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30.06.07 / Am Ende einer Epoche? / Deutschland braucht dringend Reformen, doch den Vertretern dieses Systems fehlt der Mut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Am Ende einer Epoche?
Deutschland braucht dringend Reformen, doch den Vertretern dieses Systems fehlt der Mut
von Friedrich C. Albrecht

Wenn nicht alle Zeichen trügen, dann stehen wir in diesen Jahren am Ende eines Zeitalters. Erdverbundene Menschen spüren das. Gehen wir erst mal in das Jahr 1793 zurück. In Frankreich tobte die Große Revolution. Die Guillotine war ohne Pause in Betrieb. Die Zuständigkeit für die Verurteilungen dazu hatten die Jakobiner dem "Wohlfahrtsausschuß" übertragen. Als die Königin Marie Antoinette, die Tochter Maria Theresias, an der Reihe war und am Schafott stand, sagte sie zu der gaffenden Menge: "Meine Leiden enden jetzt, aber Eure, die beginnen erst." Wie recht sie hatte! Was in Frankreich komprimiert in den Jahren zwischen 1789 und 1798 ablief, das erlebte Europa schrittweise im 20. Jahrhundert. In logischer Folge der Ideologie von 1789 installierte diese sowohl ihre rote wie ihre braune Tochter.

Die Französische Revolution propagierte die Theorie: "Das Volk ist der Souverän." Eigentlich merkwürdig, wenn man heute die Parteienherrschaft und die Meinungsherrschaft der Political Correctness betrachtet. Am 7. Mai 1794 wurde der Herrgott abgesetzt. An seine Stelle trat per Dekret das Etre Suprème (das höchste Wesen), eine Art Inkarnation der Vernunft. Der hier gesponnene Faden reicht bis in unsere Tage. Es ist kein Zufall, daß die Befürworter des Verfassungsentwurfs der Europäischen Union jeglichen Bezug auf Gott in der Präambel und im sonstigen Text dezidiert ablehnen beziehungsweise die Ablehnung hinnehmen.

In seiner Schrift "Reflections on the French Revolution" sagte der britische Staatsmann Edmund Burke (1729-1797): "Jedem, der Macht in irgendeinem Grade besitzt, kann der Gedanke nie lebendig und heilig genug vor dem Sinne schweben, daß er nur ein anvertrautes Gut verwaltet und daß er von seiner Verwaltung dem großen Machthaber, dem einzigen Herrn und Schöpfer und Gründer aller Gesellschaft ernste Rechenschaft abzulegen hat."

Damit meinte Burke, daß die Souveränität von Gott ausgeht. Nach dem monarchischen Verständnis bedeutet dies, daß den Königen durch Geburt und Thronfolge die Souveränität als ein zu verwaltendes Gut verliehen wurde. Die Worte "von Gottes Gnaden" sind keine überhebliche Floskel, sondern der Ausdruck der Demut. Die Frage der Monarchie ist eine Frage der Religiosität im Lande.

Gehen wir jetzt in den Mai/Juni des Jahres 1958 in Frankreich. Das Land versank im Chaos. Auslöser dazu war die Situation in Algerien. Aber die Ursache war eine andere. Das parlamentarische System, die Vierte Republik war am Ende. Seit 1945 jagte ein Regierungswechsel den nächsten. Ein Minister war für ein paar Monate Innenminister, dann für ein paar Monate Justizminister, dann mal Kultusminister, dann mal Außenminister. Es traf ein, was der zweite Präsident der USA John Adams (1797-1801) schon zu seiner Zeit festgestellt hatte: "Es hat nie eine Demokratie gegeben, die nicht Selbstmord begangen hat."

