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01.09.07 / Aussteigen oder Weitermachen? / Das Dilemma mit Afghanistan und dem Irak – Einblicke in die Zukunft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Aussteigen oder Weitermachen?
Das Dilemma mit Afghanistan und dem Irak – Einblicke in die Zukunft
von R. G. Kerschhofer

Die Kriegsmüdigkeit nimmt überhand – in den USA wie in allen anderen Ländern, die Truppen in Afghanistan oder im Irak stationiert haben. Die eigenen Verluste spielen dabei ebenso mit wie die Tatsache, daß die kostspieligen Einsätze seit 2001 in Afghanistan und seit 2003 im Irak bisher keine nachhaltigen Erfolge zeitigten. Warum aber halten die Regierungen trotzdem an einer sichtlich verfehlten Strategie fest? Und manche Parteien, die heute in der Opposition auf Rückzug drängen, würden in einer Regierung mit den Wölfen heulen.

Als Rechtfertigung werden sowohl moralisierende Argumente angeführt als auch Horror-Szenarien gemalt. Da heißt es etwa, man dürfe „die Leute dort“ nicht im Stich lassen. Doch werden nicht auch andere Leute weltweit im Stich gelassen? Und natürlich heißt es, man müsse internationale Verpflichtungen einhalten. Das zieht beim Afghanistan-Krieg besser, denn der hat ein Nato-Mäntelchen und ein UN-Mäntelchen. Aus dem Grund wird jetzt auch „eine stärkere Rolle der Uno im Irak“ gefordert – was zwar nichts bringen, aber Verantwortung und Kosten breiter streuen würde.

Präsident Bush erklärte vorige Woche, man müsse die Terroristen „dort“ bekämpfen, sonst kämen sie „zu uns“, gemeint sind die USA. In Wahrheit gedeihen Terroristen, eben weil man „dort“ auf fragwürdige Kriegshandlungen setzt. Und eben weil man sie „dort“ bekämpft, weichen sie auf andere Ziele aus. Und sie weichen nicht in die verbarrikadierten USA aus, sondern nehmen US-Verbündete ins Visier.

Während ein Abzug einzelner Militär-Kontingente keine grundsätzliche Änderung der Lage vor Ort brächte, kann man sich bei einem Abzug von Amerikanern und Briten Horror-Szenarien gut vorstellen: Nicht daß Chaos ausbrechen würde – nein, es würde sich bloß das jetzige Chaos verschlimmern. „Darf“ man das riskieren? Die Geschichte lehrt, daß aus Chaos früher oder später wieder Ordnung entsteht – auch ohne äußere Eingriffe. Die eigentliche Frage ist also, ob das ein größeres Übel wäre als die unbefristete Fortschreibung des Ist-Zustands.

Trotz etlicher Parallelen zwischen Afghanistan und Irak gibt es Unterschiede. Der Irak hat mehrere starke und stabile Nachbarn. Der schiitische Ministerpräsident Al-Maliki, den außer sunnitischen auch schiitische Minister verlassen haben und dessen Rückendeckung durch die USA im Schwinden ist, ging nicht zufällig auf Rundreise nach Ankara, Teheran und Damaskus. Riad könnte folgen.

Denn alle Nachbarn, auch Jordanien und Kuwait, haben ein elementares Interesse daran, daß der Irak als Staatsgebilde erhalten bleibt – die Türkei und der Iran vor allem aus Angst vor einer Unabhängigkeit der irakischen Kurdengebiete. Und die Hauptkontrahenten Iran und Saudi-Arabien haben auch die Macht, ihre Klientel im Irak – die Schiiten beziehungsweise die Sunniten – auf dieser Linie zu halten. Ein Abzug der USA würde sie zwingen, sich auf ein Abstecken ihrer Einflußgebiete zu einigen, denn einen Krieg gegeneinander würden sie innenpolitisch nicht verkraften.

Unbekannte Größe bliebe, was man grob vereinfachend El-Kaida nennt – und was akute Motivationsprobleme bekäme, wenn das Feindbild, „der große Satan USA“, nicht mehr greifbar wäre! Doch können sich die USA zurückziehen, wenn die irakischen Erdölfelder an amerikanische und britische Konzerne privatisiert sind?

Afghanistan, wo die Stammes-Strukturen eine ungleich größere Rolle spielen, würde voraussichtlich in „Teilfürstentümer“ zerfallen – kaum ein Unterschied zur jetzigen Situation. Braucht man überhaupt eine Zentralregierung, wenn es nichts zu verteilen gibt? Daß die Taliban mehr als nur ein paar Landstriche unter ihre Kontrolle bringen könnten, ist wenig wahrscheinlich. Aber wenn die Afghanen nicht selber zu größeren Opfern bereit sind, werden sie den islamistischen Terror eben akzeptieren müssen. Die Opium-Produktion ist übrigens trotz „Gesamtstaatlichkeit“ und trotz fremder Truppen heute höher als je zuvor.

Doch was wären die internationalen Auswirkungen? Obwohl wieder eine Art Kalter Krieg zu drohen scheint, würde sich Rußland hüten, in das Wespennest Afghanistan zu stechen. Präsident Putin hat die Genugtuung, daß die zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken ihr Öl und Gas via Rußland vermarkten. Hinfällig ist die Anbindung dieser Staaten an die USA durch Gas- und Öldienstleister von Zentralasien zum indischen Ozean – ein Plan, den manche als wahren Grund für die US-Intervention in Afghanistan ansehen.

Gewiß, der Zerfall Afghanistans könnte auf den südlichen Nachbarn Pakistan übergreifen – oder dort genau umgekehrt die zivilen und gemäßigten Kräfte mobilisieren! Daß sich die Stammesführer der 33 Millionen Paschtunen diesseits und jenseits der Grenze auf die Errichtung eines eigenen Staates einigen könnten, ist ohnehin nur eine theoretische Möglichkeit.

Als großes Fragezeichen bleibt also wieder El-Kaida. Tatsache ist, daß die bisherigen Maßnahmen nichts brachten, doch ebenso, daß es gegen irre Fanatiker keinen 100prozentigen Schutz gibt. Wenn sie jedoch keine lebenden Zielscheiben mehr frei Haus geliefert bekämen, würden sich auch ihre Medienpräsenz und damit ihr Zulauf drastisch verringern! Zugleich könnten sich westliche Regierungen nicht mehr auf den Popanz El-Kaida berufen, um ihren Bürgern immer neue Lasten aufzuzwingen. Oder sollte hier der Schlüssel zur eingangs erwähnten Frage zu suchen sein?

Foto: Auf der Suche nach Taliban: Bundeswehrsoldat auf Patrouille in Afghanistan


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