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01.09.07 / Rede des LO-Sprechers Wilhelm v. Gottberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Rede des LO-Sprechers Wilhelm v. Gottberg

Der heutige 1. August 2007 ist für mich ein bewegender Tag, denn ich bin hier Gast und Zeitzeuge bei einem ganz ungewöhnlichen Ereignis. Ein Ort, ein kleiner Weiler, bekommt den Namen Tilsit zugeeignet. Was es mit Tilsit auf sich hat, wurde durch Horst Mertineit vorgetragen. Tilsit, kreisfreie Stadt in der früheren deutschen Provinz Ostpreußen, zählte zu den großen und bedeutsamen Städten im Preußenland. Tilsit kann in diesem Jahr auf 455 Jahre Stadtgeschichte zurückblicken. 1552 bekam der Ort durch Herzog Albrecht die Stadtrechte. Die Anfänge der Siedlungsgeschichte Tilsit finden wir im 13. Jahrhundert.

Mir ist kein weiterer Ort in Deutschland oder in Europa bekannt, der den Namen Tilsit trägt. Das alte Tilsit ist nur noch rudimentär vorhanden und es trägt heute den Namen „Sowjetsk“. Das schließt nicht aus, daß eine größere Anzahl Menschen im heutigen russischen Tilsit beziehungsweise Sowjetsk an die historische Vergangenheit der Stadt Tilsit anknüpfen wollen.

Mit dem heutigen Tag erlangt das alte Tilsit ein Stück Unsterblichkeit, denn nunmehr bleibt Tilsit als Ortsname erhalten. Sie, meine lieben Schweizer Freunde, knüpfen ja ganz bewußt an Tilsit in Ostpreußen an, und die Brük-

ke zur fernen Stadt am Memelfluß ist der Tilsiter Käse, der seinen Ursprung in der Tilsiter Region Ostpreußens hatte und heute hier in der Schweiz – sicherlich zeitgemäß fortentwickelt – produziert wird. Für die Ostpreußen ein Grund zur Freude.

Ich will das heutige Ereignis in einen etwas größeren geschichtlichen Rahmen stellen. Preußen, ein früherer deutscher autonomer Staat, zeitweilig sogar europäische Vormacht, hatte mit dem Edikt von Potsdam 1685 des Großen Kurfürsten Glaubens- und Gewissensfreiheit als erster Staat in Europa für alle Landeskinder garantiert. Dies war ein Meilenstein in der Entwicklung der Grund- und Menschenrechte in Europa schon im 17. Jahrhundert.

Aufgrund des Potsdamer Ediktes kamen Glaubensflüchtlinge aus den verschiedenen europäischen Regionen nach Preußen. Es kamen die französischen Hugenotten, die Salzburger, die Pfälzer und auch holländische und Schweizer Menoiten. Letztere waren Menschen aus Ländern mit Käsetradition. Sie haben die einheimische Käseproduktion in der Tilsiter Region befruchtet und auch Neuerungen in den Produktionsprozeß hereingebracht. Zum Beispiel brachten die Schweizer den beheizbaren Kupferkessel mit in das Preußenland und sie wußten auch, daß man Rohkäse nachwärmen muß.

Im 19. Jahrhundert gab es vielfältige Methoden, allerdings alle sehr ähnlich, zur Käseherstellung in der Milchwirtschaft in der Tilsiter Region. Es wurde für den eigenen Bedarf produziert.

1845, so schreibt Ulla Lachauer in ihrem Buch „Die Brücke von Tilsit“, soll es gewesen sein, daß eine ostpreußische Bäuerin, Frau Westphal, das Rezept für den Tilsiter Käse erstmalig veröffentlichte. Die Produktion dieses Käses wurde dadurch in bestimmte Regeln gebracht. Damit kam eine Professionalisierung der Käseherstellung in Gang. Sie entfernte sich im Laufe der Jahre von der bäuerlichen Wirtschaft. Molkereien entstanden, die Milchverwertung wurde ein eigener Berufszweig und es wurde für den Markt produziert. Der Tilsiter Käse, in der Tilsiter Region entstanden, machte Tilsit deutschlandweit und später europaweit bekannt.