In dieser Stunde trat General de Gaulle als Retter auf die Bühne. Er war 1946 aus Resignation vor den Banalitäten des Parteienstaats vom Amt des Staatspräsidenten zurückgetreten und hatte sich auf seinen Landsitz in Lothringen zurückgezogen. Einmal im Jahr fuhr er nach Paris, legte am Grabmahl des Unbekannten Soldaten einen Kranz nieder und prophezeite seine Rückkehr als Retter Frankreichs. Und in ihrer Ratlosigkeit installierten ihn die Franzosen im Juni 1958 als Staatsoberhaupt. De Gaulle ließ eine neue Verfassung für die nun folgende Fünfte Republik ausarbeiten. Es wurde eine Wahlrechtsreform verordnet, der Staatspräsident ernannte die Minister nach eigenem Ermessen. Das Parlament als solches blieb bestehen, weiterhin mit stehenden politischen Parteien. Die Regierung hatte zu regieren, das Parlament sollte sich auf seine Aufgabe des Kontrollierens konzentrieren.

De Gaulle fungierte dann für rund zwölf Jahre als eine Art Wahlmonarch, wobei er klugerweise öffentliche Auftritte auf wenige, aber überzeugende Gelegenheiten beschränkte. Aber nach ihm erhoben die Parteien wieder ihr Haupt und suchten, ihre frühere Macht zurückzugewinnen. Zwar blieben die wichtigsten Bestimmungen der neuen Verfassung in Kraft, aber die folgenden Präsidenten der Republik gingen von nun an wieder aus Wahlkämpfen, aus Parteienstreitereien, aus parteiinternen Machtkämpfen und Intrigen hervor. Und die Parteien begannen ihr altes Spiel von neuem.

In Deutschland war während der Weimarer Republik ein ähnliches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel im Gange wie im Frankreich der Dritten und Vierten Republik. In den elf Jahren von 1919 bis 1930 hatten wir zwölf verschiedene Reichsregierungen. Wie kann man so eigentlich einigermaßen vorausschauend regieren? Am 27. März 1930 stürzte die SPD zusammen mit anderen Parteien ihren eigenen Reichskanzler Hermann Müller wegen einer geringfügigen Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Und hinfort war es nicht mehr möglich, eine parlamentarische Mehrheit für eine Regierungsbildung zusammenzubringen. Der Untergang der Demokratie der Weimarer Republik ist also auf dieses Datum zu legen, nicht auf den 30. Januar 1933. Reichspräsident v. Hindenburg war somit gezwungen, mit dem Notverordnungsparagraphen 48 der Weimarer Verfassung zu regieren wie schon vor ihm Reichspräsident Ebert in den Jahren 1920 und 1923.

In Anbetracht dieser Situation und in Anbetracht der entsetzlichen Not des Volkes gab es 1932 überhaupt nur drei Optionen: Entweder übernehmen die Kommunisten, gestützt auf massive personelle, materielle und finanzielle "Hilfe" der Sowjetunion, die Herrschaft in Deutschland, gegebenenfalls in Form einer "Volksfront", wie sie sich damals schon in Spanien und in Frankreich anbahnte. Dies war eine handfeste Gefahr. Oder man folgt den Vorschlägen des Reichskanzlers v. Papen, nämlich den Reichstag für ein paar Monate zu beurlauben, eine neue Reichsverfassung auszuarbeiten, unter welcher man vorausschauend regieren kann, die radikalen Parteien aufzulösen und die neue Verfassung einer Nationalversammlung vorzulegen, oder man kehrt zu den parlamentarischen Spielregeln zurück und beauftragt den Führer der stärksten Partei, also Hitler, mit der Bildung einer neuen Regierung.

Zu dem Vorschlag von Papens konnte Hindenburg, der Papen hoch schätzte, sich wegen seines Eides auf die Weimarer Verfassung nicht entschließen.

In einem der Prozeßverfahren, die dem Kriegsende folgten, hat der Staatssekretär des Reichspräsidenten, Otto Meissner, also Hindenburgs engster Mitarbeiter, unter Eid bestätigt, was auch der frühere Reichsbankpräsident Schacht in seinem Buch "76 Jahre meines Lebens" berichtet hat: "Im Januar 1933 berief Hindenburg die Führer sämtlicher Mittelparteien zu sich, um sie über eine Lösung zu befragen. Keiner der Befragten wußte einen Ausweg. Auch der sozialdemokratische Vorsitzende Wels erklärte dem Reichspräsidenten, daß man Hitler die Kanzlerschaft übertragen müsse in der Hoffnung, daß er bald abwirtschaften würde."

