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21.07.07 / Auf Jakobspilger lauerten früher viele Gefahren / Der Jakobstag 25. Juli als Festtag des Schutzpatrons der Pilger läßt sich bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-07 vom 21. Juli 2007

Auf Jakobspilger lauerten früher viele Gefahren
Der Jakobstag 25. Juli als Festtag des Schutzpatrons der Pilger läßt sich bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen
von Manfred Müller

Jakobspilger zu sein gilt heutzutage in bestimmten Kreisen unserer Gesellschaft als chic. Manche buchen Gruppenreisen, um als Kunstpilger die Monumente des historischen Jakobsweges zu bewundern und per Bus nach Santiago de Compostela zu gelangen. Andere nehmen die Strapazen einer Pilgerschaft zu Fuß auf sich. Diese Modeerscheinung ermöglicht mitunter durchaus auch spirituelle Erlebnisse. Allerdings sind die Umstände dieser modernen Jakobspilgerschaft kaum mit den Mühen und Gefahren zu vergleichen, die unsere Vorfahren zu ertragen hatten, wenn sie den langen Weg zu Sankt Jakobs Grab im fernen Nordspanien auf sich nahmen.

Jakobus, der als erster Apostel im Jahre 44 durch Enthauptung den Märtyrertod erlitt, soll der Legende nach auf der iberischen Halbinsel missioniert haben. Seine Gebeine sollen auf wundersame Weise nach Santiago de Compostela gelangt sein, wo sie im 9. Jahrhundert entdeckt

wurden. Zu dem Heiligtum, das über der Grabstätte errichtet wurde, kamen bald Wallfahrer aus dem ganzen Abendland. Nach Jerusalem und Rom war Santiago vom 10. bis 15. Jahrhundert der berühmteste Wallfahrtsort der Christenheit.

Im Laufe der Jahrhunderte sind zahllose Deutsche zu diesem Apostelgrab gezogen: zur Erfüllung eines Gelübdes, in der Hoffnung auf Besserung ihrer gesundheitlichen oder materiellen Situation und aus Sorge um ihr Seelenheil. Wer zu sehr krank war oder sich die Strapazen nicht zutraute, konnte sich mit Geld einen Ersatzpilger kaufen. Manch einer entfloh auch häuslicher Not, indem er sich auf den Weg nach Santiago machte. Eine solche Pilgerschaft konnte auch als Strafe für schwere Vergehen verhängt werden. Auf den Pilgerwegen drohten große Gefahren: Krankheiten, wilde Tiere, Diebe, Raubmörder. Wenn ein Familienvater auf der Wallfahrt umkam (und das geschah häufig), brachte das die zurückgelassene Familie mitunter in schwere Bedrängnis. Ein halbes Jahr mußte ein deutscher Pilger bei reibungslosem Ablauf für seinen Weg zum Heiligen Jakob und zurück einplanen. Mit geradezu blindem Vertrauen auf Hilfe und Schutz dieses mächtigen Heiligen nahmen die Pilger die Mühseligkeiten und Nöte auf sich, um die segenspendende Nähe des Apostels an dessen Grabstätte zu erfahren.

Aus Sicherheitsgründen zogen die Pilger gerne in Gruppen. Die Ausrüstung der Wallfahrer war (sieht man einmal von Adeligen und reichen Bürgern ab) in der Regel bescheiden: zur gewohnten Alltagskleidung Sandalen oder Stiefel, dazu Pilgermantel, -stab und -tasche, am Pilgerhut eine Muschel, die ursprünglich als Trinkgefäß diente. Bald wurde so auch in Pilgertracht der Heilige selbst auf Abbildungen dargestellt.