Mir ist es wichtig, auf die Beteiligung der Schweizer Glaubensflüchtlinge, die als Emigranten nach Preußen kamen, bei dem langen Entstehungsprozeß des Tilsiter Käses aufmerksam zu machen. Die geschichtlichen Bezüge der Schweiz zu Ostpreußen liegen auf der Hand.

Noch ein kleiner Exkurs: Das ferne Preußen muß auf die Menschen in der Schweiz schon am Ausgang des 18. Jahrhundert eine gewisse Faszination ausgeübt haben. 1707 wählten die Stände des Fürstentums Neuchâtel, zu Deutsch Neuenburg – heute ein Kanton der Schweiz, König Friedrich I. in Preußen zum Fürsten. Damit wurde Neuenburg oder Neuchâtel preußisches Territorium. 1857 endete die preußische Zeit des Kantons durch Verzicht Preußens auf dieses Gebiet. Der preußische König behielt noch bis zum Ende der Monarchie in Preußen 1918 den Titel Fürst von Neuchâtel und Valangin.

Und noch einen Aspekt will ich nennen, einen Impuls aus Ostpreußen, der auch in der Schweiz eine durchschlagende Folgewirkung hatte. 1898 wurde durch Elisabeth Boehm geborene Steppuhn, eine Gutsfrau aus Rastenburg in Ostpreußen, die Landfrauenbewegung gegründet. Landfrauenvereine gibt es heute auf der ganzen Welt. Natürlich gibt es Landfrauenvereine auch in der Schweiz. Ich weiß nicht, Herr Präsident Walter, ob Ihnen der Ausgangspunkt der Frauenbewegung bekannt war. Ihnen verehrte Zuhörer wird das nicht bekannt gewesen sein. Soweit der Exkurs.

1893 kommt der Urgroßvater von Otto Wartmann nach Tilsit. Er hieß auch Otto Wartmann und die Analen sagen aus, daß eine Geschäftsreise ihn nach Ostpreußen führte. Ich möchte eher annehmen, daß es eine Studienreise war. Otto Wartmann Nr. 1 brachte das Rezept des Tilsiter Käses mit in die Schweiz. Seit 114 Jahren wird nun der Tilsiter Käse auf dem landwirtschaftlichen Anwesen der Familie Wartmann in der Schweiz hergestellt. Otto Wartmann Nr. 4 stellt den Tilsiter nun in der vierten Generation her, wie mittlerweile viele andere Familienunternehmen in der hiesigen Region. Der Wohnsitz der Wartmanns – der Holzhof – wird am heutigen Tage in Tilsit umbenannt. Damit bleibt Tilsit als Ortsbezeichnung erhalten.

Meine Damen und Herren, mit der Namensgebung Tilsit für den Holzhof werden gewissermaßen verschüttete kulturelle und emotionale Bindungen von hier zur Kernprovinz des ehemaligen Preußens wieder freigelegt. Damit wird Kontinuität zur historischen Vergangenheit gewahrt. Wir leben in der Gegenwart. Wir können die Zukunft nur erfolgreich gestalten, wenn die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigt werden. Das kleine Tilsit in der Schweiz wird zukünftig die Erinnerung an das große Tilsit im fernen Osten wachhalten. Diese Hoffnung habe ich. Und es gibt da noch eine andere Hoffnung, die mit mir viele Ostpreußen und alle noch lebenden alten Tilsiter teilen. Wir hoffen, daß die geschichtsträchtige Stadt am Ufer der Memel eines Tages ihren Namen Tilsit zurückbekommt. Wir wissen, daß viele russische Menschen in Sowjetsk damit einverstanden wären. Tilsit, mit dem Tilsiter Frieden, der nunmehr 200 Jahre zurückliegt, hat auch für die russische Geschichte Bedeutung. Die 62jährige russische Gegenwart von Tilsit ruht auf der 700jährigen deutschen Vergangenheit der Stadt. Die Rückbenennung der Stadt in Tilsit würde die Zäsur von 1945 ein wenig heilen.

Der Schweiz und ihren Menschen, der Schweizer Marketingorganisation Tilsiter und den Menschen im kleinen Ort Tilsit (Holzhof) wünsche ich im Namen der Landsmannschaft Ostpreußen am heutigen 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, ein herzliches Glückauf.


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