermarkten den Grand Canyon West, dem entlang sie Land in einer Länge von 170 Kilometern besitzen, schon seit rund 20 Jahren. Rafting auf dem Colorado, Helikopterflüge und Planwagenfahrten werden angeboten. Für Spiritualität war noch immer Platz.

Foto: 1200 Meter tiefe Aussicht: Rot-braun schillert die Schlucht.


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