29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.07.07 / Tour de Doping - ist das noch Sport?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-07 vom 28. Juli 2007

"Moment mal!"
Tour de Doping - ist das noch Sport?
von Klaus Rainer Röhl

Nun setzen sich wieder alle die Wundermütze auf. Es wurde gedopt! Die Empörung ist bundesweit, weltweit, "Bild"-weit. Die öffentlichen Fernsehanstalten beschlossen im ersten Zorn ihrer Intendanten sogar einen völligen Boykott der "Dopingspiele": Gedopt - gestoppt! Die privaten Fernsehsender engagierten schnell neue Kamerateams und rüsteten sich zu Sonderschichten. Zu früh gefreut. Nur die Direkt-Übertragungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurden abgeblasen, "bis auf weiteres". Eine Formel für das baldige Umkippen. Vielleicht, wenn "neue Tatsachen" bekannt werden.

Die "neue Tatsache" besteht darin, daß der ertappte Radprofi Patrick Sinkewitz bei einer unangemeldeten Doping-Kontrolle während seines Trainings im Juni zu Protokoll gegeben habe, der Kontrollraum, in dem er sein Wasser in Gegenwart des Kontrolleurs abschlagen mußte, sei nicht verschlossen gewesen. Ein großer Unbekannter könnte also in den Raum eingedrungen sein und seine Urinprobe vertauscht oder verfälscht haben. Die Nationale Antidopingagentur (NADA) dementierte.

Wenn aber die Tür auch nur einen Spalt weit offengestanden hätte und so ein Verfahrensfehler bei der Dopingprobe gemacht worden wäre, könnte Sinkewitz mit einem Freispruch rechnen, selbst wenn auch die nachträglich vorgenommene B-Probe das männliche Sexualhormon Testosteron im Übermaß nachweisen würde! Dann würden auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender wieder mit sich reden lassen. Denn für die geht es um die Quote. Also um Geld. Für alle geht es um Geld, um viel Geld. Nicht nur für den erwischten Berufs-Radfahrer, der empfindliche Strafzahlungen fürchten muß, sondern auch für sein kommerziell geführtes "Team T-Mobile", das Unsummen in die Tour de France gesteckt hat, um mit den Radprofis ungeniert Reklame für Produkte zu machen.

Ist das noch Sport, fragen sich empört die Fernsehzuschauer, die über die wiederholten Dopingfälle enttäuscht und aufgebracht sind. War das überhaupt je Sport, fragen wir. Nicht nur die Radfahrer überschlagen sich bei dem rasenden Tempo der Fahrt. Auch die Meldungen. Und diese Meldungen werden um so eifriger gebracht, je mehr Skandale es gibt, und um so gieriger verschlungen von den Fans, die nicht von ihrer Sucht lassen wollen, wochenlang die verschwitzten Kerle mit den vor Anstrengung verzerrten Gesichtern in Großaufnahme zu betrachten: "Aua, aua, muß das weh getan haben!" Es ist eine Art lustvolles Mitleiden bei Bier und Grillwürstchen, das man sich durch ein paar Dopingfälle eigentlich nicht vermiesen lassen will. Es muß eben besser kontrolliert werden! Man vertraut weiterhin darauf, daß die da oben, im Verband, ja nicht alle Betrüger sein können. Also will man weiter sehen, wer heute das gelbe Trikot anziehen durfte, wer das grüne Trikot kriegt und wer gestürzt ist und wie schwer er verletzt wurde, als er mit einem Zuschauer zusammengekracht ist. Wie schwer der Zuschauer verletzt ist, interessiert schon weniger, selber schuld, möchte man sagen, wenn er den rasenden Athleten zu nahe gekommen ist.

Ist das noch Sport? Ja, das ist sogar der Gipfel, die Höhe, das Letzte, was die Nerven und Muskeln hergeben. Wenn man sie nur richtig dabei unterstützt. Durch die Künste der Chemie, der Medizin der Unverfrorenheit, der Gewinnsucht, der unverblümten Geschäftemacherei mit einer Schau namens Leistungssport. Vielleicht ist das einzige wirklich Solide an diesen Wettbewerben die sich immer weiterentwickelnde und zukunftsträchtige deutsche Chemie. Und auch die deutsche, in der alten DDR sogar besonders geförderte und gepflegte Sportmedizin. Medizin muß sein beim Leistungssport. Medizin kann nicht nur die Sportverletzungen heilen und die furchtbaren Schmerzen lindern, sondern eben auch die Leistungen durch gezieltes Vorgehen steigern. Das beginnt mit der Aspirin-Tablette beim Schulsportwettkampf und Jugendmarathon und endet mit der massiven Einspritzung von Hormonen in die Blutbahn des Sportlers. Die Horror-Mediziner des Ostblocks, vom Staat bezahlt und gedeckt, waren allen westlichen Kollegen zunächst weit voraus, erschreckten aber durch die Plumpheit und Grobheit ihrer Frankenstein-Methoden und den Ergebnissen ihrer Menschenexperimente - brustlose und muskelbepackte Schwimmerinnen und andere Athletinnen mit breiten Schultern und rauher Stimme bald die aufmerksame westliche Öffentlichkeit, entzückten aber die Kollegen durch die schier unglaubliche Gelenkigkeit ihrer Eisläuferinnen und Turnerinnen, die später als schlimme Körperverletzung aufgedeckt wurden, ließen aber ihre westlichen Kollegen nach besseren und nicht ganz so plumpen "Trainingsmethoden" suchen.

