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30.06.07 / Selbst kleinster Freiheiten beraubt / Iraner versuchen sich gegen neue Kleiderordnung zu wehren, doch sie sind chancenlos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Selbst kleinster Freiheiten beraubt
Iraner versuchen sich gegen neue Kleiderordnung zu wehren, doch sie sind chancenlos
von Amir de la Fuente

Es traf die jungen Iraner unvermittelt: Seit dem 21. April droht die Regierung von Mahmud Ahmadinedschad mit strengen Konsequenzen für diejenigen Iraner, die sich in den Augen der staatlichen Sittenwächter nicht "islamisch" genug anziehen. Haarschnitte der Männer werden von den Polizeibeamten auf den Straßen gleichermaßen argwöhnisch betrachtet wie der Sitz des Kopftuches bei der Frau und die Länge ihrer Jeans.

Dabei deutete doch alles auf einen westlich orientierten Kurs der Regierung und auf eine zunehmende Öffnung zum modernen Okzident hin, als der liberale Geistliche Mohammad Khatami 1997 das Amt des Präsidenten im Iran antrat. Heute, 28 Jahre nach der islamischen Revolution und zwei Jahre nach Khatamis Ablösung als Präsident durch den konservativen Mahmud Ahmadinedschad, stagniert die von der mehrheitlich jungen Bevölkerung Irans lang erhoffte Bewegung mit Blick auf größere Freiheiten im Alltag.

Um die Brisanz zu verstehen, bedarf es eines kurzen Rückblickes: Im Iran ist das Kopftuch ("hijab") für die Frauen seit der Revolution 1979 obligatorisch. Nach Ende des Krieges mit dem Irak (1980-1988) lockerte sich die Situation im Land allmählich. Entscheidende Rollen spielten dabei das Satellitenfernsehen als erster beziehungsweise das Internet als zweiter und noch viel wichtigerer Kontakt zur Außenwelt. Obwohl unter staatlichen Filtern und Einschränkungen stehend, die jedoch nie zu 100 Prozent für alle Bereiche des weltweiten Netzes wirksam sein können, wurden den Iranern fortan durch das Internet neue Perspektiven aufgezeigt. So wurde auch der Kleidungsstil im Iran nach und nach dem westlichen angepaßt, soweit es der staatlich vorgegebene islamische Rahmen zuließ. Die Kopftücher wurden bunter und verzierter, der Tschador immer kürzer und Schuhe sportlicher und ausgefallener. Jeans sind heute nicht mehr nur Männersache, sondern längst fester Bestandsteil im Kleiderschrank der Frauen. In den letzten Monaten vor dem 21. April sah man zudem immer mehr Männer und Frauen auf den Straßen, die beim Einkaufen oder bei einem Spaziergang im Park Hand in Hand beisammen liefen. Dies wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen. Doch es sieht nach der kürzlich erlassenen Vorschrift danach aus, als würde es einen Rückschritt im Hinblick auf solche für europäische Betrachter "normalen" Verhaltensweisen geben. Denn die Sittenwächter achten nicht nur auf die Kleidung der Bevölkerung, sondern richten ihr Augenmerk eben auch penibel auf die Art, wie Männer und Frauen sich in der Öffentlichkeit geben.

Über die Bestrafungen, die einen im Falle eines Nicht-Einhaltens der konservativen Regeln erwarten, herrscht Unklarheit. Mona, 27 Jahre, leicht geschminkt und mit ihren engen Jeans und dem lässig getragenen Kopftuch modebewußt gekleidet, hat soeben ihr Geophysik-Studium erfolgreich beendet. Sie beschreibt das Problem aus ihrer Sicht: "Im Iran gelten die Einschränkungen der Freiheiten im Alltag zu 90 Prozent für Frauen. Aber wir können in einer von Männern dominierten Welt nichts dagegen tun und sind enttäuscht darüber. Im Iran hat der Islam Formen angenommen, die nicht vereinbar sind mit dem ursprünglichen Islam." So wie Mona vertreten viele junge iranische Frauen diese Meinung. Ihre Freundin Niloufar meint: "Ich bin vor wenigen Tagen mit meinem Bruder eine Hauptstraße entlanggelaufen. Eine ältere verschleierte Frau kam auf mich zu und bat mich, mein Kopftuch gerade zu rücken. Meinen Bruder forderte sie auf, sich nicht mit seinen langen Haaren in der Öffentlichkeit zu zeigen. Als wir versuchten, ihr zu verstehen zu geben, daß das nicht ihr Problem sei, drohte sie uns mit einer Festnahme und anschließender Bestrafung."

Es fällt schwer, eine andere Person als Ahmadinedschad als Sündenbock für die schlechte wirtschaftliche Lage Irans und jene Unterdrückung der Freiheiten auszumachen. Denn der Präsident unterstützte die Kampagne.

Die Hoffnung auf Besserung stirbt zuletzt. In einem Teehaus in Teheran sitzt Babak, Vater von zwei Kindern. Er nimmt einen Zug aus seiner Shisha und erzählt: "Die schwierige Situation im Inland, in der wir uns befinden, ist zwar zum Teil durch unseren konservativen Präsidenten, im Ausland speziell durch seine Verbaleskapaden, entstanden. Doch er ist nicht der alleinige Grund für die Misere, die unserem Land widerfährt. Wir sitzen nicht mit ihm im selben Boot. Wir sehen nur zu, wie das Boot sinkt, mit seinem Kapitän Ahmadinedschad, der hier und da ständig etwas über den Nahen Osten und Israel erzählt - ohne dabei auf die Belange seiner eigenen Bürger einzugehen."

Nachdem in diesem Jahr die öffentliche Kampagne besonders schrill war, versichern die Sicherheitsbehörden, wohl um kritische Töne aus dem Ausland verstummen zu lassen, daß die Leute über die Restriktionen glücklich seien. Doch diese Äußerung ist fernab jeder Realität. Mahmud Ahmadinedschads Ansehen, welches nie in starken Maßen vorhanden war, ist aufgrund von Kampagnen wie dieser sehr gesunken. Es wird sich zeigen, welcher Weg in Zukunft eingeschlagen wird, um sich mehr Freiheiten zu erobern, ohne dabei ins Visier der Sittenwächter zu geraten. Sicher ist nur, es wird das iranische Volk sein, daß über seine Zukunft entscheiden wird, nicht das Ausland. Babak nimmt einen letzten Schluck von seinem Tee: "Ich denke, daß es im Sinne des Volkes ist, wenn das System von außen nicht berührt wird. Ein Wandel kann nur von innen erfolgen. Das Boot ist noch nicht vollständig untergegangen", sagt er lächelnd und verschwindet im Teheraner Stadtdschungel.

Foto: Teheran: Polizistin (r.) ermahnt ein Pärchen zur Einhaltung der islamischen Kleiderordnung für Frauen.


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