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11.08.07 / Erlebniswelt statt Museum / In Hamburg wurde exemplarisch ein Teil von Albert Ballins Auswandererstadt rekonstruiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-07 vom 11. August 2007

Erlebniswelt statt Museum
In Hamburg wurde exemplarisch ein Teil von Albert Ballins Auswandererstadt rekonstruiert
von Anne Bruch

„Hallo, ich bin Heinz“, beginnt ein kleiner Junge mit einer Schirmmütze auf dem Kopf seine Geschichte. Er komme aus Essen und sei zehn Jahre alt, seine Eltern arbeiteten hart in den Fabriken des Ruhrgebietes, zu hart. Sein Vater wolle deswegen mit der ganzen Familie nach Amerika auswandern, sagt er. Schräg gegenüber von Heinz sitzt regungslos eine Dame auf einer Bank, bekleidet mit einem langen, schwarzen Kleid und einer Haube auf dem Kopf. Auf ihren Knien liegt eine braune Ledertasche. Auch diese Frau berichtet, warum sie auswandern möchte. Sie sei Jüdin aus Rußland und Zar Alexander sei vor kurzem ermordet worden. Aus Angst vor Verfolgung habe sie ihre Heimat verlassen müssen und sei nun auf dem Weg in die USA.

Dies sind nur zwei der neun verschiedenen idealtypischen Protagonisten, die zu Beginn der Ausstellung „BallinStadt. Port of Dreams“ in Hamburg ihre persönliche Geschichte erzählen. Ihre Körper sind dabei aus Holz, die Stimmen kommen vom Band, und ihre Gesichter bleiben ohne Konturen. Dessenungeachtet ist es das Ziel dieser Inszenierung, den Besuchern sowohl die Einzelschicksale von Auswanderern nahezubringen als auch das Massenphänomen Auswanderung zu erläutern.

Die erst im Juli 2007 in Hamburg-Veddel eröffnete Erlebniswelt „BallinStadt“ widmet sich dabei den über fünf Millionen Menschen, die zwischen 1850 und 1939 ihre Heimat verließen, um sich von Hamburg aus auf den weiten Weg ins Land der Träume, nach Amerika zu machen. Historischer Anlaß für die „BallinStadt“ ist die Auswanderer-Kleinstadt, die zwischen 1901 und 1907 auf der Hamburger Elbinsel entstand. Der damalige Generaldirektor der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag), Albert Ballin, ließ seiner Zeit nach eigenen Plänen an diesem Ort Unterkünfte für Auswanderer errichten, die in den folgenden Jahren bis zu 5000 Menschen auf ihrer Durchreise beherbergen konnten. Vor dieser „Stadtgründung“ auf der Veddel hatten die Auswanderer, die aus allen Teilen Deutschlands und vielen Ländern Osteuropas kamen, oftmals unter menschenunwürdigen Bedingungen in Hamburg auf ihre Schiffspassage warten müssen oder waren von Schleppern sowie gerissenen Herbergswirten finanziell ausgenommen worden. Ballin wußte um das wirtschaftliche Potential seines Vorhabens. Nicht nur dringende medizinische Aspekte und humanitäre Gesichtspunkte bestimmten deshalb seine Pläne, sondern auch die Möglichkeit, Bremerhaven als noch größten deutschen Auswanderhafen zu übertreffen. Ballin setzte deshalb auf den Werbeeffekt seiner neuen Anlage, in der die Anreise per Eisenbahn, die Registrierung, die Unterbringung, die Kontrolle der Personalien, die Beschaffung der notwendigen Reisepapiere, die medizinische Untersuchung, die Vorbereitung der Quarantäne, die Informationen über die Einreise in die USA oder die anderen überseeischen Gebiete sowie die Bezahlung der Passage für alle Reisenden effizient organisiert wurden.

