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14.07.07 / Wende im Fall Lockerbie? / Libyen wird nicht mehr als Schurkenstaat benötigt, dafür aber der Iran

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-07 vom 14. Juli 2007

Wende im Fall Lockerbie?
Libyen wird nicht mehr als Schurkenstaat benötigt, dafür aber der Iran
von R. G. Kerschhofer

Als Tony Blair Ende Mai vom Abschiedsbesuch bei Muammar El-Gaddafi Milliarden-Aufträge für die Rüstungsindustrie und für die jahrzehntelang aus Libyen verbannte British Petrol (BP) mitbrachte, gab es prompt Gerüchte und Verdächtigungen: Man habe im Gegenzug ausgehandelt, daß der wegen Sprengung einer PanAm-Maschine verurteilte Libyer Megrahi seine lebenslängliche Strafe daheim absitzen könne.

Nun, Megrahi wurde nicht überstellt. Doch Ende Juni kam eine schottische Justiz-Kommission zu dem Schluß, daß die Beweisführung gegen ihn arge Fehler enthielte und das Höchstgericht den Fall neu aufrollen solle. Das heißt nicht zwangsläufig, daß dies tatsächlich geschieht und Megrahi, der stets seine Unschuld beteuerte, freigesprochen wird. Bemerkenswert ist aber, daß dieselbe Kommission, die seine Einsprüche bisher ablehnte, diesen jetzt stattgab, obwohl keine neuen Argumente vorliegen.

Zunächst ein Rückblick: Am 21. Dezember 1988 wurde eine PanAm-Maschine über der schottischen Ortschaft Lockerbie durch eine Bombe zum Absturz gebracht, wobei alle 259 Personen an Bord und elf weitere den Tod fanden. Es gab mehrere Bekenneranrufe, meist mit nahöstlichem Hintergrund. Doch für die veröffentlichte Weltmeinung stand fest, daß Libyen dahinter stecke. 1991 benannten die USA und Großbritannien zwei libysche Geheimdienstleute und verlangten deren Auslieferung. Anfang 1992 - die Sowjetunion war soeben zerfallen - verhängte der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Libyen, die 1993 noch verschärft wurden.

Nach jahrelangem Tauziehen wurden die Beschuldigten 1999 ausgeliefert - an ein schottisches Gericht, das in Den Haag tagen sollte. 2001 wurde der eine Libyer freigesprochen, Megrahi hingegen verurteilt. Das Urteil wurde im Berufungsprozeß 2002 bestätigt. Libyen verpflichtete sich zur Zahlung von Entschädigungen an die Hinterbliebenen - 100000 Dollar je Opfer. Die UN-Sanktionen wurden 1999 ausgesetzt und 2003 aufgehoben. Libyen verzichtete 2003 auf "Massenvernichtungswaffen" und wurde 2006 von der "schwarzen Liste" der USA gestrichen. US-Firmen sind wieder im Geschäft.

Was aber bewog die schottische Justiz-Kommission zu ihrer Entscheidung? Hier die wichtigsten Punkte: Megrahi, der in Malta einen Bombenkoffer als unbegleitetes Gepäckstück aufgegeben haben soll, war zum fraglichen Zeitpunkt möglicherweise gar nicht in Malta. Und die gefundenen Zünderfragmente passen nicht zu den von einer Schweizer Firma legal an Libyen gelieferten Zündern. "Am Absturzort gefunden" wurden die Fragmente von einem CIA-Mann, der später wegen Fälschung von Beweismitteln gefeuert wurde. Eine Expertise besagt zudem, die Explosion sei nahe der Außenhaut des Flugzeugs erfolgt und könne daher nicht vom Gepäckabteil ausgegangen sein.

Doch warum sollte Libyen Unschuldige ausgeliefert haben? Vermutlich, weil der zu erwartende Freispruch eine Blamage für die USA gewesen wäre. Wenn Megrahi aber unschuldig sein sollte, warum zahlte Libyen trotzdem 2,7 Milliarden Dollar? Weil der Schaden durch fortgesetzte Sanktionen weitaus größer gewesen wäre! Libyen hat entgegen weitverbreiteter Behauptungen nie die Verantwortung für den Anschlag übernommen, sondern nur "für das Handeln seiner Vertreter". Das ließe auch Rückforderungen zu.

Wenn aber Libyen rehabilitiert wäre, wer ist dann der Täter? Prompt hat man einen neuen Schuldigen zur Hand, den Iran. Schon 1988 gab es "Verdachtsmomente", nämlich ein Tatmotiv: Rache dafür, daß der US-Kreuzer "Vincennes" am 3. Juli 1988 über dem Golf eine iranische Zivilmaschine mit 290 Insassen "für eine angreifende iranische F-14 gehalten" und abgeschossen hatte. Ein iranischer Überläufer "bestätigte" 2000 die Iran-Hypothese, wurde aber wegen konfuser Aussagen nicht ernst genommen. Nun sieht es allerdings ganz anders aus: Es mehren sich die Stimmen von Analytikern, die einen Angriff auf den Iran noch in diesem Jahr für beschlossene Sache halten. Demnach ginge es also wie beim Irak 2003 nur noch um die propagandistische Vorbereitung mit entsprechendem "Beweismaterial". Eine beängstigende Perspektive.

 

Chronik einer Eskalation

Am 1. September 1969 wird der von den Westmächten eingesetzte libysche König durch eine vom damals 27jährigen Oberst Gaddafi angeführte Offiziersjunta gestürzt. Verstaatlichung von Finanzwesen und Ölwirtschaft. Großbritannien und die USA müssen ihre Militärbasen räumen. 1973 erklärt Libyen - im Widerspruch zum Seerecht - die große Syrte, eine an drei Seiten von libyschem Gebiet umgebene Meeresbucht, zum Hoheitsgewässer. In der Folge halten die USA dort mehrmals demonstrativ Manöver ab, was zu Scharmützeln führt. 1979 erstürmt eine wütende Menschenmenge die US-Botschaft, Abbruch der diplomatischen Beziehungen. 1981 Abschuß von zwei libyschen Flugzeugen über der Syrte. 1985 erklärt Ronald Reagan Libyen, den Iran, Nordkorea, Kuba und Nicaragua zu "Schurkenstaaten", weil sie diverse Untergrundbewegungen unterstützen (je nach Standpunkt und Zeitpunkt "Befreiungsbewegungen" oder "Terroristen").

Am 26. März 1986 versenken die USA in der Syrte mindestens zwei libysche Kriegsschiffe. Am 4. April werden bei dem Anschlag auf die Berliner Disco La Belle zwei US-Soldaten und eine Türkin getötet. Am 17. April bombardieren die USA Tripoli und Benghasi, wobei ein Wohnsitz Gaddafis zerstört, Gaddafi aber nicht getroffen wird. Der Lockerbie-Anschlag gilt bis heute als Vergeltung für dieses Bombardement. RGK


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