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04.08.07 / Nebel im Schwiensmoor / Ein Freund, ein guter Freund ist das wichtigste in der Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-07 vom 04. August 2007

Nebel im Schwiensmoor
Ein Freund, ein guter Freund ist das wichtigste in der Welt
von Helen Bauers

Besoffen? Ich? Nee, meine Freunde - da täuscht ihr euch gewaltig! Meine Gedanken sind absolut klar! Und schnell sind sie - das ist lästig, weil ich sie gar nicht so schnell festhalten kann, wie sie mir durch den Kopf schießen. Verdammtes Neonlicht hier im Festzelt, ich sehe die anderen nur ganz verschwommen. Macht aber nichts, ich kenn’ sie ja alle - die reden doch bloß Schwachsinn. Und lachen. Wie blöde die lachen - worüber lachen die bloß? Man versteht ja praktisch kein Wort.

Ist sowieso alles widerlich - das ganze Schützenfest kann mir gestohlen bleiben, jeden Sommer dasselbe Theater im Dorf: Lärm, Blasmusik - und Saufen! Und überhaupt - die anderen sind besoffen und wollen mir das jetzt in die Schuhe schieben! Herrmann mit seinem Tablett voller Jagdbitter, die er einem dauernd vor die Nase hält, und Willi, der einem immer wieder ein neues Bier in die Hand drückt - wenn du nicht mit denen säufst, bist du für die der letzte Ar... . Und jetzt schon wieder Manfred - den ganzen Abend trinkt er wie 1000 Russen, stößt immer aufs neue mit mir an - und nichts ist dem Kerl anzumerken. Nee, ich kann das alles einfach nicht ab - ich geh’ jetzt nach Hause.

Warum ist das nur so schwer, auf den Beinen zu bleiben, wenn ich den Tresen loslasse? Der Fußboden - klar, die haben den Holzfußboden nicht richtig verschraubt, der schwankt ja wie verrückt! Nein. Ich hau jetzt ab. Schnellstens und auf dem kürzesten Weg. Durchs Schwiensmoor.

Was? Du willst nicht, daß ich gehe, Manfred? Schon gar nicht allein und durchs Moor? Aber ich will jetzt nach Hause!

Wo steckt überhaupt Johanna? Klar, meine Frau ist wieder mal verschwunden - die genießt solche Feste. Wahrscheinlich treibt sie sich auf der Tanzfläche herum - oder in der Sektbar. Eigentlich müßte sie mich ja jetzt nach Hause bringen. Obwohl - ein reines Vergnügen ist das auch nicht, den ganzen Weg über wird sie mir die Ohren voll nörgeln, daß sie noch gar nicht gehen wollte, daß ich wieder mal zu viel getrunken hatte - und zu fett sei.

Aber egal, ich will hier nur noch weg! Was ist jetzt schon wieder? Manfred? Na gut, noch einen auf den Weg ... du willst mich begleiten? Ich brauche keine Hilfe, bin völlig klar. Herrgott, jetzt hat er mich schon unter den Arm gefaßt! Nanu, plötzlich ist der Boden gar nicht mehr so wackelig. Vielleicht doch ganz gut, wenn er mitgeht, so wie neulich, da hat er auch ... ist eigentlich sowieso der einzige richtige Freund hier im Dorf - wer hat mir denn sonst geholfen, als die große Tanne gefällt oder das Dach repariert werden mußte? Kein Schwein, bloß Manfred, der war da und hat mit angepackt!

Mensch, Manfred, nicht wieder loslassen! Ach, Gott sei Dank - da ist ein Pfosten zum Anlehnen. Irgendwie dreht sich plötzlich alles - bestimmt der Kreislauf. Wo ist Manfred denn jetzt hin? Ah, drüben bei Johanna, wohl Bescheid sagen, daß er mich nach Hause bringt - das ist ’n Kumpel, denkt aber auch an alles.

Wie lange will er denn noch mit Johanna reden? Jetzt legt er auch noch den Arm um ihre Schulter ... die soll ihm nicht eine halbe Stunde lang in die Augen gucken, sondern ’rüberkommen und mit mir nach Hause gehen, verdammt! Ja, was jetzt? Will sie nicht? Sie nickt Manfred zu, sieht zu mir hin, dreht sich um und - geht weg! Der werde ich was erzählen, wenn sie nach Hause kommt! Und Manfred ist mir viel zu vertraut mit ihr, dem werde ich auch gleich mal ... oh, Gott sei Dank, er ist wieder da!

Mensch, ist das draußen frisch - ohne Mantel. Das soll nun Sommer sein! Und dieser Nebel! Der Boden auf dem Festplatz ist so bucklig - man ist ja nur am Stolpern. Zum Kettenkarussell sehe ich besser nicht ’rüber, kann einem ja nur schlecht werden von dem Geschleuder. Gott sei Dank, da kommt die Straße, jetzt geht’s besser. Und still ist es, herrlich still. Wenn bloß der verdammte Schluckauf nicht wäre - geht einem ja durch und durch. Und Manfred sagt kein Wort, hält mich bloß am Arm fest und zerrt mich durch die Gegend.

Eh, Manni, heute ist doch Schützenfest, oder? Was meinst du, woll’n wir mal ’n bißchen singen? „Und dann die Hände zum Himmel ...“ Mensch, ich mach’ hier Stimmung, und der blöde Kerl lacht nicht mal. Na ja, ich halte besser meinen Schnabel. Jetzt biegen wir ab ins Schwiensmoor - da muß man sich schon konzentrieren. Aufpassen, wo man hintritt, sonst hat einen die Pampe ganz schnell zu fassen. Meine Güte, ist das finster hier - und der Nebel! Man sieht ja die Hand vor Augen nicht. Oh, Manni - du bist wirklich ein Genie - hat der Kerl doch eine Taschenlampe mit!

Ääähhh - bloß mal mit einem Fuß vom Pfad abgekommen, und schon ist der Schuh durchgeweicht. Der Nebel ist auch ganz hübsch feucht, meine Hose fühlt sich schon verdammt klamm an. Das gibt wieder Theater mit Johanna, weil die ganze Bügelfalte raus ist. Apropos Johanna ...

He, Manfred! Bleib mal stehen! Bei aller Freundschaft, aber mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen! Ja, das ist jetzt eine Überraschung für dich, hm? Wie? Nee, verrat ich noch nicht - erst mal muß ich in die Büsche. Was? Ach so, hier hinterm Busch geht das nicht, da bin ich in Sekunden im Sumpf verschwunden? Ach Manni, du bist doch ein echter Freund! Aber hier, meinst du, kann ich in aller Ruhe ...?

Ah, was für eine Erleichterung! Was ist jetzt? Manfred geht diskret ein paar Schritte zur Seite und macht die Taschenlampe aus - ich höre nur noch seine Sohlen auf dem nassen Boden schmatzen. Mensch, Manni, keine falsche Scham, wir stehen sonst doch auch nebeneinander an der Pinkelrinne! Ist das stockfinster! Verflixt, hab’ ich jetzt meine Hosenbeine getroffen? Die sind ja klatschnass!

Oh Gott! Nein! Ich stecke im Moor! Ich versinke! Manfred, schnell, komm her! Manfred - Hilfe!!! Wo bleibt er bloß, jetzt höre ich gar nichts mehr - Manfred?

Maaanfreeed!!!!!!!


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