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14.07.07 / Poesie, Fiktionen und Visionen / Die Münchner Ausstellung "Architektur wie sie im Buche steht" ist jetzt in Hamburg zu sehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-07 vom 14. Juli 2007

Poesie, Fiktionen und Visionen
Die Münchner Ausstellung "Architektur wie sie im Buche steht" ist jetzt in Hamburg zu sehen
von Silke Osman

Stets habe ich bisher, in allen stories of fiction, mit neugierigem Bedauern vermißt, daß der Dichter einmal seine räumliche Vision dem Leser vorgelegt hätte", schrieb der Schriftsteller Arno Schmidt 1950 an den Rowohlt Verlag. "Beim Lesen ist es ja stets so, daß der Leser sich die Szenerie in ein kurioses Eigenland verlegt; sollte es nicht von größtem Wert sein, wenn er auch einmal erführe, wie sich der Poet selbst so die Lokalitäten gedacht hat?!"

In einer Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München konnte man sich vor kurzem ein Bild von fiktiven Bauten und Städten machen, die Dichter und Schriftsteller im Lauf der Jahrhunderte ersonnen haben. Nun ist es dem Altonaer Museum in Hamburg gelungen, diese sehenswerte Schau in den Norden der Republik zu holen. Derzeit sind in der Außenstelle des Museums, dem reizvoll an den Hängen der Elbe gelegenen Jenisch Haus, diese Visionen und Fiktionen zu sehen.

"In der Ausstellung ,Architektur wie sie im Buche steht' geht es nicht um real existierende Bauten und Städte, die schon seit der Antike in Dichtungen und Romanen eine Rolle spielten, sondern um die von Schriftstellern erfundene Architektur, die nach deren Angaben mehr oder weniger genau konkretisiert werden kann", betonen die Ausstellungsmacher. Beschriebene fiktive Bauten und Städte werden durch Modelle, Pläne, Zeichnungen, Buchillustrationen oder Filmausschnitte sichtbar gemacht. Mehr als 250 Exponate aus internationalen Museen, Archiven und Sammlungen wurden dafür zusammengetragen. Entstanden ist so eine Schau, die aufmerksame und geduldige Besucher braucht. Solche, die sich die Muße nehmen, einerseits die Exponate genau zu betrachten, andererseits die Erläuterungen eingehend zu studieren. So wird man zweifelsohne auf seine Kosten kommen und vieles entdecken können, das zum eingehenderen Studium des literarischen Werks des einen oder anderen Schriftstellers durchaus anregt.

Sortiert nach einzelnen Themen, die mit Überschriften versehen sind wie "Legendäre und sagenumwobenen Orte", "Handlungsräume und Tatorte", "Dichtung wird Architektur",

"Ideale Städte - Ideale Gemeinschaften", wird dem Besucher der Ausstellung eine bunte Vielfalt präsentiert, die Lust macht zum Forschen, Assoziieren und natürlich zum Lesen.

"Die Macht und Kraft der fiktiven Orte ist ein Thema, das immer wieder neu und aktuell ist", betont Winfried Nerdinger, Direktor des Münchner Architekturmuseums, im Katalog zur Ausstellung (39 Euro). "Adalbert Stifters statisch biedermeierliches Idyll des ,Rosenhauses' liefert konservatorischen Architekten ein Gegenmodell zur industrialisierten Welt", erläutert Nerdinger. "Gartenstädte wurden Jahrzehnte vor ihrer Verwirklichung erdichtet, Kafkas ,Schloß' dient weltweit als Symbol für die gnadenlose anonyme Macht der Bürokratie, und der Kalte Krieg ist in der Insel der ,Gelehrtenrepublik' Arno Schmidts topographisch fixiert worden. Um Dichtung zu verstehen, verlangte Vladimir Nabokov von seinen Studenten, die Räume und Orte der Dichtung präzise nach den Angaben der Dichter nachzuvollziehen. Die Visualisierung fiktiver Räume hilft, tiefer in die von der Literatur angebotenen Erklärungen der Welt einzudringen, sie ist ein wichtiger Teil der ,Kunst des Lesens'."

Der Besucher wandert durch die einzelnen Abteilungen der Ausstellung, blättert in ihnen sozusagen wie in einem Buch. Da begegnet man auf einem Stich von Melchior Küsel dem Turm zu Babel, einem Bauwerk, das die Menschheit seit Jahrtausenden fasziniert, oder der sagenumwobenen Gralsburg, die Hans Thoma in einem Gemälde dargestellt hat. Ein "Kapitel" weiter geht es um Handlungsräume und Tat-orte. Ein nur aus Büchern bestehendes Papierhaus macht auf seine Weise den Inhalt der Ausstellung deutlich. Unverkennbar die "Villa Kunterbunt" der Pippi Langstrumpf, als Modell in der Ausstellung vertreten. Unheimlicher ist da schon das Haus des Rats Krespel, der zunächst nur die Mauern errichten ließ, um dann Fenster und Türen hinausschlagen zu lassen. So berichtete der Königsberger E. T. A. Hoffmann in seiner Meistererzählung um den geheimnisvollen Rat.

Thomas Bernhards Roman "Korrektur" regte Lun Tuchnowski an, einige Modelle des in dem Roman beschriebenen Kegels zu fertigen. Überhaupt ließen sich Architekten oft von Dichtern inspirieren. Das mußte nicht so weit gehen wie bei dem real existierenden Schloß Lichtenstein am Steilabfall der schwäbischen Alb. Die Vorlage hierfür findet sich in einem Roman von Wilhelm Hauff. Auch die Königsberger Architekten-Brüder Bruno und Max Taut ließen sich von einem Dichter inspirieren, als sie sich mit Glasarchitektur beschäftigten. 1913 war der Asteroidenroman "Lesabéndio" des Danzigers Paul Scheerbart erschienen und hatte "eine ganze Architektengeneration verhext", wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. 1914 erregte Bruno Taut mit seinem Glashaus auf der Werkbund-Ausstellung in Köln einiges Aufsehen.

In einem weiteren "Kapitel" sind Zeichnungen zu entdecken, die Schriftsteller fertigten, um sich selbst zunächst die Handlungsorte ihres Romans zu verdeutlichen. Theodor Fontane ist dabei wie auch Günter Grass oder Friedrich Dürrenmatt. Umberto Ecco ging mit seinen Skizzen für seinen Roman "Der Name der Rose" da noch weiter, er skizzierte auch die einzelnen Typen der Klosterbrüder. Der Besucher der Ausstellung erhält so einen Einblick in den Entstehungsprozeß der Texte.

Die Fülle der auf relativ knappem Raum versammelten Exponate ist schier unfaßbar, um so mehr verlockt sie zu einem ausführlichem Studium.

Die Ausstellung "Architektur wie sie im Buche steht - Fiktive Bauten und Städte in der Literatur" ist im Jenisch Haus - Museum für Kunst und Kultur an der Elbe, Baron-Voght-Straße 50, 22609 Hamburg, dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen, Eintritt 5 / 3,50 Euro, öffentliche Führungen sonntags 15 Uhr, bis 30. September.

Foto: Das Papierhaus: Entwurf nach Carlos Maria Dominguez, Modell aus dem Jahr 2006


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