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30.06.07 / Hilfe in der Not oder: Wenn ein Krückstock zu einem wichtigen Instrument wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Hilfe in der Not
oder: Wenn ein Krückstock zu einem wichtigen Instrument wird
von Renate Dopatka

Sie war mir unsympathisch, die griesgrämige alte Frau, der ich so oft beim Einkauf im Supermarkt begegnete. Schwer aufstampfend mit ihrem Gehstock, wanderte sie langsam durch die Gänge, um kritisch, ja mißtrauisch, jedes Sonderangebot unter die Lupe zu nehmen. Nie sah ich sie mit jemandem sprechen, nie jemandem zulächeln. Wie falsch ich lag, zeigte sich an einem Sonnabend, als ich zum Supermarkt eilte, um noch rasch fürs Wochenende einzukaufen.

Normalerweise mache ich um Tiefkühltorten einen großen Bogen. Da es an diesem Tag sehr warm war - viel zu heiß, um selbst zu backen -, ich für den Sonntag aber Besuch erwartete, gab ich meine Vorbehalte auf und steuerte zielstrebig auf die hohen Glasschränke zu, hinter denen sich Tiefkühlkost in reicher Auswahl verbarg. Suchend wanderte mein Blick über die verschiedenen Sahnetorten, um schließlich am obersten Fach hängenzubleiben. Es schien völlig leergeplündert. Nur das Warenschildchen an der Regalleiste verriet, daß sich dort eigentlich "Mandarinen-Käsetorte" hätte befinden sollen. Pech gehabt, dachte ich mir. Einem Impuls Folge leistend, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, lugte nochmals angestrengt ins Fach und entdeckte - ganz hinten an der Rückwand, halb verdeckt von anderen Produkten - tatsächlich noch eine allerletzte Packung Mandarinen-Käsetorte! Freudig öffnete ich die Glastür, streckte den Arm aus - doch so sehr ich mich auch bemühte, mit den Fingern einen Zipfel der Packung zu erreichen: ich kam einfach nicht heran.

In der Hoffnung, einen Riesen im Laden zu erspähen, wandte ich mich um - und zuckte leicht zusammen. Ja, es war tatsächlich jemand auf mich und mein fruchtloses Bemühen aufmerksam geworden - nur war es nicht der ersehnte Zweimetermann, sondern meine alte Bekannte: die Frau mit dem Gehstock! Mit gerunzelten Brauen blickte sie mich an. - Mißbilligte sie meine "Angelversuche"? Komische Alte, zog es mir durch den Kopf.

Ich klappte die Glastür zu, entschlossen, mir nun Hilfe vom Verkaufspersonal zu holen. Irgendwie mußte ja an die Torte heranzukommen sein! Just in dem Moment, da ich kühlen Blickes an meiner stillen Beobachterin vorbeirauschen wollte, hellte sich deren Miene auf. Das ganze griesgrämige Gesicht verzog sich zu einem spitzbübischen Lächeln: "Versuchen Sie es doch einfach damit!" Triumphierend hielt sie mir ihren Gehstock entgegen. Ich starrte verdutzt auf die Krücke. "Sie meinen?"

Heftiges Kopfnicken. "Damit geht's ruck, zuck! Sie werden sehen!" In der Tat: Mit dem Handgriff des Stockes zerrte ich ohne große Mühe das Objekt meiner Begierde aus seinem Versteck. Froh, meinen Gästen doch noch Kuchen zum Kaffee anbieten zu können, bedankte ich mich bei meiner Retterin. Diese blickte mit grimmiger Befriedigung auf ihren Stock hinunter: "Wozu so'n olles Ding doch alles gut sein kann, nicht wahr?" Als sie zu mir hochschaute, waren ihre Augen ganz hell und blank, und echte Freude stand in ihnen geschrieben, die Freude, anderen mit einer guten Idee geholfen zu haben.

Monate sind seither vergangen. Noch immer kaufe ich im besagten Supermarkt, doch anders als früher halte ich jetzt geradezu Ausschau nach der Frau mit dem Gehstock. Denn es freut mich jedesmal zu sehen, wie sich ihr düster wirkendes Gesicht für Sekunden aufhellt, wenn sich unsere Wege kreuzen und wir uns lächelnd "Guten Tag" wünschen.


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