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25.08.07 / »Bierstadt« mit Hang zum Maritimen / Tsingtau, ehemals deutsches Pachtland, wird zu Chinas Segel-Sportzentrum ausgebaut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-07 vom 25. August 2007

»Bierstadt« mit Hang zum Maritimen
Tsingtau, ehemals deutsches Pachtland, wird zu Chinas Segel-Sportzentrum ausgebaut
von Joachim Feyerabend

Für 932 chinesische Haushalte in der Hafenstadt Tsingtau (auch: Quingdao) brachte die mit viel Enthusiasmus vorbereiteten 32. Olympischen Spiele 2008 eine böse Überraschung: Sie mußten dem Ehrgeiz der Stadtväter weichen, die größte und schönste Segelmarina Ostasiens aus dem Boden zu stampfen. Die meisten Familien nahmen das Angebot der Regierung an, für die Hälfte des marktüblichen Preises ihre Domizile im Stadtteil Hexi-Village aufzugeben. 82 Verweigerer indes mußten schließlich unter heftigen Protesten den Abriß-Raupen weichen. In solchen Fragen kennt die kommunistische Regierung keine Gnade und kein Gesetz.

Tsingtau, die mehr als acht Millionen Einwohner zählende Hafenstadt auf der Schantung-Halbinsel, bereitet sich mit einem finanziellen Aufwand von mehr als 300 Millionen Euro auf die Austragung der olympischen Wettbewerbe im Segeln vor.

Ein gigantischer Wellenbrecher wurde in die Bucht getrieben, um das neue Sportzentrum vor der Dünung der manchmal gerade im August als Folge von Taifunen rauhen Chinasee zu schützen. Schon wurden im Vorfeld zur Probe Regatten abgehalten.

China strebt bei internationalen Yachtregatten eine in der Welt führende Rolle an. „Wir bringen in Tsingtau 1,3 Milliarden Menschen diese Sportart nahe“, brüstet sich etwa Zang Amin, Vizechef des Olympischen Segel-Komitees.

Insgesamt soll der Wassersport in ganz China 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, wurde bei der kürzlich mit großen Verkaufserfolgen beendeten Schanghaier Bootsmesse bekanntgegeben.

900 freiwillige Helfer wurden und werden noch bis Ende dieses Jahres in Schnellkursen mit dem in China aus den Kinderschuhen wachsenden Segelsport vertraut gemacht, 1000 Polizisten sollen für einen ungestörten Verlauf sorgen. 800 Yachtliegeplätze wurden geschaffen, eine Sportboot-Schule gebaut, ein olympisches Dorf mit internationalem Komfort soll bis Ende 2007 fertig sein. Ihre umweltbewußte Modernität demonstrieren die Erbauer durch Solartechnik und Windgeneratoren. Das Schlagwort heißt „Grüne Spiele“, und die Anlagen sollen unter diesem Motto auch nach den Spielen eine internationale Touristen-Attraktion bleiben. Es wurden 37000 Bäume gepflanzt, die 168 Lampen im Jachthafen leuchten ausschließlich sonnenbetrieben, ein neuer Tunnel durch die umgebende Bergwelt der Daze-Berge, der Xiaozhu-Berge und den 1132 hohen Berg Lao mit seinen Wasserfällen und Naturschönheiten sowie einer 18 Kilometer langen, pittoresken Küstenlinie soll diese Ressourcen schonen. Die ganze Stadt bemüht sich um Müllvermeidung, Plastikverpackungen werden reduziert oder verboten, der Handelshafen gesäubert. Tsingtau strebt die führende Rolle im chinesischen Umweltschutz an, ohne den rasanten wirtschaftlichen Aufschwung zu gefährden.

Der neue Internationale Yachtclub von Tsingtau rückte zu Chinas Nummer Eins auf und verwies den traditionellen, gediegenen Königlichen Yachtclub von Hongkong aus der Engländerzeit und dessen Schanghaier Ableger auf die hinteren Plätze. Der maritim begeisterte Kaiser Willhelm II., der mit der Kieler Woche Deutschland dem internationalen Segelsport öffnete, hätte seine helle Freude an der Entwicklung seines einstigen Kolonialbesitzes.

Denn Tsingtau war von 1898 bis 1914 als Pachtland, ähnlich wie Hongkong für die Briten, deutsches Territorium. Von hier aus wollte sich Deutschland nach der Öffnung Chinas sein Stück am asiatischen Kuchen sichern. Allerdings schon um 1900 mußten die Kaiserlichen gemeinsam mit ihren internationalen Verbündeten (England, Frankreich, die USA, Japan, Rußland, Italien und Österreich-Ungarn) gegen die sogenannten chinesischen „Boxer“ kämpfen, die die „fremden Teufel“ und die chinesischen Christen aus dem Land vertreiben wollten. Die „Boxer“ und mit ihnen verbündete reguläre chinesische Truppen unterlagen trotz zahlenmäßiger Überlegenheit.

Somit konnten die Deutschen ans Werk gehen. Tsingtau wollten sie zur Musterstadt für ganz China ausbauen. Ganz im Bewußtsein der eigenen Überlegenheit, die durch den politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Aufstieg des Reichs belegt schien, sollte ein asiatisches Minideutschland den Chinesen zeigen, wie man es an die Weltspitze schafft. Und natürlich sollten deutsche Firmen die Gelegenheit bekommen, von Tsingtau aus glänzende Geschäfte auf dem damals schon riesigen chinesischen Markt zu machen. Es war die Epoche eines unbeschwerten Imperialismus und ungebrochenen Sendungsbewußtseins, das allen hochentwickelten Ländern damals eigen war.

Die Hügel um die Provinzmetropole herum beherbergen noch alte deutsche Bunker, die Altstadt weist zahlreiche Zeugnisse dieser Ära auf, wie etwa die Lutheraner-Kirche, die katholische St.-Michaels-Kathedrale, das für China mit seinem Reisbier einmalige Biermuseum mit der Bronzestatue eines bierfaßtragenden, bärtigen Deutschen an der Vorderfront und nicht zuletzt die 1903 gegründete „Tsingtau Brauerei“, die in der Volksrepublik auf dem Markt des Gerstensaftes führend ist und sich heute zu über 70 Prozent im Besitz des US-Brauereiriesen Anheuser-Bush befindet. Bis Ende August feiern Einwohner und Touristen nach guter deutscher Art in der eigens geschaffenen „Bierstadt“, einer asiatischen Spielart der Münchener „Wies’n“, das seit 1991 stattfindende Bier-Fest mit dem auf die Olympiade gemünzten Leitspruch „Ein Prost für die Welt“.

Foto: Tsingtau stimmt sich auf Olympia ein: 200 Studenten tragen Übungen auf einem Platz der Hafenstadt vor.


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