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08.09.07 / »Schließer haben Angst« / Unhaltbare Zustände in Berlins Haftanstalten – Senatorin von der Aue (SPD) unter Druck

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-07 vom 08. September 2007

»Schließer haben Angst«
Unhaltbare Zustände in Berlins Haftanstalten – Senatorin von der Aue (SPD) unter Druck
von Peter Westphal

Die Hiobsbotschaften über den Zustand der Berliner Haftanstalten nehmen kein Ende. Nachdem im Dezember 2006 mit der zehnten Selbsttötung die höchste Suizid-Rate in Berliner Gefängnissen seit 1987 zu verzeichnen war, verfügte die umstrittene Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) kurzerhand, die Selbstmorde künftig geheimzuhalten. Trotzdem gelangen immer neue Meldungen über Freitode an die Öffentlichkeit. So sind in diesem Jahr bereits neun Fälle bekannt geworden, fast so viele wie im gesamten Vorjahr, davon allein drei in der JVA Tegel. Die größte Haftanstalt Deutschlands ist derzeit ohne Leiter.

Die ansteigende Selbstmordrate ist längst nicht das einzige Problem: Kürzlich beschwerten sich die Gefängniswärter in einem Brief an den Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses und an die Justizsenatorin über mangelnde Sicherheit. „Tagtäglich“ erfahre man von den Beschäftigten aller Vollzugseinrichtungen, „daß sie inzwischen regelrecht Angst haben“. Dabei verweist der Beschwerdeführer Thomas Goiny, Vorsitzender des Bundes der Justizvollzugsbediensteten, auf zwei gravierende Vorfälle aus jüngster Zeit, bei denen ein Pfleger und eine Praktikantin im Gefängniskrankenhaus gefährlichen Attacken von Häftlingen ausgesetzt gewesen seien. Goiny wirft der Senatorin vor, einen Maulkorb verhängt zu haben, um Informationen über die Übergriffe unter der Decke zu halten: „Den Beschäftigten wird mit disziplinarischen Verfahren gedroht, sollten Einzelheiten von außergewöhnlichen Vorfällen an die Öffentlichkeit kommen.“

Es ist nicht die einzige Beschwerde über das Berliner Justizwesen. So hat sich das Präsidium des Landgerichts, das für die Verteilung der Arbeit an die Strafkammern zuständig ist, mit einem Hilferuf an von der Aue gewandt. Mittlerweile sei eine „bedrohliche Situation“ eingetreten. Wegen der hohen Belastung mit Haftsachen, insbesondere durch kriminelle Täter mit Migrationshintergrund und vermehrte Straftaten, die aus der Nähe zu Osteuropa resultierten, seien die Gerichte überfordert. Neun Häftlinge wurden in diesem Jahr bereits wegen zu langer Untersuchungshaft aus den Gefängnissen entlassen, darunter ein mutmaßlicher Vergewaltiger.

Die Zivilgerichte sind dagegen vor allem mit Bauverfahren überlastet, da es in kaum einer anderen Stadt seit 1990 so viele Bauvorhaben gegeben hat. Zudem haben die Zivilgerichte die Auswirkungen der Bankenaffäre zu bewältigen. Trotzdem erkennt die Senatorin keinen Bedarf für eine personelle Aufstockung an den Gerichten, wie ihre Sprecherin bekräftigt.

Auch bei der Überbelegung der Haftanstalten ist keine Abhilfe in Sicht. Da von den 5200 Häftlingen in Berlin etwa ein Drittel Ausländer sind, mahnte Sebastian Kluckert, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, eine verstärkte Abschiebung an. Doch während 2005 nur drei Insassen abgeschoben wurden, folgten ihnen im vergangenen Jahr gar nur zwei, ein Pole und ein Luxemburger. Deshalb fordert Kluckert: „Unsere Gefängnisse sind überfüllt. Wo es möglich ist, muß deshalb eine Entlastung durch das Verbüßen der Haftstrafe im Heimatland geschaffen werden.“

Die theoretisch einfache Überstellung ausländischer Häftlinge in Gefängnisse ihrer Heimat scheint in der Realität allerdings fast unmöglich: So genießen beispielsweise Rumänen, Bulgaren und Polen wegen des EU-Beitritts ihrer Staaten einen Abschiebe-Schutz. In der Türkei wiederum gelten andere Regeln, Verbrecher können dort schon nach Verbüßung von 40 Prozent ihrer Haftzeit entlassen werden. Überdies gilt selbst bei ausländischen Straftätern das Wohnortprinzip. Wenn der Betreffende angibt, in seiner Heimat keine Verwandten mehr zu haben, während seine Familie in Berlin lebt, darf er aus Gründen der „Resozialisierung“ in Berlin bleiben.

Besonders heikel ist die Lage in der Jugendstrafanstalt (JSA) Plötzensee mit derzeit über 500 Straftätern. Zu den Insassen zählen Drogenhändler, Vergewaltiger, Totschläger und Mörder, so auch der Türke Ayhan Sürücü, der für den Mord an seiner Schwester Hatun verurteilt wurde.

Wie das ARD-Magazin „Kontraste“ am 30. August dokumentierte, floriert in Plötzensee des Nachts ein ausgedehnter Drogenhandel. Sobald es dunkel wird, setzt an der Gefängnismauer, die direkt an eine Laubenkolonie grenzt, reger Betrieb ein. Fast jede Nacht werfen junge Männer Rauschgiftpakete, Mobiltelefone und Anabolika über die Mauern der Anstalt. Hinter den Zellengittern warten die Häftlinge auf ihre Kuriere. Sie rufen, winken und telefonieren mit ihren Komplizen vor der Mauer, obschon sie gar keine Mobiltelefone besitzen dürfen. Die Zuträger laufen ungefragt auf den Dächern der Laubenbesitzer herum. Über ausgeklügelte Vorrichtungen wird die illegale Ware vor den Fenstern aufgefangen und mittels einer Schnur zwischen den Nachbarzellen transportiert.

Die Schrebergartenbesitzer verfolgen das Treiben schon seit Jahren, haben aber Angst, sich zu wehren. Einige von ihnen gaben an, bereits mit dem Tode bedroht worden zu sein. Wieviel jede Nacht geschmuggelt wird, läßt sich derweil anhand der Irrläufer erahnen, die morgens im Hof aufgefunden werden. Allein in einer Nacht, so der TV-Bericht, fanden die Vollzugsbeamten sechs Mobiltelefone, ein Haschisch-Päckchen sowie eine große Anzahl Anabolikatabletten. Statt jedoch, wie es vorgeschrieben ist, die Schmuggelware der Polizei zu melden, stopften die Gefängniswärter die Drogen und Tabletten in blaue Müllsäcke, die sie illegal entsorgten, heißt es in dem Bericht. So gerät der Justizvollzug selbst zu einem Fall für die Justiz: durch Strafvereitelung im Amt und illegale Arzneimittelentsorgung.


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