Auf uralten Verkehrsadern zogen die deutschen Pilger zunächst nach Aachen, um von dort die "Niederstraß" über Brüssel, Paris, Bordeaux zu den Pyrenäenpässen zu benutzen. Oder man zog über Einsiedeln, Genf, Arles, Toulouse auf der "Oberstraß" zu den Pyrenäen. In Frankreich konnte man auch zwei weitere Hauptrouten wählen, die eine in Richtung Perigueux, die andere in Richtung Moissac. An diesen Wegen boten Klöster den Pilgern Unterkunft. Auch entstanden Pilgerhospize und -spitäler, um den Wallfahrern Herberge, bescheidene Verköstigung und Versorgung bei Krankheiten zu bieten. Sie beruhten auf frommen Stiftungen, oft kümmerten sich auch örtliche Jakobsbruderschaften um das Wohl der Pilger und die Bestattung der auf der Pilgerschaft Verstorbenen. Häufig kamen Pilger nicht in den Genuß solcher Leistungen christlicher Nächstenliebe, weil schon alles belegt war oder  sie ein solches Tagesziel nicht erreichten. Dann mußte man auf oft miserable Gasthäuser ausweichen oder versuchen, sonstwo unterzuschlüpfen.

Auch die Seepilgerschaft zu Sankt Jakob war nicht ungefährlich. Norddeutsche (sowie Niederländer, Engländer und Skandinavier) konnten, wenn sie das nötige Geld hatten, auf dem Seeweg nach Bordeaux oder zu den galizischen Häfen gelangen und von dort weiter zu Fuß oder zu Pferd pilgern. Im Spätmittelalter verkehrte regelmäßig im Frühjahr ein Pilgerschiff von Hamburg in Richtung Santiago. 1506 sank dieses Schiff mit 200 Wallfahrern an Bord. Typisch ist die Seepilgerreise des Fernhandelskaufmanns Wilhelm von Reval. In einem schweren Seesturm hatte er das Gelübde abgelegt, er werde nach Rom und Santiago pilgern, wenn er glücklich den Heimathafen erreiche. Dies geschah, und er erfüllte 1492 gewissenhaft, was er gelobt hatte.

Manches von den Erfahrungen der Pilger schlug sich in Gesängen nieder, die mit den zurückkehrenden Wallfahrern in die Heimat gelangten. Eines dieser Lieder wurde in die berühmte romantische Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" von Achim von Arnim und Clemens Brentano aufgenommen. Das "St. Jakobs Pilgerlied" beginnt mit dem Hinweis auf das "Elend", das heißt die Fremde mit ihren anderen Sprachen und Sitten. Das Lied weiß von schlechter und guter Behandlung der deutschen Pilger in den "welschen" (romanischsprachigen) Landschaften zu berichten. Besonders eindringlich führt es Klage über einen abscheulichen Vorsteher eines spanischen Pilgerspitals, der viele deutsche Pilger, für ihn "deutsche Hunde", vergiftet habe und dafür schließlich vom spanischen König hingerichtet worden sei.

Die kritisch bis ablehnende Haltung der Humanisten und der Reformatoren gegenüber der Jakobswallfahrt sowie die Glaubenskämpfe und Kriege der Neuzeit brachten zeitweise die berühmte Wallfahrt fast zum Erliegen. Bei Martin Luther kann man lesen: "Man waisz nit ob sant Jacob oder ain todter hund oder ain todts roß da ligt ... Darumb laß predigen wer da wil, laß ablaß ablaß sein, laß raisen wer da wil, bleib du dahaim!"

Für die meisten Jakobspilger in lange vergangenen Zeiten mag das religiöse Sehnsuchtsmotiv ausschlaggebend für den Aufbruch ins Ungewisse gewesen sein. Sie wurden angetrieben von der Hoffnung, am für echt gehaltenen Jakobsgrab und seinen Reliquien die Wirkkraft des mächtigen Apostels zu spüren und die Erfüllung ihrer persönlichen Wünsche zu finden. Heute ist das Motivgeflecht bei den Reisenden nach Santiago sicher komplizierter. Aber kaum einer kann sich hier dem Bannkreis einer großen europäischen Tradition entziehen. Pilger im eigentlichen Sinne sind heute diejenigen, die einen spirituellen Antrieb verspüren und sich zu Fuß, mit dem Rad (und einzelne auch zu Pferd) auf den alten Pilgerwegen zur Jakobsstadt begeben. In der dortigen Kathedrale kulminiert am Festtag des Apostels, dem 25. Juli, das religiöse Brauchtum.


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