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21.07.07 / Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-07 vom 21. Juli 2007

Geschichte von unten
Engagierter Bürger über die Opfer der Roten Armee und der DDR

"Man kann dieses Buch des Grauens nicht wie einen Roman abends vorm Einschlafen lesen, man findet nachts keine Ruhe mehr und braucht Tage, um zu verarbeiten, was man gelesen hat. In der DDR-Geschichtsschreibung werden die Nachkriegsjahre als ,antifaschistisch-demokratische Umwälzung' geführt. Thieles Buch dagegen ist Geschichtsschreibung von unten, aus der Sicht der Opfer, nicht der Täter." Dr. Jörg-Bernhard Bilke

Es ist schon merkwürdig, wenn ausgerechnet ein Laie die Aufarbeitung der mitteldeutschen Nachkriegsgeschichte betreiben muß, damit endlich eine Erhellung der damaligen Geschehnisse geschieht. Millionen von Menschen haben Furchtbares erduldet, sie wurden gedemütigt, entrechtet, erpreßt und verschleppt; vieles davon ist auch in Akten festgehalten, also authentisch nachgewiesen, doch selbst 17 Jahre nach der Wende hat sich keine Universität, kein Wissenschaftler dazu entschließen können, diese Zeit detailliert zu erforschen und aufzuzeigen.

Ein Tabu-Thema also? Noch immer nach mehr als einem halben Jahrhundert?

Anscheinend ja! Denn es gibt immer noch genügend Zeitzeugen, Betroffene und Opfer, die befragt werden können und es gibt dicke Aktenbündel in den Archiven, nach wie vor unberührt.

Der Wert von Thieles Buch besteht zum einen in der territorialen Begrenzung seiner Aufarbeitung, das heißt, daß sich seine Forschung auf eine Kreisstadt beschränkt und von daher übersichtlich bleibt. Und zum anderen darin, daß er den Leser mit wichtigen Hintergrundinformationen versorgt, die ihm helfen, jene Zeit und das Ausmaß der Verbrechen besser zu erfassen.

In mehr als zwölf Jahren hat Thiele Hunderte von Zeitzeugen befragt, vor allem Opfer. Er hat sich von ihnen Belege vorlegen lassen oder sich diese aus Archiven besorgt. Bewegend war für ihn, in welch erschreckenden Zuständen sich mitunter Betroffene befanden, die während des Erzählens ins Weinen gerieten oder zu flüstern begannen und ihm gestanden, noch immer Angst vor möglichen Repressalien zu haben. Die Übernahme Thüringens durch die Sowjets am 4. Juli 1945 war für die Bürger der Beginn einer Schreckenszeit unvorstellbaren Ausmaßes. Mord, Raub und Willkürakte sowjetischer Soldaten prägten fortan das Leben der Stadt Mühlhausen. Der Zustand völliger Rechtlosigkeit, die tägliche Angst vergewaltigt, umgebracht oder verschleppt zu werden, hielten die Menschen über Jahre in Spannung. Bereits Ende 1945 waren auf Anordnung der sowjetischen Militärbehörden weit über 1000 Bürger aus der Stadt verschleppt worden. 44 Männer, sieben Frauen und ein Kind hatten Rotarmisten bis dahin auf offener Straße ermordet. In den von der GPU (MKWD) schnell hergerichteten Gefängnissen kamen über 200 Personen durch Erschlagen und Erschießen ums Leben. Besonders Jugendliche wurden immer wieder Opfer bei diesen Gewaltmaßnahmen und Inhaftierungen. Hautnah mußte Thiele, selbst zweimal Gefangener (1945 und 1947), miterleben, in welchem Zustand die Gefolterten in die Zellen zurückkamen. Blutüberströmt, stöhnend vor Schmerzen, um Wasser bettelnd. Er war Zeuge, wie nachts die Getöteten außer Haus gebracht und in Kübelwagen fortgeschafft wurden - zur Einäscherung ins städtische Krematorium oder zum Verscharren in den Mühlhäuser Stadtwald.

Zu den Ungeheuerlichkeiten jener Jahre zählte, daß den Angehörigen der Verschleppten und Getöteten keinerlei Auskunft über den Verbleib der Unglücklichen gegeben wurde. Erst nach 1952 erhielten die Hinterbliebenen von den Stadtämtern die Aufforderung, für die Verschollenen eine Todeserklärung zu beantragen. Eine an Zynismus kaum zu überbietende Aktion. Nicht nur die politische Verfolgung unbescholtener Bürger, sondern die unguten Verhältnisse in der Sowjetischen Besatzungszone überhaupt führten zu einer gewaltigen Fluchtbewegung nach Westdeutschland. Zusammen mit Neubürgern flohen von 1945 bis zum Mauerbau 1961 über 27000 alteingesessene Mühlhäuser. Ausgeglichen wurde dieser riesige Schwund vor allem durch die hohe Zahl eintreffender Ostflüchtlinge. Allein im März 1946 mußte Thüringen von ihnen eine Million aufnehmen, davon entfielen auf den Landkreis Mühlhausen 18000.

So werden in 17 Kapiteln kurz und prägnant die wichtigsten politisch-juristischen Entwicklungsstationen vorgestellt, also von 1945 bis 1961. Sie sind der unwiderlegbare Beweis für ein von den Sowjets an der mitteldeutschen Bevölkerung begangenens Verbrechen, das in seiner Art einmalig in der deutschen Geschichte ist.    Constanze Mey

Manfred Thiele: "Flucht ohne Ende - Bürgerverluste der Stadt Mühlhausen von 1945 bis 1961", Selbstverlag, geb., 296 Seiten, 19 Euro, Best.-Nr. 6223


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