Was hätte Hindenburg unter diesen Umständen denn anderes tun können? Ein Hellseher und Prophet war damals so gut wie niemand. Solche tauchten in großer Zahl erst 1945 auf.

In fast allen Nachfolgerepubliken der drei großen Monarchien verliefen die Dinge in den 1920er und 1930er Jahren ähnlich. Sie alle, von Estland im Norden bis herunter auf den Balkan, begannen als Demokratien, und so gut wie alle wurden durch die Umstände und infolge der wirtschaftlichen Krisen gezwungen, zu autoritären Regierungsformen überzugehen.

Ohne jetzt auf die gegenwärtige Tagespolitik einzugehen, sollte man immerhin über folgendes nachdenken: Die Kleinen Koalitionen, die wir bis 2005 hatten, wurden mit den gewaltigen Problemen, die ich jetzt im einzelnen nicht aufzuzählen brauche, nicht fertig. Vor einem Jahr setzte das Volk seine Hoffnung auf die nun amtierende Große Koalition. Aber diese Hoffnung ist einer gründlichen Desillusionierung gewichen. Hinzu kommt, daß unser Rechtsstaat unterhöhlt ist. Siehe allein die Urteile des Bundesverfassungsgerichts wie das "Soldaten-sind-Mörder-Urteil" oder das zum Eigentumsskandal. Die Gewaltenteilung ist eine Farce. Die Parteien beherrschen alles, nämlich das Parlament, gleichzeitig die Regierung und gleichzeitig durch das System der Richterwahl die hohen Gerichte. Es ist ein Unding, daß Minister dem Parlament angehören.

Eine ebenso blutleere Theorie ist die "Gewissensfreiheit und Unabhängigkeit" der Parlamentsabgeordneten. Wer nicht so redet und abstimmt, wie die Partei vorschreibt, hat kaum eine Chance, als Listenkandidat wieder aufgestellt zu werden. Machen wir uns doch nichts vor: Die Kreisverbände unserer Parteien stellen sehr ungern Kandidaten auf, die als Persönlichkeiten über das Durchschnittsniveau herausragen.

Es ist nicht zu übersehen, daß wir gleichzeitig einen geistig-moralischen Verfall von erschreckendem Ausmaß haben. Eine echte Bindung des Volkes an unseren Staat gibt es nicht mehr. Unser System bringt keine Vorbilder hervor. Das Volk braucht aber lebende und geschichtliche Vorbilder, an denen es sich aufrichten und an denen es sich orientieren kann. Es sehnt sich danach. Ein "Verfassungspatriotismus", der uns Deutschen ja nur erlaubt ist, abstrakte Parolen sind kein Ersatz dafür. Über die großen Gestalten unserer Geschichte wissen die Leute heute so gut wie nichts! Friedrich der Große sagte: "Es sind allein die großen Exempel und die großen Muster, welche die Menschen erziehen und formen."

Viele Leute sind unfähig zu begreifen, daß wenn eine Demokratie die notwendigen staatlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann oder wenn sie in eine geistig-moralische Anarchie übergeht, Diktatur entstehen kann, in welcher Gewandfarbe auch immer.

Wir müssen uns daher rechtzeitig an Formen erinnern, die den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung dauerhaft garantieren und unter der die Staatsspitze statt in Wahlperioden in Generationen denken kann.

Die uns auf den Nägeln brennende Frage ist jetzt: "Wie kommen wir aus dieser Lage heraus? Wie können höchst unpopuläre Maßnahmen getroffen werden - ohne Schielen auf den nächsten Wahltag? Und ein Wahltag ist immer in der Nähe!

Luther sagte: "Die Ordnungen sind für die Menschen da." Voraussetzung für ein Reformwerk ist eine geistig-moralische Erneuerung durch Vorbilder mit einer Rückbesinnung auf die von Gott gesetzten Ordnungen und Bindungen wie Ehe, Familie, Volk, Heimat, Vaterland. Dem Volk, vor allem der Jugend sind die großen Gestalten unserer Geschichte wieder nahe zu bringen. Nur Vorbilder an Charakter, Leistung und Seelenstärke können eine solche Erneuerung bewirken.

