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01.09.07 / 350mal Krieg / Kurze Geschichten aus unterschiedlichen Gefechten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

350mal Krieg
Kurze Geschichten aus unterschiedlichen Gefechten

Ein Erzählstrom von Geschichten, zwischen denen sich kleine Verbindungslinien öffnen, damit umreißt Michael Opitz, Deutschlandradio Kultur, den Aufbau der „350 neuen Geschichten“ von Alexander Kluge und darüber hinaus die Komplexität seines literarischen Œuvres. Auf einer bedeutsamen Nebenlinie des Stroms fließen Geschichten des Krieges, die Menschen und Gesellschaften mit sich reißen, deformieren und zerstören. Was ist Krieg? Für Kluge ein kompliziertes, artifizielles, immer erneut auf Nachzündung der Feindseligkeit angewiesenes Netz, ein Verhältnis, das die Kräfte überanstrengt.

Der Autor schöpft aus Leserbriefen, Fernseh- und Zeitungsnachrichten, philosophischen Gedanken, Geschichtsbüchern und wissenschaftlichen Abhandlungen. Er verfaßt daraus Kurzgeschichten in Form dichter Beschreibung, was eine kleine Auswahl von Geschichten aus dem Krieg veranschaulichen soll.

„Am 12. Februar 1916, dem für den Angriff auf Verdun festgesetzten Tag (noch war alles ungeschehen), fuhr ich mit zwei Ordonanzoffizieren an die Front. Die Landschaft lag in undurchdringlichem Nebel ... Die deutsche obere Führung war jedoch in den Kategorien der ‚Klarheit‘ und der ‚bewußten Entschließung‘, also ‚rational‘, ausgebildet. Sie traute keinem ‚ungefähr‘.“ So beginnt die Geschichte „Kein Angriff im Nebel“. Der Angriffsbefehl an diesem Tag wurde zurückgenommen. Dabei hielt der Gegner Angriffe aus dem Nebel für ausgeschlossen, was den Deutschen im Sinne eines Überraschungsangriffs zum Vorteil gereicht hätte: „Wie Gespenster wären die Unsrigen aus dem Nebel aufgetaucht.“

„Fog of war“ ist das Fachgebiet des Strategielehrers und Militärhistorikers Generalmajor Freddy R. Williams. „Ein Prüfungsthema in West Point“ kommt regelmäßig aus diesem gefürchteten Bereich. Laut Williams verlieren mit Kriegsausbruch die Tatsachen selbst ihre feste Gestalt, es erscheinen dann „unbekannte Tatsachen“, nämlich Mischungen aus Notwendigkeit und Zufall – weder Übungen noch Abhärtung taugen da. Also ein für die kriegsunerfahrenen Examinanden der Militärakademie schwer umsetzbares Phänomen, scheinbar „philosophischer Natur“. Carl von Clausewitz begreift den „Nebel des Krieges“ als Friktion, die nach Williams aus den Dingen selbst kommt. Grund sei der Kontakt von Menschen und Tatsachen mit dem Zufall. Man kann die Tatsachen, sobald der Krieg ausbricht, von unerlaubtem Kontakt mit den Zufällen nicht mehr abhalten.

„Die Schnellsten werden die Letzten sein.“ Das zeigte sich bei der Eroberung des Irak durch die USA, deren schnellste und elektronisch am besten ausgerüstete Kampfeinheit die 4. US-Infanterie-Division (die „Digitalisierte“) war. Sie sollte überraschend von Westen über die Türkei, das Kurdengebiet und Mossul auf Bagdad vorstoßen.

Doch die auf Schiffe verladene 4. US-Infanterie-Division erhielt seitens der Türkei keine Erlaubnis an Land zu gehen. Schließlich wurde die Transportflotte umgeleitet, durchfuhr den Suez-Kanal und umrundete die Arabische Halbinsel.

Dann traf die für besonders rasche Vorstöße bekannte Truppe in Kuwait ein: vier Tage nach den entscheidenden Gefechten vor Bagdad.

Die untereinander vernetzten „350 neuen Geschichten“ Alexander Kluges sind im wissenschaftlichen Sinne nicht zitierfähig, so fehlt beispielsweise ein Quellenverzeichnis.

Doch machen seine Geschichten nachdenklich, geben Anreiz zur historischen Reflexion und bieten dem Leser eine anregende Lektüre: eine Tour d’Horizon neuerer Kriegsgeschichte(n), von den napoleonischen Kriegen bis zum zweiten Irakkrieg.             Frank Gerlich

Alexander Kluge: „Tür an Tür mit einer anderen Welt“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, broschiert, 646 Seiten, 22,80 Euro, Best.-Nr. 6327


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