Die neuen Anlagen wurden als mustergültig angesehen, so sehr, daß das Modell auf der Weltausstellung des Jahres 1900 in Paris einen Preis erhielt. Insgesamt umfaßte die Auswandererstadt auf einem 50000 Quadratmeter großen Areal 30 Einzelgebäude, darunter Schlafsäle für je 22 Erwachsene, ausreichende Toiletten, eine Krankenstation mit Ärzten und Krankenschwestern, Geschäfte, gesonderte Speisesäle für Christen und Juden, eine Kirche und einen jüdischen Betsaal sowie zwei sogenannte „Hotels“ für zahlungskräftigere Auswanderer.

Die drei jetzt nach Originalplänen nun wieder aufgebauten Auswandererpavillons können nur einen ungefähren Eindruck der damaligen Auswandererstadt wiedergeben. Während der erste Pavillon sowohl der Besucherinformationen als auch den Sponsoren der „BallinStadt“ vorbehalten ist und die Möglichkeit zur individuellen und kostenfreien Computerrecherche in der umfangreichen Auswandererdatenbank bietet, liegt das Zentrum der Ausstellung im Haus Nummer 2. In diesem Gebäude wird die ganze Geschichte der Auswanderer dargestellt: vom Aufbruch aus der Heimat über den Aufenthalt im Hamburger Hafen bis zur Ankunft in der Neuen Welt. In Halle 3 wurde ein Schlafsaal der historischen Auswandererstadt nachgebaut sowie ein Café untergebracht.

Die „BallinStadt“ versteht sich hierbei nicht als Museum, sondern als privatwirtschaftlich betriebene Erlebniswelt. Im Rahmen eines sogenannten Public-Private-Partnership-Modells hat die Stadt Hamburg rund neun Millionen Euro der Investitionskosten übernommen. Die restlichen 25 Prozent wurden durch private Sponsoren, an deren Spitze die Hapag-Lloyd AG steht, finanziert. Die Dauerausstellung wurde von der LeisureWorkGroup konzipiert, die sich auf interaktive Darstellungen spezialisiert hat.

Vor dem Hintergrund, daß sämtliche Betriebs- und Personalkosten der „BallinStadt“ über die Eintrittsgelder erwirtschaftet werden müssen und ab dem Eröffnungstag keine öffentlichen Zuschüsse mehr gegeben werden, führt dies dazu, daß der Schwerpunkt der Ausstellung nicht auf ausgewogener Informationsvermittlung, sondern – laut Pressetext – auf „interaktivem Edutainment“ liegt. Das Thema Migration wird im Rahmen dieser Ausstellungskonzeption leider nicht in einen übergeordneten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang eingebettet, sondern als Kulisse für einen multimedialen Erlebnispark genutzt. So bietet sich die Möglichkeit, einen Blick in das Arbeitszimmer Albert Ballins zu werfen, die Besucher können während ihres Rundganges außerdem das Modell eines Auswandererschiffs, den Nachbau einer preußischen Grenzstation und die Wartehallen auf Ellis Island in New York betreten.

Doch damit nicht genug. Am Eingang des Besucherzentrums bekommt man eine Spielkarte, mit der man zum virtuellen Auswanderer werden kann. Die Karte dient als Startknopf für einen der zahlreichen interaktiven Monitore, über den die Besucher sich dann eine Auswandereridentität zulegen können. Fernerhin laden ein überdimensionaler Bildatlas, Videobildwände und antik anmutende Fernsprecher dazu ein, weiter zuzuschauen und hinzuhören. Leider werden bei dieser Ausstellungskonzeption wenige Informationen vermittelt, auch sind historische Dokumente und zeitgenössische Exponate kaum vorhanden.

