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30.06.07 / Dienst gegen Geld / Anspruch und Wirklichkeit bei der russischen Armee-Reform

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Dienst gegen Geld
Anspruch und Wirklichkeit bei der russischen Armee-Reform
von M. Rosenthal-Kappi

Mitten in der Nacht oder morgens früh um sieben, wenn niemand damit rechnet, dringen sie gewaltsam in Studentenwohnheime und Privatwohnungen ein, sie stürmen Bahnhöfe und U-Bahn-Schächte auf der Suche nach Männern im wehrpflichtigen Alter, konfiszieren ihre Papiere und Handys und verhaften die vermeintlichen Delinquenten. Von der vorübergehenden Festnahme geht es ohne Umwege und ohne vorher die Möglichkeit zu erhalten, Familienangehörigen Bescheid zu geben, direkt in die Kaserne, in der sie Wehrdienst leisten sollen. Die Rede ist nicht etwa von Stalins Tschekisten, sondern von Moskauer Polizisten im Jahr 2007.

Auf diese Weise rekrutiert die russische Polizei mit Unterstützung von Mitarbeitern der Wehrdienstbehörde neue Soldaten für die russische Armee. Das Komitee der Soldatenmütter berichtet über eine regelrechte Treibjagd auf Jugendliche, die schon seit Mitte Mai stattfindet. Dabei handelt es sich Angaben der Vorsitzenden der Soldtenmütter, Walentina Melnikowa, zufolge meist um junge Männer, deren Einberufung aufgrund von Krankheit bereits offiziell verschoben wurde. Oft müßten die zwangsweise Rekrutierten nach der Aufnahmeuntersuchung durch einen Militärarzt wieder nach Hause geschickt werden. Die Soldatenmütter, eine kleine Oppositionsgruppe in Putins gelenkter Demokratie, ruft nun zum Widerstand gegen die gesetzeswidrigen Treibjagden der Polizei auf. Regierung als auch die Führungsebene des Militärs dementieren Berichte über derartige Vorfälle. Sie haben auch allen Grund dazu, denn mit dem Ansehen der russischen Armee steht es nicht zum besten. Seit Jahren schon ist es gängige Praxis, daß Männer im wehrpflichtigen Alter versuchen, sich vor dem Wehrdienst zu drücken. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder zur Ausbildung ins Ausland, die weniger Betuchten verstecken ihre Söhne auf dem Land. Wer doch eingezogen wird, erlebt am eigenen Leib die verheerenden Zustände der Armee: die schlechten hygienischen Verhältnisse, schikanöses Verhalten der Vorgesetzten, die gefürchtete "Dedowschtschina" (Mißhandlungen durch Dienstältere), Kriminalität bis hin zum Mord eingeschlossen. Darüber wurde in den vergangenen Jahren in der russischen wie auch in der westlichen Presse immer wieder berichtet.

Diesem Negativ-Image wollen Präsident Putin und die Armeeführung entgegenwirken. Die Möglichkeit, zu einer gut ausgebildeten Armee zu gelangen, die Putin in einem Land wie Rußland für unbedingt notwendig hält, das von solch territorialer Größe ist mit weit auseinanderliegenden Grenzen, sehen sie in einer Umwandlung großer Teile des Militärs in eine Berufsarmee. Dabei soll die Zahl der Wehrpflichtigen auf dem bisherigen Stand beibehalten werden. Zunächst wurde die Wehrpflicht von zwei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt. In näherer Zukunft will man ein vermischtes Prinzip einführen. Die Armee soll sich aus 70 Prozent Berufssoldaten und 30 Prozent Wehrpflichtigen zusammensetzen. Der stellvertretende Verteidigungsminister General Alexander Belousow fordert die Umsetzung der Pläne schon vor dem geplanten Zeitraum ab 2009, auch wenn mit hohen Kosten zu rechnen sei.

Die Idealvorstellung von russischem Militär und Staat ist es, eine "normale", kampfbereite Armee zu schaffen, in der Zucht und Ordnung einkehren. Mit besonderen Anreizen wie einer vernünftigen Besoldung (das Durchschnittseinkommen bisheriger Berufssoldaten liegt unter dem mittleren Einkommen eines Angestellten) und der Versorgung mit anständigen Wohnungen will man gut ausgebildete und schon etwas reifere, vernünftigere Männer anlocken, die gesetztestreu sind. Die Realität erster Versuche seit 2004 zeigt jedoch, daß es schwer sein wird, dem Bild des "guten" Soldaten gerecht zu werden. Bislang meldeten sich eher Freiwillige aus dem kriminellem Umfeld.


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