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01.09.07 / Gut für den Arbeitsmarkt und Chancengleichheit? / Fachkräftemangel macht »Studium ohne Abitur« möglich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Gut für den Arbeitsmarkt und Chancengleichheit?
Fachkräftemangel macht »Studium ohne Abitur« möglich
von George Turner

In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu den Universitäten und Fachhochschulen für Bewerber ohne Reifeprüfung, die dafür aber eine berufliche Qualifikation vorweisen müssen. Seinerzeit ist dies nicht zuletzt auf Betreiben des Handwerks unter dem Motto „Studium auch ohne Abitur“ eingeführt worden. Dahinter stand die Sorge, nicht genügend Nachwuchs in den Ausbildungsgängen des dualen Systems zu haben. Die Möglichkeit, ein Studium auch ohne Abitur an eine berufliche Ausbildung anzuhängen, sollte junge Menschen zwar (zunächst) in eine berufliche Ausbildung führen; dies sollte sich aber nicht als  „Sackgasse“ erweisen. Im Ergebnis traf man sich mit den Interessen der politischen Linken, die darin die Verwirklichung von Chancengleichheit auch in einem späteren Lebensabschnitt und die Aufhebung des Klassenunterschieds mit Hilfe eines durchlässigen Bildungssystems sieht.

Derzeitig wird es vor allem als Chance betrachtet, dem drohenden Fachkräftemangel in den Ingenieurfächern zu begegnen. Das ist richtig und zeigt zugleich erneut, wie Fehler ausgebügelt werden müssen, die eine angeblich fortschrittliche Hochschulreform produziert hat. Bis vor 30 Jahren hatten Absolventen einer beruflichen Ausbildung die Möglichkeit, eine Ingenieurschule zu besuchen. Indem man diese Einrichtungen in Fachhochschulen umbenannt und sie durch das Erfordernis der Fachhochschulreife beziehungsweise des Abiturs beim Zugang aufgemotzt hatte, wurde dieser Weg verschlossen. Die Folgen sind zu besichtigen: Die Fachschulen versuchen, sich den Universitäten anzunähern (universities of applied sciences), und befähigte Absolventen des dualen Systems gucken in die Röhre. Das ließe sich schnell korrigieren, indem man die Zugangsvoraussetzungen zu den Fachhochschulen verändert. 

Damit wäre allerdings nicht automatisch das Problem fehlender Kräfte vor allem in den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen gelöst. Hier wirkt sich eine über Jahrzehnte dauernde Vernachlässigung entsprechender Fächer in den Schulen aus. Hemmend war nicht nur eine inzwischen wohl weitgehend überwundene Skepsis gegenüber Technik, die sich auch schon mal zur Technikfeindlichkeit steigern konnte. Vor allem ist ursächlich das zum Teil fachlich unterbrochene Angebot in den Schulen. Wenn naturwissenschaftliche Fächer nicht durchgehend unterrichtet werden, wenn Physik oder Chemie in einem Schuljahr nicht im Lehrplan erscheinen, darf man sich nicht darüber wundern, daß das Interesse der Schüler entweder nachläßt oder gar nicht erst geweckt wird. Auch hier ein Fehler von Experimenten zu Lasten von Schülern und des Bedarfs an Kandidaten für bestimmte Disziplinen. Daraus sollte wenigstens eines gelernt werden: Bei der jetzt anstehenden Reform des Zugangs müssen alle Konsequenzen bedacht werden, auch die, daß es wenig hilfreich ist, bei der in Betracht kommenden Gruppe Illusionen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zu erwecken. Das wäre ein uneingeschränkter Zugang statt der fachgebundenen, das heißt vom bisherigen Berufsfeld abhängigen Zulassung. Man kann nicht auf der einen Seite die mangelnde Studierfähigkeit eines nicht ganz unbeachtlichen Teils der Studierenden beklagen, die eine allgemeine Hochschulreife erworben haben, und auf der anderen Seite die Tore für andere, die einen solchen Nachweis nicht erbracht haben, weit öffnen. Es gibt seit langem die Möglichkeit, das Abitur im zweiten Bildungsweg nachzuholen. Bewerbern mit einer solchen Qualifikation sind, abhängig von vorhandenen Studienplätzen, alle Fächer zugänglich. Wer diesen Weg nicht gehen will oder kann, sollte durchaus die Möglichkeit zu einem Studium haben, aber auf der Basis des bisher Nachgewiesenen. Der Kraftfahrzeugmechaniker kann Maschinenbau studieren, nicht aber Medizin oder Philosophie. Das wird den Verfechtern der uneingeschränkten Zulassung nicht genügen. Nur sollten sie bedenken, daß man neben persönlichen Enttäuschungen, die ein Scheitern auf bisher fremdem Feld mit sich bringt, auch das Abitur nicht unnötig abwerten darf. Warum fordert man grundsätzlich die allgemeine Hochschulreife, wenn es auch anders, ohne diese Hürde geht? Die Vertreter einer uneingeschränkten Zulassung führen ins Feld, daß Berufstätige eine Entscheidung zum Studium überlegter träfen und sich nicht auf Abenteuer einließen. Im übrigen erweise sich die Qualifikation zum Studium im Studium. Dann kann man aber von vornherein auf Prüfungen und den Nachweis von Voraussetzungen verzichten. Auf die Spitze getrieben hieße das, die Befähigung zum Beruf erweise sich im Beruf. Zweifel sind ferner angebracht, wenn Kandidaten, die nicht eben erfolgreich in ihrem Beruf sind, meinen, sie hätten „nichts zu verlieren“, wenn sie sich für die Aufnahme eines Studiums entscheiden.

So plausibel es ist, den Versuch zu unternehmen, dem Fachkräftemangel durch eine Offensive beizukommen – es ist zugleich ein Lehrstück, wie die Hochschulen zum Objekt der Politik gemacht werden. Es kommt nicht darauf an, wie Wissenschaft und akademische Ausbildung sich verstehen und verstanden werden müssen. Im Gegenteil: Die Hochschule wird zum Instrument der Gesellschafts- oder Sozialpolitik, indem die Chancengleichheit in den Vordergrund rückt, zum Mittel der Arbeitsmarktpolitik, soweit es um die Ausbildung von Nachwuchskräften geht. Von den Hochschulen wird damit zunehmend erwartet, daß sie zu berufsnahen Ausbildungsstätten werden. Das ist für die Fachhochschulen auch richtig, nur leider mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Deshalb wäre es richtig, die derzeitige Diskussion zum Anlaß zu nehmen, Bewerbern ohne allgemeine Hochschulreife den Zugang zur Fachhochschule für ein Studium zu ermöglichen, das einen Zusammenhang mit der bisherigen beruflichen Tätigkeit aufweist. So gelangen die Betroffenen aus der vermeintlichen Sackgasse der beruflichen Bildung, ohne in eine neue an den Universitäten zu geraten.


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