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25.08.07 / Logistische Meisterleistung / Wie die Salzburger nach Ostpreußen zogen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-07 vom 25. August 2007

Logistische Meisterleistung
Wie die Salzburger nach Ostpreußen zogen
von Norbert Stein

Sie mußten ihre Salzburger Heimat verlassen, weil sie sich für die falsche Glaubensrichtung entschieden hatten: Die ersten Ausweisungen von Lutheranern – landlosen Knechten, Mägden und Dienstboten – starteten bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung des Emigrationspatents des Salzburger Erzbischofs und Landesherren Leopold von Firmian im November 1731 – gerade als der Winter begann. Die benachbarten katholischen Länder Bayern und Tirol waren zunächst nicht bereit, die als Ketzer und Aufrührer geschmähten evangelischen Salzburger passieren zu lassen. Die ersten Emigranten waren also dazu verdammt, teilweise mehrere Wochen in kalten Quartieren an der salzburgischen Grenze auszuharren. Erst nach längerem diplomatischem Gerangel wurden Durchzugsgenehmigungen erteilt. Nunmehr wurden die Exulanten, begleitet von einheimischen, später salzburgischen Marschkommissaren, auch möglichst ohne viel Aufsehen zu erregen und ohne Rasttag, ans jeweils andere Ende dieser Länder gebracht. Von dort mußten sie sich zu den nächstgelegenen Reichsstädten, Kaufbeuren beziehungsweise Kempten, begeben, die von der Ankunft dieser ersten Züge völlig überrascht waren.

Sehr schnell setzte eine Flut von Korrespondenzen in alle Richtungen ein, so daß bald im ganzen Reich das Schicksal der Salzburger Emigranten bekannt wurde. Die ersten sechs Züge der Unangesessenen mit etwa 2700 Männern, Frauen und Kindern haben sich dann über die evangelischen beziehungsweise paritätisch verwalteten Reichsstädte und protestantischen Territorien Süddeutschlands verteilt (so nach Memmingen, Augsburg, Ulm, Lindau, Eßlingen, Nördlingen, Dinkelsbühl, Rothenburg, Windsheim, Schwäbisch-Hall, Heilbronn und Nürnberg sowie in die von absolutistischen Fürsten regierten Länder Württemberg, Oettingen, Pappenheim, Hohenlohe, Ansbach und Bayreuth). Dort wäre die Masse von ihnen wohl auch geblieben, hätte nicht im Frühjahr 1732 ein diplomatischer Paukenschlag ihr Ohr erreicht. Am 2. Februar vor 275 Jahren erließ nämlich der preußische König Friedrich Wilhelm I. ein Einladungspatent an die evangelischen Salzburger, seine Untertanen zu wurden. In allen seinen Landen vom Niederrhein bis an die Memel ließ er eruieren, wie viele Kolonisten welcher Profession benötigt werden. Der von ihm ernannte Kommissar Johann Göbel wurde nach Regensburg geschickt, wo sich bereits das Corpus Evangelicorum beim Reichstag auf diplomatischem Parkett und mit der Einrichtung einer Emigrantenkasse um die Exulanten kümmerte. Der Ort war jedoch falsch gewählt, da dorthin zunächst kein Emigrantenzug gelangte. So reiste er in die Grafschaft Oettingen, wo tatsächlich Ende März ein Teil vom siebten und letzten Zug der Unangesessenen anlangte (etwa 750 von 1500 weiteren Emigranten). Göbel nahm sie als preußische Untertanen an, stellte sie unter königlichen Schutz. Die andere Hälfte dieses Zuges erfuhr unterwegs im bayrischen Schongau von der Einladung des Preußenkönigs. Er splitterte sich im weiteren Verlauf immer weiter auf, so daß sich letztlich mehrere Teiltrupps teilweise auf eigene Faust und auf großen Umwegen in die preußischen Lande aufmachten – etwa 250 von ihnen im April / Mai 1732 über die Länder Hessen, Hannover und Braunschweig in das Brandenburgisch-Preußische. Ein kleiner Trupp von 54 Emigranten gelangte so nach Wesel ins ebenfalls von Friedrich Willhelm I. regierte Herzogtum Kleve. Nach den Vorstellungen des Königs sollten sie dort auch bleiben, denn sie waren ja auf seinem Territorium angelangt. Doch die Geschichte nahm letztlich einen anderen Verlauf.