Der Ostblock ging unter, einige der gröbsten Skandale wurden aufgedeckt, ganzen Generationen von jungen Menschen waren buchstäblich die Knochen verkrüppelt und die Seele aus dem Leib getrieben worden, viele sind für immer zerbrochen. Die Methoden des Doping blieben und wurden immer mehr verfeinert und sind den, ebenfalls verfeinerten, Methoden der Kontrolleure immer einen Schritt voraus. Leistungssteigerungen werden heute wie damals erzielt durch Anabolika, Muskelaufbaustoffe, Epo (ein Mittel zur Bildung von mehr roten Blutkörperchen, das die schnellere Regeneration und die Abkürzung der natürlichen Ruhephasen des Körpers bewirkt) und Eigenblut, das vorher dem Athleten abgezapft und, mit Sauerstoff versetzt, während der letzten Tage vor dem Wettkampf gespritzt werden kann und natürlich unauffällig ist. Manche Sportler führen übrigens auch Eigenblut und (sauberen) Eigenurin in sterilen Behältern bei sich, um ihn nach Möglichkeit den Kontrolleuren unterzujubeln, der Möglichkeiten gab es viele und gibt es offenbar immer neue. Auch während der langen Trainingsphase kann der Körper durch Spritzen, Tabletten und andere Mittel so bearbeitet werden, daß die erwartete Leistung Monate später erbracht wird, ohne daß noch Chemikalien oder biologische Dopingstoffe (Hormone wie Testosteron) nachzuweisen sind. Das Publikum weiß das. Alle wenden sich mit Grausen ab - und stürzen sich am Abend erneut auf die Ergebnisse, voll Abscheu vor den Funktionären, den Sportärzten, den Fahrern.

Ist das noch Sport? Immer wieder werden die offen zutage tretenden häßlichen Realitäten dieser Monsterschau von den Millionen Fans verdrängt. Was jeder privat zu seinem Nachbarn am Stammtisch sagt, "Die dopen ja alle!", glaubt er in Wirklichkeit nicht, soviel Betrug traut er denen da oben nicht zu, es muß doch eine Kontrolle geben, es muß mit rechten Dingen zugehen. Was sollte er sonst an den vielen Abenden tun, als sitzend auf dem Sofa Radfahren, Fußball, Boxen, Tennis und Wintersport in jahreszeitlichem Wechsel zu genießen. Alles nur Beschiß? Das darf einfach nicht sein.

Arme Fans. Es ist nie mit rechten Dingen zugegangen beim Sport, seit körperliche Fähigkeiten und Stärke in Wettbewerben vorgeführt worden sind. Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer zu kämpfen gehörte ursprünglich mehr oder weniger zur Natur der Völker. Seit der Spezialisierung einiger Gruppen auf die nicht zu Unrecht "Kriegshandwerk" genannte, immer schon hochbezahlte Fähigkeit zu töten gefiel es der Elite, auch im Frieden ihre Fähigkeiten bei Turnieren und Wettkämpfen vorzuführen, also in Scheingefechten, Spielen. Zunächst in der Absicht, die Pausen zwischen den vielen Kriegen mit Wettspielen zu füllen - später sogar, um einen landesweiten Waffenstillstand zu erzeugen: Für die Zeit der Wettspiele, einige Wochen lang, ruhten die Waffen. Die Teilnehmer der panhellenischen Spiele in Korinth ("Zum Fest der Wagen und Gesänge ...") und der ersten Olympischen Spiele, ab 776 v. Chr. bezeugt, trainierten hart. Für das Training gibt es sogar ein schriftliches Zeugnis des griechischen Schriftstellers Epiktet (50-120 n. Chr.), das uns nach rund 2000 Jahren zu denken geben könnte: "Es ist eine schöne Sache, bei den Olympischen Spielen zu siegen. Aber betrachte neben den Folgen auch die Voraussetzungen! Du mußt dich einer strengen Ordnung fügen und nach Vorschrift essen. Gebäck und Süßigkeiten sind verboten. Auf Befehl und zur bestimmten Stunde mußt du üben, ob du willst oder nicht, bei schwülem Wetter oder bei Kälte. Du darfst kein gekühltes Wasser trinken, auch keinen Wein. Du mußt Dich deinem Ausbilder voll und ganz ausliefern. Dann beginnt der Wettkampf. Du mußt dich mit einem anderen auf der Erde wälzen. Dabei kannst du dir den Arm verrenken, den Fuß verdrehen. Du mußt Staub schlucken, bekommst Hiebe - und dann kann es nach alldem passieren, daß du besiegt wirst. Das alles überlege dir genau. Hast du dann noch Lust, dann geh hin!"

Wenn Sie noch Lust haben, meine Leser, gehen auch Sie hin und sehen Sie weiter die Doping-Spiele. Die nächsten Box-Meisterschaften werden auch nicht besser sein. Gedopt wird immer. Vielleicht wäre es besser, die nächsten Sportveranstaltungen als einen Kampf um die besten Doping-Methoden und die besten Medikamente auszufechten. Bayer-Leverkusen gegen Böhringer-Ingelheim. Eigenblut-Therapie gegen Teststosteron. Dr. Mabuse gegen Dr. Frankenstein. Einer muß gewinnen.

Foto: Im Visier des öffentlichen Entsetzens: Das "Team T-Mobile" unter Doping-Verdacht


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren