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18.08.07 / Hilfe – Die Fälscher sind unter uns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-07 vom 18. August 2007

»Moment mal!«
Hilfe – Die Fälscher sind unter uns
von Klaus Rainer Röhl

Gehen Sie gern ins Theater? Dann haben Sie Pech gehabt. Versuchen Sie es mit einem deutschen Klassiker, den Sie zu kennen glauben, Goethe, Kleist oder Schiller. Wollen Sie eine Oper von Mozart, Verdi oder Wagner sehen, werden Sie zunächst feststellen, daß alle Klassiker auf dem Markt sind, alle großen Opern angeboten werden. Gehen Sie aber arglos und ohne Vorsicht hinein, womöglich noch aus Gewohnheit mit Schlips und Kragen, werden Sie ziemlich entsetzt nach Hause kommen oder gleich nach dem ersten Akt gehen.

Die Texte werden rabiat gekürzt oder durch eigene Einlagen, Kalauer und dumme Slapsticks aufgemotzt. Falls man Glück hat, wird der Text noch gesprochen, der Rest, der dem Jungregisseur nicht gefallen hat, wird weggenuschelt, überbrüllt, niedergeschrieen oder in einem Veitstanz zertrampelt. Halbwegs deutlich gesprochen wird nur der Teil des Textes, der dem Theatermacher zugesagt hat: „Das sagt uns heute noch was.“ Aber was? In aller Regel das Gegenteil von dem, was der Klassiker sagen wollte und es auch meistens deutlich dazugeschrieben hat, als Regieanweisung.

Besonders gilt das für Theaterstücke oder Opern, von denen man weiß, daß die Menschen sie lieben und gerne sehen möchten. Da kriegt das Publikum erst mal einen Knüppel auf den Kopf: Was erwartet ihr, womöglich einen eurer großen Schriftsteller? Einen Wiedererkennungswert? Spannung beim Intrigenspiel, Vergnügen bei Minna von Barnhelm, Feierlichkeit beim Rütlischwur, Empörung bei der Schändung der Unschuldigen und Mitgefühl bei Romeo und Julia. Nicht einmal entspannt sein sollte das Publikum bei der Premiere der „Dreigroschenoper“ 1922 in Berlin. „Glotzt nicht so romantisch!“ ließ Brecht als Transparent über den Zuschauern herabsausen wie eine Guillotine.

Verfremdung hieß das. Was ist eine Verfremdung? Verfremdung ist, wenn bei einem Kasperlespiel die Kinder ungeduldig und aufgeregt schreien „Kasperle, das Krokodil kommt!“ und der Puppenspieler seinen Kasten verläßt und sagt „Aber liebe Kinder, das ist doch nur eine Puppe! Und jetzt geht es gleich weiter.“ Seitdem rollen Zentner von Verfremdungs-Gegenständen auf das Publikum herab, K – wie Klimakatastrophe und A – wie Atomtod und B – wie Bush. Können Kleist, Schiller in das Gegenteil ihrer Absicht „verfremdet“ werden? Verfälscht nennt man das. Vermarxst oder vermurkst, oder beides.

Das gilt nicht nur für deutsche Dichter, Shakespeare wird genauso erbarmungslos „verfremdet“ wie Molière. Auch er hat kein Recht mehr am eigenen Wort, an seiner eigentlichen künstlerischen Absicht. Verfremdung, eigentlich eine Methode des Dramatikers Bertolt Brecht zur Sichtbarmachung des Schauspiels als Kunstwerk (Gegensatz: Illusionstheater) bedeutet an deutschen Bühnen längst schlicht und einfach Verfälschung. Das Wort wird den Dramatikern im Munde herumgedreht. Das Wort Verfremdung übrigens auch.

Wer erinnert sich nicht an Schlingensiefs tolle Idee zu einem Theaterereignis mit der Deutschen Bank als Mäzen, wo er um ein Haar 100000 D-Mark als Happening unter die Zuschauer geschmissen hätte – und das war’s dann. Nichts. Castorfs bösartige (Anti)Schiller-Inszenierungen und diesmal die Tartuffe-Verhohnepipelung in Salzburg, in dem Verschnitt aus vier Komödien von Molière von Luc Perceval nach den Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel „Molière. Eine Passion“, wo nur noch gegrunzt, gesabbert, onaniert und gefressen wurde, gehören dazu – wo Alleindarsteller Thomas Thieme wie ein abgebrühter Rapper ins Publikum raunzt und sich schließlich im Schneidersitz hinhockt, unter seinem schwabbelnden Bauch sein Glied rauszieht und minutenlang onaniert.

Aber das Publikum, das mißmutig dablieb oder nach der Pause den Saal verließ, ging nicht einmal wütend ab, eher resigniert. Hinnehmen, das ist das Stichwort. Darum geht es bei allem, was in diesen Jahren geschieht. Die Achseln zucken und wegschauen. Eine Bürgertugend ist das nicht. Hinnehmen, daß unser Städtebild verschandelt, unsere Parks zu Döner-Grills umfunktioniert werden, unsere Jugend bei McDonald‘s und täglich vier Stunden am Gameplayer geistig verödet, in den Theatern deutsche Klassiker – nicht nur von Castorf und Schlingensief – verhohnepipelt werden. Es muß grundsätzlich „gegen den Strich gebürstet“ werden, und das heißt in Wirklichkeit, in das Gegenteil seiner theatralischen Absicht verkehrt. So inszenierte der Spanier Calixto Bieito (40) an der Komischen Oper Berlin Mozarts „Entführung aus dem Serail“ als Zuhälterballade in einem riesigen Bordell mit Blut, Schweiß und Sperma und er strich einfach die Versöhnungsszene am Schluß: Konstanze knallt ihren Zuhälter Osmin ab. So werden inzwischen die meisten Opern inszeniert, nicht nur in Berlin. Geht es vielleicht um das „Übermalen“ des Alten und Hergebrachten aus Mangel an eigenen Ideen und Stücken? Sind die Theatermacher darin nicht mit den Farbsprühern auf der Straße verwandt? Und alle haben eine traurige Jugend, die wir verstehen sollen.

Die Tochter Katharina litt unter ihrem Vater Wolfgang Wagner. Dessen schreckliche Schuld, mit der er aber Zeit seines Lebens sehr gut gelebt hat, war, als Kind auf „Onkel Adolfs Schoß“ gesessen zu haben. Gnade der frühen Geburt. Er dachte wohl, die Leute erwarteten von ihm dieses Stück von dieser Tochter, und sein Auge blickt müde und greisenhaft versöhnlich auf die Bühne. Da war ziemlich was los, nur nichts Sinnvolles. Da mußten, wie Max Reinhardt es einst gefordert hatte, („De Jecken missen sich bejachen“) die Gags pausenlos aufeinander folgen. Sollte lustig sein. Turnschuhe und Reclam-Bändchen regneten auf die Bühne herab. Jeder verstand. Turnschuhe statt Maßanfertigung von Hans Sachs und Reclambändchen gegen Spießer, die vielleicht an den Text der Wagneroper denken könnten. Und alles, was der Urenkelin noch durch den Kopf gegangen sein mochte: Riesen-Penis und aufblasbare Gummipuppen, vor allem das. Und Riesenpappköpfe à la Neuenfels. Die Hauptfiguren, Hans Sachs, Stolzing und Beckmesser, jeweils auf den Kopf gestellt, und das „Ehret die deutschen Meister“ auf Antifa getrimmt, gegen den Strich gegeigt, gegen Orchester, Sänger und Publikum. Gerade noch die Musik wurde nicht verfälscht. Aber wie sollen die Sänger singen, wenn so viel Schnee drauf fällt? Hat Wagner nicht das Recht am eigenen Wort, am Sinn? Auch die Regieanweisungen gehören zum Text. Warum dieser geradezu fanatische Haß auf das Werk?

Auch Vandalismus ist politisch: Auch die Sprayer übermalen nicht jedes Denkmal und jede Skulptur. Es gibt sehr wohl Stücke, die die Filmemacher und Theaterkünstler niemals übermalen und verfremden und  verhohnepipeln würden, sagen wir, ein Theaterstück gegen Bush oder eine Oper über Aids oder ein Stück für den sauberen Regenwald – darüber macht der gutmenschlich engagierte, politisch korrekte Theaterregisseur keine Witze, spritzt nicht Blut und Sperma aus der Spraydose und kippt nicht Müll und Gelatine über die Darsteller. Komisch eigentlich. Und entlarvend. Warum inszenieren die vielen jungen, oder wie Castorf (62) nicht mehr so ganz jugendlichen Regisseure mit den ewig müden Augen beim Interview und dem durch nichts gerechtfertigten Selbstbewußtsein nicht eigene Stücke, Dramen ihrer Generationskollegen und hacken deren Sprache zu unkenntlichem Mus? Warum dieser fanatische Haß gegen Goethe, Schiller und Co.?

 Sie waren allesamt zumindest Spätentwickler, die meisten waren schlecht in Deutsch und zu leicht ermüdet in der Musikstunde, und insgesamt waren sie gelangweilt von der Schule. Wenig kreativ, würde ich sagen. Und nun machen sie Theater oder Oper. Und rächen sich für ihre scheinbar freudlose Jugend. Verdammt! Verdammt gute Musik, der Wagner, der Mozart, der Lortzing, der Puccini. Verdammt gute Texte. Der Kleist mit seiner „Penthesilea“, der Schiller mit seinem „Wallenstein“. Der muß doch „doodzukriegen“ sein, denken die hochbezahlten Faxenmacher. Aber er ist nicht totzukriegen. Seit das deutsche Publikum 1922 im Max Reinhardt-Theater Hamlet im Frack ausgebuht hat.

Hamlet als Frau im Stummfilm kam gleich hinterher, das war damals neu, aber heute winkt man nur gelangweilt ab, wenn auf der Bühne schon wieder kopuliert und onaniert wird. Ja, ja, schon gut.

Was kommt nach Katharina Wagner? Wenn diese kurzlebige Wunderkerze abgebrannt ist, was kommt dann? Kommen dann die Meistersinger richtig als Reichsparteitag, in SA-Uniformen und Hakenkreuzfahnen und Standarten und  Fanfaren? Mit dem Führer und Eva. Warum Kompromisse machen? Auf den Text kommt es ja nicht an. Es gilt das verfälschte Wort.

Hitler und kein Ende?

Foto: Nicht nach jedermanns Geschmack: Statt „Entführung aus dem Serail“ eine „Entführung aus dem Puff“


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