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30.06.07 / "Am meisten von Europa entfernt" / Miroslav Lajcak, neuer Vertreter der UN und der EU in Bosnien-Herzegowina, soll das Land einen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

"Am meisten von Europa entfernt"
Miroslav Lajcak, neuer Vertreter der UN und der EU in Bosnien-Herzegowina, soll das Land einen
von Wolf Oschlies

De jure ist Bosnien-Herzegowina eine souveräne Republik, faktisch aber ein internationales Protektorat. Noch 2006 hoffte die internationale Gemeinschaft, bis Ende Juni 2007 alle ihre Kompetenzen an heimische Institutionen übergeben und das Land verlassen zu können. Daran ist nicht mehr zu denken, vielmehr übernimmt am 1. Juli 2007 der slowakische Diplomat Miroslav Lajcak (*1963), die Aufgabe, in Bosnien als "Hoher Repräsentant" (der UN) und "Spezieller Repräsentant" (der EU) zu wirken.

Lajcak wird der sechste in diesem Amt sein. Scheitern mußten seine Vorgänger alle und mit ihnen die 55 Staaten und Institutionen, die im bosnischen "Peace Implementation Council" (PIC) vereint sind. Nach Berechnungen des Schweizer Experten Christophe Solioz hat die internationale Gemeinschaft bis zum Jahr 2000 rund 53 Milliarden Dollar für Bosnien aufgewendet, seither vermutlich noch einmal so viel. Das schöne Geld versickerte im Sumpf von Korruption und Obstruktion, die bestehende Lage in Bosnien erweckte noch im Juni 2007 "tiefe Enttäuschung" und "schwerste Sorge" im PIC, wie Lajcaks Vorgänger Schwarz-Schilling in einer seiner letzten Pressekonferenzen mitteilte. Genau so sagte es Lajcak und fügte hinzu: "Bosnien ist von allen europäischen Ländern, auch den balkanischen, am weitesten entfernt von Europa."

Was ist mit dem Land geschehen, das ob seiner Naturreichtümer im Mittelalter "Bosna argentina" (silbernes Bosnien) hieß, das noch 1972, als in Rest-Jugoslawien der Verfall einsetzte, sein "bosnisches Wirtschaftswunder" erlebte und als einzige Teilrepublik im Außenhandel mit der Bundesrepublik Deutschland einen Überschuß erzielte? Bosnien erlebte 1992 bis 1995 den grausamsten von allen ex-jugoslawischen Bürgerkriegen, dessen Natur die sprichwörtliche Frage Ivo Andrics zu beantworten schien, ob Bosnien "zemlja mrshnje" sei, Land des Hasses. Das war Bosnien nie, vielmehr haben schon deutsche Reiseberichte aus dem 16. Jahrhundert die friedliche Koexistenz bewundert, in welcher dort "dreyerley glaubens und nationes" zusammenlebten.

Wenn in Bosnien jemals Haß tobte, dann war er von außen hereingetragen worden - am folgenreichsten von den Kriegsverbrecher-Präsidenten Franjo Tudjman (Kroatien) und Slobodan Milosevic (Serbien), die sich im Frühjahr 1991 auf eine Teilung Bosniens verständigt hatten und den Krieg lostraten, als sich die Bosnier diesen Plänen nicht fügen wollten. Im November 1995 endete er durch das Dayton-Friedensabkommen (GFAP), und da standen knapp drei Millionen Vertriebene, 278000 Tote und Hunderttausende zerstörte Häuser auf der Verlustbilanz, dazu noch etwa drei Millionen Minen und Blindgänger, die zu entschärfen noch Jahrzehnte dauern wird. Es war das große Verdienst von Dayton, eine militärische Entflechtung eingeleitet zu haben, aber es war sein großes, bis zur Gegenwart spürbares Manko, keine zivile Befriedung zu ermöglichen. "Bosnien ist Europas Land mit den ältesten Grenzen", sagten die Bosnier vor Dayton, das ihr Land in zwei "Bevölkerungsgruppen" spaltete, die "Bosnisch-Kroatische Föderation" (FBiH) im Zentrum und im Süden und die "Republika Srpska" (RS) im Norden und Osten. Hinzu kommen noch der kleine "Distrikt Brcko" im Norden mit internationalem Sonderstatus und der international anerkannte Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina. Die Bevölkerungsgruppen haben feste Grenzen und para-staatliche Vollmachten: Der Zentralstaat hat so gut wie keine Macht, die zehn "Kantone" in der FBiH agieren wie Kleinstaaten. Die RS ist straff zentralistisch geführt, und allenthalben findet eine permanente "ethnische Säuberung" statt. Laut Dayton darf jeder Vertriebene an jeden Ort Bosniens zurückkehren, tatsächlich geht jeder Rückkehrer in "seine" Entität, "seinen" Kanton - wenn er überhaupt zurückkommt. Die heutigen 3,9 Millionen Einwohner (50,5 Prozent Bosnier, 33,6 Prozent Serben und 15,2 Prozent Kroaten) sind der Rest von über 4,7 Millionen, die Bosnien 1991 aufwies.