Hier in Kürze einige konkrete Vorschläge: 1) Strikte Trennung der Gewalten. 2) Aufwertung der Stellung des Staatsoberhaupts und Ausweitung seiner Befugnisse. 3) Das Staatsoberhaupt beruft den Kanzler und die Minister nach eigenem Ermessen. Kanzler und Minister sind dem Staatsoberhaupt verantwortlich. Sie dürfen nicht dem Parlament angehören. 4) Das Parlament soll Gesetzesvorhaben prüfen und beschließen, gegebenenfalls verbessern. Es soll den Staatshaushalt überwachen, verhindern, daß Verschwendung betrieben wird, und die Erhebung von Steuern genehmigen. Das Regieren aber ist nicht seine Aufgabe. 5) Die Besetzung der hohen Gerichte könnte dadurch erfolgen, daß die Präsidien der Anwaltskammern bei einer Vakanz dem Staatsoberhaupt drei Kandidaten vorschlagen. 6) Richter, Beamte und Soldaten dürfen keiner politischen Partei angehören.

Anarchische Verhältnisse werden eine Erneuerung erzwingen. Die großen Reformen in Preußen nach 1806 mußten unter Verhältnissen konzipiert und umgesetzt werden, die bestimmt nicht einfacher waren als unsere Situation heute: Besetzung des ganzen Landes durch die Truppen Napoleons, finanzielle Aussaugung durch die Besatzungsmacht, erzwungene Gestellung eines Armeekorps für Napoleons Feldzug in Rußland, weit verbreitete Unsicherheit. Aber eine Handvoll großer Persönlichkeiten, deren Weitsicht, deren Mut und Beharrlichkeit haben den Erfolg ermöglicht.

Der Historiker und Rechtsphilosoph Montesquieu (1689-1755) konzipierte das Prinzip der Gewaltenteilung. Friedrich der Große war der erste, der dieses Prinzip in die Praxis umzusetzen begann, indem er die Rechtsprechung unabhängig machte. Die Stein-Hardenbergschen Reformen gingen dann in die gleiche Richtung. Die Reichsverfassung von 1871 wurde dem Montesquieuschen Prinzip durchaus gerecht. Erhardt Bödecker hat in seinem sehr lesenswerten Buch "Preußen und die Wurzeln des Erfolgs" den auf diesen Grundlagen fußenden außerordentlichen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung in Deutschland zwischen 1871 und 1914, ohne Inflation und ohne Staatsverschuldung, anschaulich dargestellt. Schon allein die Ende der 1870er Jahre von Bismarck durchgesetzte Sozialgesetzgebung war in der Welt einmalig, die dann von Kaiser Wilhelm II. eigenhändig erweitert wurde. Das gleiche gilt für das Niveau der Wissenschaften.

Ich gehe noch einmal zurück zu den Jahren nach 1806. Die besten Deutschen eilten damals nach Preußen, in dem sie den Kern und die Grundlage für das Wiedererstehen Deutschlands sahen. Unter größter außenpolitischer Anspannung wurde hier ein innenpolitisches Reformwerk von weitesttragender Bedeutung konzipiert und durchgeführt. Das Staatsoberhaupt, der König, suchte und fand als Helfer Staatsmänner, die in das Ehrenbuch der Geschichte eingegangen sind. Er und seine Söhne Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. konnten Genies, solch schwierige Charaktere wie Stein, Yorck und Bismarck ertragen. Das können Demokratien nicht, und das können Diktatoren nicht.

Es ist bekannt, daß in Brandenburg-Preußen seit dem Großen Kurfürsten das Prinzip der geistigen Toleranz galt. Auch wir sind für dieses Prinzip. Aber wir müssen feststellen, daß die Ideen der Französischen Revolution die europäischen Völker weitgehend in den Atheismus geführt haben. Schauen wir doch nur mal unser Umfeld an. Mit dem Zusammenbruch dieser Ideologie besteht die Chance einer Renaissance des christlichen Glaubens. Und damit würde eine Erneuerung unserer staatlichen Grundlagen Hand in Hand gehen.

Foto: Mutige Reformer braucht das Land: General Gerhard von Scharnhorst, Minister Freiherr Karl August von Hardenberg, Staatsminister Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein


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