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11.08.07 / Wo Pralinen wie Briketts aussehen / Café Overbeck in Essen – Eine unerwartet süße Begegnung im »Kranzler« des Ruhrgebietes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-07 vom 11. August 2007

Wo Pralinen wie Briketts aussehen
Café Overbeck in Essen – Eine unerwartet süße Begegnung im »Kranzler« des Ruhrgebietes
von Johanna R. Wöhlke

Köstliche Kuchen ziehen mich magisch an. Das wird seine Gründe haben. Einer davon könnte sein, daß ich aus einer ostpreußischen Familie stamme, in der immer gut und reichlich gekocht, gebraten und gebacken worden ist. Die Kuchen meiner Mutter waren legendär, und wenn sich Weihnachten näherte, häuften sich die Nachfragen der Hamburger Freundinnen nach ihrer Mohnrolle. So stand Mutter also am Heiligen Abend in der Nacht auf, um ihre Mohnrollen rechtzeitig in den Ofen zu bekommen. Es waren ihre ganz persönlichen Weihnachtsgeschenke.

All diese Gedanken gingen mir blitzartig durch den Kopf, als ich in Essen war, drei Stunden Zeit hatte und mir eine Sekretärin empfahl: „Wenn Sie können, gehen Sie ins Café Overbeck. Da muß man in Essen hingehen, wenn man Kuchen mag!“

Köstliche Kuchen ziehen mich nun eben einmal magisch an. Da macht es auch nichts, vormittags um elf Uhr unterwegs zu sein.

Die Sonne hatte in der Kettwiger Straße 15 schon einige Unerschrockene an die Tische ins Freie gelockt. Ich ziehe es vor, mir drinnen einen Platz zu suchen. Mich empfängt die Atmosphäre eines gepflegten Kaffeehauses im klassischen Stil. Ich sehe viel Grün, Messing, Teppichware, Sessel, glitzernde Hängelampen, eine repräsentative Wendeltreppe in der hinteren Mitte führt in die oberen Stock-werke. Eine solche Atmosphäre habe ich mir angewöhnt „gnadenlos gemütlich“ zu nennen. Alles lädt zum Verweilen ein. Wer hier keinen Appetit auf köstliche Torten bekommt und sich in Gedanken nicht stundenlang an seinem Kaffee, seinem Tee und seinem Kuchen festhalten möchte, ist viel zu schnell unterwegs. Dies ist ein Ort zum Entschleunigen.

Die lange Tortenreihe unter der glitzernden  Glastheke zur Rechten habe ich bemerkt. Es wird eine Qual-der-Wahl-Entscheidung werden.

Im ersten Stock angekommen, suche ich mir eines der kleinen Sofas mit dem guten Rundblick aus. Das Vergnügen kann beginnen. An der langen Tischreihe am Fenster vor mir haben schon einige Gäste Platz genommen. Ein älterer Herr scheint eine Verabredung mit einer Dame zu haben, die er noch nicht lange kennt. Er redet viel. Schon nach wenigen Minuten weiß ich, daß er ein gutes Gedächtnis hat und sich noch an alle Namen aus seiner früheren Firma sehr gut erinnern kann. Die Dame ihm gegenüber ist derweil mit irgendeiner Köstlichkeit beschäftigt, die eine Schokoladenglasur hat.

Ich frage die sehr aufmerksame Kellnerin im schwarzen Rock und weißer, kleiner Spitzenschürze nach einer Spezialität des Hauses. „Unsere Cremeschnitten“, sagt sie, und ich bin sehr einverstanden. Als sie meine Cremeschnitte serviert, klingelt bei einer Dame am Tisch das Handy mit der Melodie aus der Oper Carmen „Auf in den Kampf Torrero“.

Einige Augenblicke später erscheinen drei weitere Damen auf der Treppe und setzen sich lachend zu ihr. Welche Art Kampf beginnt dort nun wohl? Er wird beim Bestellen entschieden werden, vermute ich.

Inzwischen haben rechts von mir zwei Damen mit einem kleinen Hund Platz genommen. Sie sind Schwestern, erfahre ich, und der Hund heißt Edgar. Edgar bekommt sofort von der Kellnerin eine Hundeschüssel mit Wasser und freut sich. Die beiden Damen, Christl und Bärbel Sommer, erzählen mir, daß sie sich immer im Café Overbeck treffen: „Wir waren schon als Mädchen hier. Overbeck ist Tradition!“

Das erfahre ich auch aus dem Mund von Friedrich Magenau, seit 35 Jahren bei Overbeck und Geschäftsführer. „Wir sind das Kranzler des Ruhrgebietes!“ erklärt er stolz und hat mir einen Zettel mit den Tortennamen des Hauses mitgebracht. Es ist alles dabei, von der Käse- und Apfeltorte bis hin zu einer Trüffeltorte, einer Prinz-Heinrich-Torte, Himbeer-Vanille, Walnuß-, Mousse-, Schoko- …

Ich bleibe mit den Augen an der Pfauenaugentorte hängen und beginne, mir in selbstquälerischer Weise zu vergegenwärtigen, daß ich nur einen Magen habe und lange nicht genug Zeit, um diese Köstlichkeiten zu probieren – ich  habe 25 Torten gezählt.

Das Café Overbeck ist 1932 von Ewald Overbeck in der Limbecker Straße gegründet worden und zog 1955 an seinen heutigen Standort in der Fußgängerzone in der Kettwiger Straße 15, berichtet Magenau weiter. Es befindet sich in der dritten Generation in der Familie – und Tradition scheinen auch die Vornamen der Chefs zu symbolisieren, es sind nach Ewald die Vornamen Egon und Eckard. Dazu paßt wie bestellt der Vorname des kleinen Terriers Edgar, der noch immer ruhig und aufmerksam in die Gegend schauend neben den beiden genießenden und plaudernden Schwestern sitzt und ab und zu aus seinem Wassernapf schlabbert.

Overbeck sei bekannt für seine Spezialitäten, berichtet Magenau weiter. Das seien nicht nur die Torten, sondern auch die Pralinen. Ein beliebtes Mitbringsel sei das „Ruhrkohlesäckchen“, ein Beutelchen mit verschiedenen Pralinen in schwarzem Stanniol und einer Pastete in Form eines Union-Briketts.

Inzwischen hat sich das Café noch mehr gefüllt. Der Herr mit dem guten Gedächtnis ist verstummt und hört der Dame zu. Ich stelle mit Bedauern fest, daß meine Zeit sich dem Ende zuneigt. Fried-rich Magenau begleitet mich nach unten.

Ich fühle mich nostalgisch verwöhnt, süß und zuckrig durch Konditorkunst in den Arm genommen und würde gern am Zucker kleben bleiben – aber der Tag geht weiter und hinterläßt die Erinnerung an einen guten Platz in Essen, den ich wieder aufsuchen will, wenn ich wiederkommen werde. Die Pfauenaugentorte muß noch probiert werden –  bei ihrem Aussehen kann sie wahrscheinlich sogar mit Mutters ostpreußischer Mohnrolle konkurrieren …

Foto: Café Overbeck in Essen: Ein Treffpunkt für Freunde der gepflegten Gastronomie und üppiger Torten


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