"Drei Völker, zwei Entitäten (Bevölkerungsgruppen), ein Staat", war die gute Absicht von Dayton. Politischer Alltag ist aber die allseitige ethnische Obstruktion, die die Bürokratie als politisches Kampffeld nutzt, wie der Europarat 2006 vorrechnete: Es gibt ein dreiköpfiges, rotierendes Staatspräsidium, zudem für jede Entität einen Präsidenten, insgesamt 180 Minister und 760 Mitglieder von "Parlamenten" auf allen Ebenen. Die diversen "Apparate" verschlingen jährlich 70 Prozent der Budgetmittel und wuchern ständig. Die Folge ist allgemeine Lähmung, besonders ökonomische: Laut Untersuchungen der Weltbank zu Wirtschaftsbedingungen in aller Welt ist es in Bosnien "am schwersten", eine Erlaubnis für ein Geschäft zu bekommen (Platz 141 unter 155), einen Besitz zu registrieren (132), das Geschäft auch zu starten (123), Außenhandel zu betreiben (122) oder Mitarbeiter einzustellen (95). Bosnien weist seit 2000 Wachstumsraten um vier Prozent auf, liegt dennoch um 40 Prozent unter seinem Niveau von 1989/90. 1991 fuhr sein Außenhandel hohe Überschüsse ein (2,1 Milliarden US-Dollar Export, 1,6 Milliarden Import), 2004 wies das Außenhandelssaldo ein Minus von 4,6 Milliarden US-Dollar aus, 2006 von 4,13 Milliarden 1990 hatten 1,1 Millionen Menschen Arbeit, derzeit beträgt die "registrierte" Arbeitslosigkeit 40 Prozent, inoffiziell sind es über 50 Prozent, bei Jugendlichen knapp 70 Prozent. 1991 betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (BIP) 2500 US-Dollar, 2005 waren es laut Weltbank 1530 US-Dollar. Das im alten Jugoslawien prosperierende Bosnien ist heute ein Armenhaus. "Arm" ist, wer im Jahr mit 2223 Konvertibler Mark auskommen muß. Das betraf 2004 etwa 700000 Einwohner (17,8 Prozent). Hinzu kommen rund 30 Prozent, die an oder knapp über dieser Grenze leben.

Milliardenhilfen für Bosnien und internationale Aufsicht über dieses hätten nichts bewirkt, schrieb 2002 der angesehene US-Publizist Wiliam Pfaff, die internationale Gemeinschaft solle darum ihr "Scheitern" eingestehen und Bosnien zur Aufteilung unter Serbien und Kroatien freigeben. Aber solche abenteuerlichen Pläne mag kein Offizieller mittragen. Bosnien ist seit April 2002 Mitglied des Europarats, will irgendwann nach 2009 in der EU sein, bemüht sich derzeit um ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit dieser und wird darum von Brüssel permanent "durchleuchtet". Die Prüfungsberichte sind eine niederschmetternde Lektüre: kleine Fortschritte hier und da, generell schwere Defizite in allen Bereichen, nirgendwo Reformwille, Wiederaufkommen der alten Nationalparteien bei den Wahlen vom Oktober 2006, parlamentarischer Boykott der international dringend angemahnten Reformen von Verfassung, Polizei, Justiz und Bildungswesen, Haßrhetorik seitens der Parteien, von Politikern verschleppte Privatisierung der Staatsbetriebe, niedergehende Wirtschaft, Armut, Geldwäsche, Menschenhandel, illegale Einwandererströme über Bosnien, Drogen und terroristische Aktivitäten, Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit bei den Bürgern.

Vor 110 Jahren schwärmte der deutsche Autor Heinrich Renner in seinem Erfolgsbuch "Durch Bosnien und die Herzegowina", daß Bosnien "das echte Land der Morgensonne" sei. Solche Assoziationen hat heute niemand mehr.


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