Von Mai bis August 1732 folgte nämlich die Ausweisung der Angesessenen – vorwiegend bäuerliche Familien mit eigenem Land, das sie zumeist nicht mehr verkaufen konnten –, die sich mit mehr als 13000 Menschen in 16 weiteren Zügen nach und nach auf den nun schon mit dem Ziel Preußen markierten Weg machten. Aus ihren Reihen erging der Wunsch an den „Soldatenkönig“, sie nicht verstreut, sondern in geschlossener Siedlung anzusetzen, damit sie ihren Zusammenhalt nicht verlieren. Getreu seinem Ausspruch „Mir neue Söhne – Euch ein mildes Vaterland“ kam der Preußenkönig diesem Wunsche gerne nach. Als Hauptansiedlungsregion wählte er seinen östlichsten Landesteil Preußisch-Litthauen mit dem Zentrum Gumbinnen aus, wo die Pest etwa 20 Jahre zuvor am stärksten gewütet hatte. Als die in Wesel gestrandeten Salzburger davon erfuhren, setzten sie alles daran, auch dorthin zu gelangen. Also zogen sie im August 1732 ihren Landsleuten und Glaubensbrüdern ans andere Ende Brandenburg-Preußens hinterher. Auch viele der Unangesessenen, die in Süddeutschland bereits Unterkunft gefunden hatten, gingen nun mit den Angesessenen nochmals mit.

Alles in allem haben etwas mehr als 16000 Emigranten den Weg nach Preußen angetreten (in der meist genannten Zahl von 20000 Emigranten sind die Dürmberger und die Berchtesgadener Protestanten, die ihrerseits in die Niederlande beziehungsweise ins Kurfürstentum Hannover gelangten, und wohl auch eine gewisse Dunkelziffer nirgends registrierter Flüchtlinge enthalten; etwa 200 Salzburger wählten gar den Weg über den Atlantik nach Georgia in Nordamerika). So viele Menschen unter den damaligen Umständen in so kurzer Zeit über solch große Entfernungen zu bewegen nötigt uns noch heute Respekt ab. Soweit überlieferte Quellen davon berichten, wissen wir, daß den einzelnen Zügen Marschkommissare beigeordnet wurden, die auch die Finanzen unterwegs zu regeln hatten. Denen waren genaue Routen vorgeschrieben, die von den meisten in etwa 20 bis 30 Kilometer langen Fußmärschen zu erreichenden Tagesziele und von Fall zu Fall einzulegenden Ruhetage wurden ebenfalls vorgeplant. In die betroffenen Orte wurden Boten mit entsprechenden Vorankündigungen gesandt, so daß jeweils einige Tage zuvor Empfangsvorbereitungen getroffen werden konnten. Dabei bemühten sich die Organisatoren, möglichst vielfältige Routen zu finden, um die Nächstenliebe der Einwohner nicht zu strapazieren.

Chronist Gerhard Gottlieb Günther Göcking notierte dazu folgendes: „Die Nothwendigkeit erforderte es, die Marschrouten so vielfältig zu verändern, als es immer möglich war. Hätten sie immer einen Weg genommen, würde solches den Örtern, die sie beständig durchgezogen, unerträglich gefallen seyhn. Andere Öerter wären dann durch diese Buß-Glocken nicht aufmuntert worden, von ihrem Schlummer und Kaltsinnigkeit im Christenthum aufzustehen. Und noch andern hätte man dadurch die Gelegenheit abgeschnitten, an diesen neuen Glaubens-Brüdern Liebe zu beweisen.“ Wie man sich denken kann, ging das nicht immer glatt. Wurden die ersten Züge noch über die Markgrafentümer Ansbach und Bayreuth (meist an Nürnberg vorbei) bis Hof geschafft, ging das ab Juli 1732 nicht mehr. Die Möglichkeit, neue Vorspannpferde für den Weitertransport der Bagage zu erlangen“, war dort erschöpft, also begann man auf andere Routen auszuweichen.

Zwei Teilzüge gingen über Asch, damals ein zu Böhmen gehörendes reichsunmittelbares Lehen mit evangelischer Bevölkerung. Mehrere Züge wählten den Weg durch das katholische Hochstift Bamberg. wo sie im Freien übernachten mußten, in Richtung sächsisch-ernestinisches Herzogtum Coburg-Saalfeld. Zwei weitere Züge gingen über Schweinfurt in Richtung Thüringen. Betrachtet man den mitteldeutschen Raum und das heutige Land Brandenburg auf einer Karte, so überspannten die verschiedenen Routen das Gebiet fast wie ein Spinnennetz, handelte es sich doch tatsächlich um fast ausschließlich evangelische Territorien.

Allerdings blieben Probleme auch hier nicht aus. Für einen Zug war eine Station mit Rasttag in der sächsischen Residenzstadt Dresden vorgesehen. Das wußte die kurfürstliche Regierung jedoch zu verhindern, indem sie mögliche Probleme mit den in der Stadt anwesenden Katholiken vorschob. In anderen Fällen sind Wünsche sächsischer Städte nach einem späteren Anmarsch von den preußischen Kommissaren nicht beachtet worden, da dies höhere Kosten verursacht hätte. Der Nachfolger Augusts des Starken hat sich später gerächt: Er ließ die sächsischen Kollektengelder für die Emigranten zum Kuppelbau der Dresdener Frauenkirche verwenden.

Eifersüchteleien spielten unter den diversen Fürsten auch eine Rolle: So hat Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels einmal den Marschplan eines preußischen Begleitkommissars durcheinandergebracht. Er ließ einfach die Stadttore sperren, damit der Zug gezwungen war, einen zusätzlichen Rasttag einzulegen, an dem den Emigranten die besondere Fürsorge des Herzogs und der Einwohnerschaft zuteil wurde. Das Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel dagegen lehnte im September 1732 ein Durchzugersuchen ab, da das Land nur peripher und nicht in voller Länge berührt werden sollte. So mußten für etwa 850 Emigranten auf die Schnelle andere Übernachtungsorte an der brandenburgischen Grenze gefunden werden. Weit über 13000 Salzburger kamen 1732 (einige auch noch 1733) auf dem Weg nach Preußen durch Berlin (nur etwa 2800 wurden über Altmark, Prignitz und Ruppiner Land über Frankfurt / Oder an der Residenzstadt vorbeigelenkt). Hier im Kernland des brandenburgisch-preußischen Staates erfolgte nach einigen Tagen Rast nochmals eine Aufteilung nach Schiffstransporten und nach „.Landparthien“ – letztere speziell für jene, die mit eigenen Pferden und Wagen durch die Lande zogen. Etwa zwei Drittel der Exulanten brachte man jedoch in fünf Tagesmärschen nach Stettin, von wo sie mit insgesamt 67 Schiffen nach Königsberg in Preußen aufbrachen. Ein von Halle aus mitgeschickter Begleitpfarrer notierte damals im Tagebuch, daß unter den Bergbewohnern große Furcht vor dem unbekannten Meer herrschte. Zwar wurden die meisten kurzzeitig seekrank, aber alle Schiffe erreichten meist schon nach wenigen Tagen ihr Ziel. Die Transporte zu Lande brauchten da bedeutend mehr Zeit. Letztere mußten zudem polnisches Gebiet zwischen Bütow und Marienwerder oder bei Danzig und in jedem Falle im Ermland passieren. Dort wurden sie zum Schutz vor eventuellen Übergriffen von preußischer Reiterei flankiert. Sowohl bei den Schiffs- wie bei den Landtransporten und unmittelbar nach Ankunft in Preußen sind mehr als 800 Emigranten, vorwiegend Kleinkinder oder Alte und Gebrechliche, gestorben. Im Kirchenbuch von Bernau bei Berlin ist 1132 gar die Rede von der „Pocken-Zeit“, welche die Salzburger mitgebracht haben sollen. Trotz aller logistischer Meisterleistung forderten die Strapazen der damaligen Zeit doch ihren Tribut. Von Salzburg bis Preußen hat der Marsch zumeist drei Monate gedauert. Während die esten Schiffe mit Salzburgern in Königsberg am 28. Mai 1732 anlangten, kam die vorletzte Landpartie gar erst am

11. November jenes Jahres dort an. Die letzte wiederum blieb am 30. November wegen des hereinbrechenden Winters in Marienwerder stecken. Die 58 Teilnehmer dieses Trupps wurden dort angesiedelt. Die große Masse der Emigranten zog aber von Königsberg noch weiter nach Osten. Die Ansiedlung der Salzburger in Preußisch-Litthauen weit verstreut über Hunderte von Dörfern – und nicht so geschlossen wie gewünscht – ist aber schon wieder ein anderes Kapitel der Emigrationsgeschichte, die vom einladenden König rundum positiv gesehen wurde: „Was thut Gott dem Brandenburgischen Hause für Gnade! Denn dieses gewiß von Gott herkommt.“


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