29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.08.07 / Arbeitsplatz Krisengebiet / Trotz Krieg und Terror suchen viele Deutsche auf dem Arbeitsmarkt Krisenherd ihr Glück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-07 vom 04. August 2007

Arbeitsplatz Krisengebiet
Trotz Krieg und Terror suchen viele Deutsche auf dem Arbeitsmarkt Krisenherd ihr Glück
von Mariano Albrecht

Ich fühle mich sehr unsicher. Meine Kollegen und ich haben beschlossen, das Land sofort zu verlassen, ohne Rücksicht auf die Firma, falls noch mal was passiert.“ Diese Worte sagte Rüdiger D. 2006 in „heute“, er blieb trotzdem in Afghanistan und kam während seiner Geiselhaft ums Leben.

Was treibt Menschen dazu, Leib und Leben für einen Job zu riskieren? War es im Fall von Rüdiger D. wirklich die Existenznot, weil er in Deutschland mit seinen 43 Jahren keine Arbeit mehr fand, war es Abenteuerlust oder einfach ein unterschätztes Risiko?

Wirtschaftsexperten wissen, daß der Markt Afghanistan trotz der unsicheren Lage für deutsche Unternehmen mehr als zukunftsträchtig ist. Seit 2004 haben sich Exporte deutscher Firmen in das Land am Hindukusch mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr stiegen die Umsätze auf über 200 Millionen Euro - Goldgräberstimmung.

Viele Unternehmungen erfordern geschultes Personal für den Aufbau und die Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen vor Ort. Die Deutsche Botschaft bietet den vor Ort lebenden Deutschen an, sich in sogenannte Deutschenlisten einzutragen und sich an das Informationssystem anzuschließen. Per E-Mail oder SMS werden so Sicherheitshinweise an die Landsleute weitergegeben.

Während internationale Großunternehmen ausschließlich Mitarbeiter entsenden, die über zum Teil jahrelange Erfahrung im Auslandseinsatz und in Krisengebieten verfügen, müssen Mittelständler und Kleinunternehmer schon einiges riskieren, um in Afghanistan oder im Irak mitmischen zu können. Ihnen fehlt meist die Logistik für umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und eine Vorbereitung. Ausbildung ihrer Leute findet häufig gar nicht statt. Ein Siemens-Sprecher gibt sich auf die Frage nach den Vorsichtsmaßnahmen zugeknöpft: „Alles was ich Ihnen darüber sagen würde, könnte unsere Mitarbeiter gefährden. Wir lassen uns da nicht in die Karten schauen. Aber gehen Sie davon aus, daß wir alles Menschenmögliche tun, um unsere Leute zu schützen.“

Sicherheitsexperte Elmar G. (Name geändert) bildet Personenschützer aus und erstellt Sicherheitskonzepte für Firmen, die in Krisengebieten arbeiten. Er betont: „Wer zum Arbeiten in Kriegsgebiete geschickt wird, braucht nicht nur selbst eine Ausbildung für Ernstfälle wie Beschuß oder Geiselnahme, sondern professionelle Begleiter. Da muß vom Abflug in Deutschland bis zum Einchecken im Hotel alles geregelt sein. In einem Zielland wie dem Irak oder Afghanistan am Flughafen in ein wildfremdes Taxi zu steigen oder ohne Sicherheitsbegleitung zu fahren, kann schon ein halbes Todesurteil sein.“ Elmar G. ist Ex-Offizier mit Spezialausbildung im Personenschutz. Er meint, daß sich kleine Unternehmen und Glücksritter diesen Aufwand gar nicht leisten könnten. Bodyguards kosten zwischen 500 und 1000 US-Dollar pro Tag, eine Rundum-Betreuung kann für eine Woche Aufenthalt schnell ein Budget von 50000 bis 100000 US-Dollar verschlingen. Zudem verlangen Profis von ihren Auftraggebern den Abschluß einer Lebensversicherung in Millionenhöhe für ihre Angehörigen.

Große Hilfsorganisationen und Firmen schicken ihre Leute auf Vorbereitungskurse privater Sicherheitsunternehmen. Für Journalisten bietet die Bundeswehr gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft eine Spezialausbildung an. In besonderen Ausbildungslagern wird das Verhalten bei Geiselnahmen trainiert, erschreckend realistisch, unter psychologischer Betreuung und mit erfahrenen Ausbildern. Wer hier durchfällt, sollte auf den Einsatz verzichten.

Wer sich gut vorbereitet und an die Regeln hält, kann gutes Geld verdienen. Monatseinkommen von 20000 bis 40000 Euro sind keine Seltenheit. Auch die US-Armee beschäftigt in Afghanistan zivile Mitarbeiter, darunter auch Deutsche. Von Land und Leuten sehen diese allerdings nichts. Für die Zeit der Verpflichtung ist das gesicherte Camp der Arbeits- und Aufenthaltsort, das Verlassen des Camps oder Regelverstöße wie zum Beispiel Alkoholgenuß werden mit sofortiger Entlassung geahndet. Auch andere Länder bergen Risiken: Ein Büroleiter einer deutschen Hilfsorganisation - er will anonym bleiben - lebt und arbeitet im Kongo. Das Risiko von Entführungen ist hier zwar gering, doch die politische Lage erfordert spezielle Sicherheitsroutinen. „Wir bewegen uns grundsätzlich nicht allein, haben ständig Funkkontakt und melden uns bei jeder Tour an und ab. Wenn es brenzlig wird, verlassen wir das Land, auch vorsorglich. Kosten spielen da keine Rolle. Kontaktanbahnungen bergen hier das Risiko, erpreßt zu werden. Korruption ist weit verbreitet. Für unerfahrene Leute kann ein Kontakt mit den falschen Leuten schon mit Denunziation - das geht bis zum Spionagevorwurf - enden.“ Auch solche Verhältnisse machen eine professionelle Schulung und Vorbereitung auf den Einsatz erforderlich. Ob Selbstüberschätzung, Gottvertrauen oder Blauäugigkeit - jeder der sich entscheidet, die Herausforderung Krisengebiet anzunehmen, sollte sich über alle Konsequenzen im Klaren sein. Vor einem Jahr gingen die Bilder der beiden im Irak entführten Deutschen René Bräunlich und Thomas Nitzschke durch die Medien. Bienert, der Geschäftsführer des Unternehmens Cryotec, für das Bräunlich und Nitzschke gearbeitet hatten, spricht über den Einsatz seiner Leute Klartext: „Der Fehler lag eindeutig bei uns, wir waren zu vertraut mit unseren irakischen Kollegen vor Ort, unsere Vorsicht war abgeschaltet, wir haben uns zu 100 Prozent auf die verlassen. Das war unser Fehler. Es muß eine undichte Stelle gegeben haben. Obwohl alle Wege geheimgehalten wurden, alles generalstabsmäßig geplant war, sind unsere Leute in die Falle getappt. Wir hätten eigene Vorkehrungen treffen müssen, hätten uns nicht nur auf Einheimische verlassen sollen.“ Ein erneuter Einsatz von deutschen Kollegen kommt für Bienert nicht in Betracht. „Wir arbeiten nur noch mit Ortskräften, zur Not holen wir die für die Ausbildung nach Deutschland.“

Siemens: Bereits seit Juli 2003 ist der deutsche Konzern mit einem ständigen Büro in Kabul. Foto: pa


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren