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01.09.07 / Massenarmut in der Schatzkammer Asiens / Die Mongolei hat zahlreiche Bodenschätze, doch hier

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Massenarmut in der Schatzkammer Asiens
Die Mongolei hat zahlreiche Bodenschätze, doch hiervon profitieren nur die postkommunistischen Kader
von A. Rothacher

Schon aus der Entfernung sieht man die eigenwillige Skyline der verarmten Millionenstadt Ulan Bator: Die Vielzahl der Baukräne ist unübersehbares Anzeichen des Aufschwungs ebenso wie die sich verbreitenden schadstoffgeschwängerten Verkehrstaus in der Hauptstadt. Seit vier Jahren beginnt sich die mongolische  Wirtschaft nach der schweren Krise des Nachwendejahrzehnts zu erholen. Dabei hat jene junge Demokratie, die sich 1990 aus eigener Kraft nach einer Intellektuellenrevolte von dem seit 1924 bestehenden sowjetischen Joch befreite, noch einen Berg an ererbten und teils auch selbstverschuldeten Folgeproblemen abzuarbeiten. Nach Landesart geht das Hirtenvolk, dessen Vorfahren vor 800 Jahren den eurasischen Kontinent noch in Angst und Schrecken versetzten, mit einer freundlichen Gelassenheit und seine politische Klasse mit einer Mischung aus Selbstbereicherung und Nonchalance an die Problemlösungen heran.

Verantwortlich für den Aufschwung ist der dramatische Anstieg der Weltrohstoffpreise, der durch die unersättliche Nachfrage des großen chinesischen Nachbarn ausgelöst wurde, und der die Mongolei trotz ihrer schlechten Verkehrserschließung als eines der an Bodenschätzen reichsten Länder der Welt begünstigt. So sorgen der Verkauf von Kupfer, Gold, Kohle, Nickel, Eisenerz, Uran, Zinn, Zink, Wolfram, Molybdän und Flußspat für 76 Prozent der Exporterlöse und 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Doch sind die Gewinne des Rohstoffreichtums ungleich verteilt. So besitzen sechs Spitzenkader der postkommunistischen, seit 2000 wieder regierenden Mongolischen Revolutionären Volkspartei (MRVP) – darunter Staatpräsident Enchbajar und sein Vorgänger Ochirbat – die Lizenzen zum Tagebau jener Kokskohle.

Der wichtigste Wirtschaftszweig der Mongolei ist weiter die Landwirtschaft mit 30 Prozent des BIP. Die Hälfte der Bevölkerung lebt auf dem Lande und fast ausschließlich von den Erträgen der Weidewirtschaft: Fleisch, Milch, Kaschmirwolle und Häuten. So wurde aufgrund der massiven Überweidung die Erosion von Böden zumal im Gebirge und in die Versteppung entlang der Wüste Gobi stark beschleunigt. Während der trockenen Sommer und bitterkalten Winter von 1999–2002 starben dann große Teile der geschwächten Herden. Die ihrer Tiere beraubten Hirten zogen damals mittellos mit ihren Zelten und Familien in die Städte. Da die 21 Provinzhauptstädte bestenfalls Mittelstädte mit bis zu 70000 Einwohnern sind – die meisten sind nichts anderes als übergroße Dörfer – landeten fast alle in Ulan Bator. Seine Einwohnerzahl schwoll binnen eines Jahrzehnts von 150000 auf eine Million an. Das entspricht 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Angesichts der Härten des Landlebens würden nach Umfragen 99 Prozent der Landjugend in die Städte ziehen.

Während neureiche, von hohen Schutzmauern umzäunte Villenviertel in Ulan Bator hochgezogen werden, Luxuslimousinen Rekordabsätze erzielen und manche der Wendegewinner, wie der mongolische Autor Galsan Tschinag bitter beobachtete, zu „sauf- und freßgierigen Affen“ wurden, leben 27 Prozent der Städter und 43 Prozent der Landbevölkerung unter der Armutsschwelle von einem US-Dollar pro Tag. Allein in Ulan Bator müssen sich 4000 bis 10000 Straßenkinder – ähnlich wie im Bukarest der Nachwendezeit – mit Betteln, Kleinkriminalität, Autowaschen oder als Schuhputzer durchschlagen. Auch mit den sich ausbreitenden Slumvierteln von Holzhütten und Jurten hinter Bretterzäunen, die sich nach allen Himmelsrichtungen an den Berghängen ausbreiten, scheint die Stadtverwaltung Ulan Bators überfordert. Sie liefert weder Wasser noch Strom. Abfall- und Abwasserentsorgung finden nicht statt.

Die Schulen von Ulan Bator sind wegen des Kinderreichtums der Städter und mehr noch der zugewanderten Hirten so überfüllt, daß der Unterricht in drei Schichten gegeben werden muß. Oft wird den Zugewanderten auch die Einschulung schlicht verweigert. Schon Zwölfjährige müssen dann als Zigarettenverkäufer, Müllsammler und Lastenträger für 100 Tugrig (7 Cents) am Tag ihr Berufsleben beginnen.

Das beim Bergbau, der Verhüttung, der Lederverarbeitung und dem städtischen Verbrauch entstehende Abwasser wird meist ungeklärt in die wenigen Flüsse geleitet, die damit als Trinkwasser und für Bewässerungszwecke ausfallen. Ein Großteil der in der Mongolei belasteten Flüsse mündet in den Baikalsee, dessen Zustand zu Balladen bald nicht mehr Anlaß geben wird. Der Bergbau findet ohne Umweltauflagen statt. Im Tagebau entstehen Mondlandschaften. Ebenso ungeregelt sind die vorzeitlichen Heizkraftwerke sowjetischer Bauart in der Hauptstadt, die in eine schwefelhaltige Dunstglocke gehüllt ist.

Zu den Erblasten des Kommunismus zählt die staatsanwaltschaftliche Praxis statt aufwendiger Ermittlungsarbeiten lieber Geständnisse aus den Verdächtigen zu prügeln. Auch wird die Todesstrafe noch unter großer Geheimhaltung vollstreckt (1990–2000: 259 Todesurteile). Abgesehen von einem – weiter unaufgeklärten – Mord im Jahre 1998 an dem Demokratieaktivisten Zorig, der zuviel über die Korruption der MRVP-Kader wußte und öffentlich zu machen drohte, gibt es in der Mongolei jedoch keine politische Gewalt. Wenn Menschenrechtsverletzungen erfolgen, so sind sie, wie etwa im Elend der Gefängnisse, eher in  Armut und Unterentwicklung begründet, als im bösen Willen der Regierung.

Die größten Probleme der Mongolei sind der fehlende Binnenmarkt, der mangelhafte Zustand von Infrastruktur und internationaler Verkehrsanbindung, ungenügende Berufsausbildung, eine nicht ergebnisorientierte Arbeitsmoral sowie Korruption. Der Weg der Mongolei zu einer nachhaltigen Ressourcenentwicklung und zu einem dem Rohstoffreichtum entsprechendem Massenwohlstand ist noch weit, aber nicht hoffnungslos.


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