29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.08.07 / Noch ist alles zu teuer / Familien als Arbeitgeber – Studie rechnet mit 60000 möglichen Arbeitsplätzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-07 vom 11. August 2007

Noch ist alles zu teuer
Familien als Arbeitgeber – Studie rechnet mit 60000 möglichen Arbeitsplätzen

Ingo und Julia Lembcke sind vor kurzem Eltern geworden. Nun geht es darum, den kompletten Alltag neu zu organisieren. Denn die beiden möchten möglichst viel Zeit mit ihrem Elias verbringen – auch wenn das bedeutet, „von manch lieb gewordener Gewohnheit Abschied zu nehmen“, wie Ingo erzählt. Ingo und Julia haben entschieden, daß zunächst Ingo für zwei Monate in Elternzeit gehen wird, anschließend wird sich Julia ein Jahr lang um den Sohn kümmern. Julia möchte ihr Biologiestudium auch mit Kind weiterverfolgen. Deshalb werden die jungen Eltern Elias nach einem Jahr an einigen Tagen in der Woche in eine Kindertagesstätte geben.

Laut OECD geht es etwa fünf Millionen Eltern in Deutschland so wie Ingo und Julia. Vater und Mutter möchten oder müssen arbeiten und benötigen deshalb Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Die Europäische Kommission stellte fest, daß in Deutschland Mütter mit Kindern unter sechs Jahren täglich fast vier Stunden mit Hausarbeit verbringen. Eine Haushaltskraft, die regelmäßig wäscht, putzt, bügelt und eventuell auch noch kocht, ist deshalb eine enorme Erleichterung. Eltern können die so gewonnene Zeit für ihre Kinder und auch für die Erwerbstätigkeit nutzen, gleichzeitig beschäftigen sie Anbieter von Dienstleistungen, erhalten und schaffen Arbeitsplätze.

Wie groß die wirtschaftliche Dynamik ist, die hinter Familien steckt, zeigt die aktuelle Studie „Unternehmen Familie“ der Unternehmensberatung Roland Berger im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. Die Autoren empfehlen, Familien wie Firmen zu betrachten, um einerseits ein besseres Verständnis für deren Bedürfnisse zu bekommen und andererseits das ökonomische Potential abschätzen zu können. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß Eltern deutlich stärker als bisher die Möglichkeit bekommen müssen, ihre Arbeitskraft am Markt anzubieten. Nur so erzielen sie einen „Gewinn“ für die Familie. Gleichzeitig müssen die von Familien nachgefragten Produkte – vor allem Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und Haushaltshilfe – in der erforderlichen Menge vorhanden sein. Eine Forderung, die auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen unterstützt: „Familien brauchen Einkommen, Zeit für ihre Kinder im Berufsalltag und gute Betreuungs- und Bildungsangebote“, so die Ministerin.

Die Studie stellt aber auch fest: In Deutschland ist das Angebot für diese sogenannten „Familienunterstützenden Dienstleistungen“ noch stark unterentwickelt. Hauptgrund: Die Dienstleistungen sind zu teuer. Denn in der Regel ist es günstiger, wenn ein Elternteil arbeitet und der andere zu Hause bleibt, als wenn beide Elternteile arbeiten und Dienstleister die Aufgaben im Haushalt übernehmen. Als Folge werden in Deutschland rund ein Drittel der Kinder unter drei Jahren von Freunden oder Verwandten betreut, die Arbeiten im Haushalt werden von den Familien selbst oder Bekannten erledigt. Auch die Schattenwirtschaft für Putzen und Babysitten boomt. Das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) errechnete, daß das Volumen der Schwarzarbeit für Haushaltsdienste von 2006 auf 2007 um 1,2 Prozent steigen wird. Der inoffizielle Umsatz für diese Dienste beträgt demnach 52,4 Milliarden Euro. Die Zahlen belegen, daß die Nachfrage durchaus vorhanden ist.

Würden für Familien die Kosten solcher Angebote gesenkt – zum Beispiel durch eine bessere steuerliche Absetzbarkeit für die Eltern und verringerte Sozialabgaben für Jobs als Reinigungskraft, Tagesmutter – könnten 60000 zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze in Deutschland entstehen, so die Roland-Berger-Studie. Auch die Gesamtwirtschaft würde profitieren: Mit besseren Voraussetzungen für Eltern könnte kurzfristig das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um bis zu 0,4 Prozent jährlich steigen. Zum Vergleich: 2006 wuchs das BIP insgesamt um 2,8 Prozent gegenüber 2005. Ingrid Hamm, Geschäftsführerin der Robert-Bosch-Stiftung und Auftraggeberin der Untersuchung, bezeichnet deshalb den Ansatz sowie die Empfehlungen der Studie als „zukunftsweisend und erfolgversprechend“.

Die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten ist ein erster Schritt der Bundesregierung in diese Richtung. Das Credo der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen lautet: „Unser Schlüssel zum Erfolg liegt darin, daß wir es den Frauen und Männern leichter machen, mit Kindern erwerbstätig zu sein.“ Seit dem 1. Januar 2006 gilt: Die Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen – darunter auch Kinderbetreuung und Reinigungsdienst – können von Familien mit Kindern bis 14 Jahren in größerem Umfang als bisher von der Steuer abgesetzt werden. Alleinerziehende sowie Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, können bis zu 4000 Euro pro Kind jährlich geltend machen. Die Studie lobt diese Regelung und rechnet langfristig mit einem positiven Effekt für den Arbeitsmarkt, hält aber weitere Schritte für erforderlich.

Deshalb fördern die Robert-Bosch-Stiftung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem gemeinsamen Wettbewerb „Unternehmen Familie – Innovationen durch familienunterstützende Dienstleistungen“ den Auf- und Ausbau von Angeboten für Eltern und Kinder. Gesucht werden Konzepte von Unternehmen, Kommunen, freien Trägern etc., welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Die Gewinner erhalten Fördermittel von bis zu 50000 Euro, sie werden im März 2008 bekannt gegeben.

Familie Lembcke kommen diese Maßnahmen entgegen. Sie begrüßt vor allem die Möglichkeit, die Kosten für die Kindertagesstätte von der Steuer absetzen zu können: „Ohne diese finanzielle Unterstützung könnte ich mein Studium erst zu einem späteren Zeitpunkt abschließen und würde deutlich später im Arbeitsleben stehen“, erklärt Julia Lembcke und zeigt damit, daß die Familien-Firmen längst Wirklichkeit sind.          M. F.

Foto: Unbeaufsichtigt: Lea betätigt sich „kreativ“, während Mami vor Erschöpfung eingeschlafen ist.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren