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21.07.07 / Der eingebildete Kranke / In Rente gegangener Familienvater tyrannisiert sein Umfeld

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-07 vom 21. Juli 2007

Der eingebildete Kranke
In Rente gegangener Familienvater tyrannisiert sein Umfeld

"Alles fing damit an, daß George eine Woche vor Bob Greens Beerdigung einen schwarzen Anzug bei Alders anprobierte ... Er hatte seine Hose ausgezogen und war gerade in die untere Hälfte des Anzugs gestiegen, als er ein kleines Oval hochgewölbter Haut an seiner Hüfte sah, das dunkler als die Haut drumherum war und leicht schuppte ... Krebs."

George Hall, gerade in Rente gegangen, steigert sich Stück für Stück in die Möglichkeit hinein, daß er bald an Krebs sterben wird. Selbst die Diagnose seines Arztes, daß es sich nur um ein einfaches Exzem handelt, bringt ihn nicht von seinen Todesahnungen ab.

Georges Frau Jean erkennt ihren Mann nicht wieder. Dieser bekommt regelmäßig Panikattacken, doch weil er mit seiner Frau nicht darüber Reden will, schließt er sich immer irgendwo ein.

Jean, halbtags noch berufstätig, distanziert sich von ihrem Mann und sucht sich einen Liebhaber. Dieser, ein ehemaliger Kollege von George, redet mit ihr über alles, was sie bedrückt, und gibt ihr zugleich das Gefühl, Frau und nicht nur Haushaltshilfe zu sein.

Der englische Autor Mark Haddon schildert in einem wunderbar ironischen Stil in "Der wunde Punkt" typische Probleme seiner Landsleute. Er beschreibt die englische Gesellschaft in einer Kleinstadt so anschaulich, daß man glaubt, man wäre vor Ort.

Als Georges Tochter Katie auch noch verkündet, daß sie zum zweiten Mal heiraten will und er als Brautvater die Rede halten soll, fühlt sich George total überfordert, zumal er seinen zukünftigen Schwiegersohn Ray nicht mag. "Von nun an würde Ray zu ihrer Familie gehören. Sie würden ihn ständig sehen. Bis sie starben. Oder auswanderten."

Auch Jamie, Katies schwuler Bruder, mag Ray nicht. Da er aber selber Beziehungsprobleme hat, hat er andere Sorgen, als seiner Schwester den Mann auszureden. Doch dann wird die Hochzeit wieder abgesagt - kurzfristig.

Anschaulich schildert der Autor die Ängste der alternden Eltern, der jungen Mutter Katie, die in erster Linie einen netten Vater für ihren Sohn sucht, und Jamies, der sich nicht vollständig in der Kleinstadt seiner Eltern dazu bekennen kann, schwul zu sein.

Nach zahlreichen Nervenzusammenbrüchen, tätlichen Übergriffen und familiärem Kleinkrieg, sieht George ein, daß er noch nicht sterben muß und mit dem Eintritt ins Rentenalter eine neue Sicht auf das Leben und seine Ehe braucht.    Rebecca Bellano

Mark Haddon: "Der wunde Punkt", Blessing, München 2007, geb., 446 Seiten, 19,95 Euro, Best.-Nr. 6254


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