Es bleibt der Eindruck, daß die Veranstalter, den Besuchern nicht zu viel Wissen und Informationen zumuten wollten. So hat die LeisureWorkGroup auch bewußt auf die Bezeichnung „Museum“ verzichtet, um nicht potentielle Zielgruppen abzuschrecken und zu langweilen. Die Ausstellungsmacher betonen, daß es das Ziel der Erlebniswelt sei, Geschichte nachzuempfinden und sich mit den damaligen wie auch heutigen Aspekten der Auswanderung spielerisch in Beziehung zu setzen. Daß letzteres durchaus anspruchsvoll und informativ gelingen kann, zeigt wiederum die schon damalige Konkurrenz Bremerhaven. Das 2005 eröffnete Deutsche Auswanderhaus (DAH) in Bremerhaven präsentiert eine museumspädagogisch interessante und dramaturgisch schlüssige Ausstellung. Das Thema Auswanderung wird spannend dargestellt, ohne daß der historische Gesamtzusammenhang verloren geht. Nicht zu unrecht wurde auch deshalb das DAH im Mai 2007 mit dem Preis „European Museum of the Year“ ausgezeichnet.

Die „BallinStadt – Port of Dreams“, Veddeler Bogen 2, 20539 Hamburg, Telefon (0 40) 31 97 91 60, Fax (0 40) 3 19 79 16 20, www.ballinstadt.de, ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 9,80 / 8,50 Euro, Kinder bis 12 Jahren 4,50 Euro, Familienkarte 22 Euro.

Das Deutsche Auswandererhaus, Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven, Telefon (04 71) 9 02 20-0, www.dah-bremerhaven.de, ist grundsätzlich von April bis Oktober sonntags bis freitags von 10 bis 18 Uhr und sonnabends von 10 bis 19 Uhr sowie November bis März sonntags bis freitags von 10 bis 17 Uhr und sonnabends von 20 bis 18 Uhr geöffnet. Am 9. August schließt das Museum bereits um 17 Uhr. Letzter Einlaß ins Museum ist um 15.30 Uhr. Eintritt 9,50 / 8,20 Euro.

 

Albert Ballin
Der Erbauer der Auswandererstadt kam vor 150 Jahren zur Welt

Albert Ballin war ein Selfmademan. Am 15. August 1857 kam er als Sohn des jüdischen Kleinunternehmers Samuel Joel Ballin und dessen zweiter Ehefrau Amalie in Hamburg zur Welt. Nach dem frühen Tod seines Vaters übernahm der damals erst 17jährige dessen Funktion in der kleinen Auswandereragentur Morris & Co. Ballin rechnete mit so spitzem Bleistift und ging so kluge Bündnisse ein, daß er und seine Geschäftspartner die große Hapag bei den Preisen für Auswanderer in die Neue Welt unterbieten konnten. Nachdem die Hapag erkannte hatte, daß sie den Preiskampf nicht gewann, kam es zu einer gütlichen Einigung, einer Zusammenarbeit, einer Kartellbildung, welche die Konkurrenz beendete. Dieser Ausgang ist durchaus typisch für Ballins unternehmerische Strategie.

Zur Einigung gehörte auch, daß Ballin 1886 die Leitung der Passageabteilung der Hapag übernahm. Das genügte ihm aber nicht. Er wollte, daß er die Nummer eins in der Hapag und die Hapag die Nummer eins unter den Reedereien der Welt wurde – und beides gelang ihm. Beim Betriebsjubiläum 50 Jahre Hapag hatte er es geschafft. Die größte Reederei Hamburgs, welche die Hapag schon 1886 bei Ballins Eintritt in das Unternehmen gewesen war, war 1897 die größte der Welt. Ab 1899 als Generaldirektor, sorgte er dafür, daß es auch so blieb.

Was den von Ballin abgehängten Briten mit friedlichen Mitteln nicht gelang, erreichten sie mit kriegerischen. Was von der Hapag-Flotte nicht im Ersten Weltkrieg versenkt oder vom Feind beschlagnahmt worden war, mußte anschließend fast ausnahmslos den Siegern ausgeliefert werden. Ballins Lebenswerk war zerstört. Am 9. November 1918 starb der Hapag-Generaldirektor an einer Überdosis Beruhigungsmittel. Ob es ein Unfall oder Selbstmord war, bleibt ungeklärt. Manuel Ruoff

Foto: Nicht jedermanns Sache: Statt durch authentische Exponate und Quellen ist die Ausstellung eher durch nachgestellte Szenen mit sprechenden Puppen geprägt.


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