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01.09.07 / Ein Lehrer alter Schule / Schrullenhaftigkeit und Liebenswürdigkeit zeichneten ihn aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Ein Lehrer alter Schule
Schrullenhaftigkeit und Liebenswürdigkeit zeichneten ihn aus
von Heinz Kurt Kays

Karl Friedrich Kilian, Oberstudienrat seines Zeichens, hat mehr als 30 Jahre lang am Aufbaugymnasium zu Hohenstein in Ostpreußen Deutsch und Geschichte gelehrt. Auch für das Fach Geographie war er zuständig. Unter den zahlreichen Schülern, welche der stets engagierte Pädagoge bis zum Abitur geführt hat, befand sich auch Emil von Behring, nach dem die renommierte Anstalt späterhin benannt wurde. Als dieser berühmte Arzt und Naturforscher 1921 den erstmals vergebenen Nobelpreis für Medizin erhielt, da konnte Karl Friedrich Kilian zu Recht behaupten, daß er dazu auch ein ganz klein wenig beigetragen hatte.

Bei all den völlig unbestrittenen Verdiensten, die man dem Hohensteiner Gymnasiallehrer zubilligen durfte, soll nicht verschwiegen werden, daß ihm auch eine gewisse Schrullenhaftigkeit eignete. Doch tat dies der Beliebtheit von Oberstudienrat Kilian im gesamten Pennal keinen Abbruch. Im Gegenteil, sowohl beim übrigen „Lehrkörper“ als auch bei der überwiegenden Mehrheit der „Zöglinge“ wurde ihm jederzeit die größte Hochachtung gezollt. Und seine kleinen „Absonderlichkeiten“ sind zumeist mit vergnügtem Augenzwinkern hingenommen und als harmlos und liebenswert akzeptiert worden.

Für eine seiner Eigentümlichkeiten war Karl Friedrich Kilian bei nahezu allen Schülergenerationen, die ihm im Lauf seines Pädagogen-Daseins unterkamen, sogar ausgesprochen berühmt. Niemals, wirklich niemals, hat er einen der Quartaner oder Unterprimaner als „faul“ bezeichnet, mochte dieser ein solches Prädikat noch so sehr verdienen. Nein, der Herr Oberstudienrat schaute den „Delinquenten“ in einem derartigen Fall milde strafend durch seine Brille an und erklärte: „Da war einer wieder mal unfleißig!“

Der „Pauker“ Kilian liebte derartige „Un-Wörter“. Und er gebrauchte sie oft und gern, wobei diese in fast allen Fällen ureigenste Erfindung darstellten. Sprach er sie aus, dann dehnte er den Vokal „U“ zudem mindestens auf die dreifache Länge. Das hörte sich etwa so an: „Der Zögling Pokornik war diesmal in Geschichte ziemlich u-u-unschlecht!“ Was beinahe die höchste Bewertung war, welche der Herr Oberstudienrat einem der Gymnasiasten jemals gespendet hat.

Der soeben lobend erwähnte Quartaner namens Pokornik galt ansonsten nicht immer als leuchtendes Vorbild für seine Klassenkameraden. Zu seinen Untugenden gehörte unter anderem, daß er zur ersten Stunde des Tages fast nie ganz pünktlich in seiner Bank saß. Als dies einmal ausnahmsweise doch der Fall war, registrierte es Karl Friedrich Kilian sofort und stellte voller Erstaunen fest: „Ein kleines Wunder ist geschehen, denn unser lieber Pokornik ist heute u-u-unspät!“

Selbstverständlich wurden solche originellen Wortprägungen nicht nur im Gymnasium verbreitet, sondern liefen auch durch das ganze Städtchen. Man bestaunte und belächelte sie und so mancher versuchte gelegentlich, diesen Tick des allseits beliebten Lehrers nachzuahmen. Als etwa die Herren Unterprimaner so langsam entdeckten, daß es auch Mädchen auf dieser Welt gibt, da wurden die Marjellen nicht etwa als „hübsch“ oder gar „schön“ bezeichnet, nein, man nannte sie ganz einfach „u-u-unhäßlich“.

Natürlich waren die „Un-Wörter“ nicht die einzige Skurrilität, welche von Karl Friedrich Kilian produziert wurde.

Gelegentlich gelangen ihm so ganz nebenbei Sentenzen, die man hätte getrost als „Hohensteiner Stilblüten“ klassifizieren können. Kleine Kostprobe gefällig?

Sie soll sogleich geliefert werden, wobei man sich eine Unterrichtsstunde in deutscher Literatur vorzustellen hat.

Der Herr Oberstudienrat beliebte vor einer nicht gerade übermäßig interessierten Klasse über das dramatische Schiller-Gedicht mit dem Titel „Der Taucher“ zu dozieren.

Überaus anschaulich schilderte er dabei den brodelnden Strudel des aufgewühlten Meeres sowie die in seinem Abgrund lauernden schrecklichen Gefahren. Ebenso rühmte er mit bewegenden Worten den Todesmut des wackeren Jünglings, der sich dort hineinzustürzen wagte.

Dann tat er – sozusagen im Eifer des Gefechts – folgenden Ausspruch: „Wenn man jemand ins eiskalte Wasser schmeißt, so kann sich dieser ganz schön die Finger verbrennen!“

Kein Wunder, daß diese rhetorische Glanzleistung innerhalb kürzester Frist in der gesamten Bevölkerung des ostpreußischen Städtchens bekannt war. Ob der Sinn oder Unsinn solcher Aussage jedoch überall und von jedem sofort verstanden wurde, soll hier dahingestellt bleiben.

Viel eher mochte das wohl der Fall gewesen sein bei einem weiteren Ausspruch, der seinerzeit ebenfalls von unserem Pädagogen überliefert wurde.

Auch Karl Friedrich Kilian passierte es nämlich ab und an, daß er aus der Haut fuhr und sich dabei etwas vergaloppierte.

So donnerte er einmal reichlich unwirsch einer etwas renitenten Sextaner-Klasse diese Weisheit von seinem Katheder herab: „Wie oft muß ich Euch noch erzählen, es gibt keine größere und kleinere Hälfte!“

Er machte eine kleine Pause, blinzelte durch seine dicke Brille und fuhr dann fort: „Aber die größere Hälfte von Euch hört ja sowieso nicht zu, wenn ich was sage!“

Worauf mindestens die „kleinere Hälfte“ der Schüllerschar in schallendes Gelächter ausbrach, dem sich – zu seiner Ehre sei es mitgeteilt – nach einem Momentchen der Verblüffung der Herr Oberstudienrat anschloß. Und das bewies, daß Karl Friedrich Kilian zu jener Sorte von Menschen gehörte, die zwar kleinere Schwächen besaßen, sich derer jedoch bewußt waren und sie auch mit einer gehörigen Portion Humor hinnehmen konnten.


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