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08.09.07 / Heiß geliebt, aber auch verachtet / Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung über Karl Mays imaginäre Reisen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-07 vom 08. September 2007

Heiß geliebt, aber auch verachtet
Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung über Karl Mays imaginäre Reisen
von Silke Osman

Hugh, ich habe gesprochen“, dieses bekräftigende Ende einer indianischen Rede, war noch vor 50 Jahren ein geflügeltes Wort unter echten Karl-May-Fans. Und den zungenbrecherischen Namen des treuen Begleiters von Kara Ben Nemsi mußte man natürlich auch auswendig kennen, wollte man in diesen Fan-Club aufgenommen werden: Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah ...

Mit wahrer Begeisterung spielten die Kinder Anfang der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Cowboy und Indianer. Zum Weihnachtsfest und zum Geburtstag gab es nichts Schöneres, als einen neuen Band von Karl May auf dem Gabentisch zu finden. Meist waren es die preisgünstigeren Taschenbücher, die edleren, gebundenen Exemplare fanden einen Ehrenplatz im Bücherregal. „Durch die Wüste“, „Durchs wilde Kurdistan“, „Der blaurote Methusalem“, „Der Schut“ – allein die Titel verhießen Abenteuer pur. Und dann natürlich Winnetou und Old Shatterhand, sie eroberten die Herzen von Jungen und Mädchen im Sturm. Als dann die Karl-May-Filme den Charakteren auch ein greifbares Bild gaben, entwickelte sich die Liebe zu den Helden geradezu bis zur Besessenheit.

Die Jugend-Zeitschrift „Bravo“ brachte einen sogenannten Starschnitt: jede Woche einen Teil eines großformatigen Fotos von Winnetou, den man ausschneiden mußte, um ihn schließlich zu einem lebensgroßen Winnetou zusammenzufügen. Dieser zierte dann die Wand so manch eines Kinderzimmers und wirkte so echt, daß erwachsene Besucher zunächst zusammenzuckten und sich in einen Hinterhalt gelockt fühlten. Man sammelte Starpostkarten mit Motiven aus den Filmen. Es entbrannte eine Sammelleidenschaft, die selbst gute Freundschaften fast zerstören sollte, war man doch gekränkt, wenn die Freundin eine andere, bessere Postkarte hatte ergattern können als man selbst. Man wollte seinen Helden nah sein, haßte Ribanna, die Winnetou gefährlich nah kam, war Nscho-tschi, Winnetous Schwester, auch nicht sonderlich gut gesonnen, hatte doch Old Shatterhand ein Auge auf sie geworfen. Und Rollins, den  Mörder Winnetous, verabscheute man aus tiefstem Herzen. Was bedeutete es schon, daß die Figuren nur erfunden waren, man lebte und litt mit ihnen wie heute die jugendlichen Leser mit einem Harry Potter und seinen Freunden.

Es bedeutete auch nichts, als man sehr viel später erfuhr, daß Karl May den Wilden Westen und den Orient so nie erlebt hatte. Das Bild, das man von diesen Regionen der Welt hatte, war von seinen Romanen geprägt wie schon seit Generationen zuvor. Es interessierte auch nicht sonderlich der literarische Wert der Lektüre, Hauptsache, es ging spannend zu. Erst viel später machte man sich Gedanken, ob es immer mit rechten Dingen zugegangen war bei Winnetou und Co. Allzu schlicht kommt einem das Handlungsmuster vor, allzu eintönig die immer gleiche Konfrontation von Gut und Böse. Werner Bergenguen weiß da ein aprobates Mittel, Karl May auch in reiferer Jugend noch zu „verdauen“: „Karl May ist naiv zu genießen oder von einem höheren Punkte aus. Seine Gegner sind Leute, welche die Naivität verloren, jenen höheren Punkt aber nicht einzunehmen gewußt haben.“ Rüdiger Schwab, Kulturwissenschaftler aus Münster, hat sich auf diesen höheren Punkt begeben und für den Deutschen Taschenbuch Verlag eine Sammlung mit Lebensweisheiten Karl Mays herausgegeben, die der „wunderliche Autor“ (Schwab) seinen Figuren in den Mund gelegt hat. Eine Sammlung, die in die Gedankenwelt des Schriftstellers einführt, dessen Image sich zwischen großer Beliebtheit und ebenso großer Abwehr bewegte („Vorsicht ist in keiner Lage überflüssig“, dtv, 192 Seiten. brosch., 7,50 Euro).

Das Deutsche Historische Museum zeigt derzeit eine Ausstellung unter dem Titel „Karl May – Imaginäre Reisen“. Anhand einer Vielzahl von hochwertigen Objekten – von Gegenständen aus dem Privatbesitz Mays über Gemälde bis hin zu ethnographischen Artefakten – präsentiert die Ausstellung Werk und Biographie Mays vor dem Hintergrund seiner Zeit. Die Ausstellung veranschaulicht Mays Aufstieg vom Kolportageschreiber zum Volksschriftsteller.

Seine imaginären Reisen werden in einen Zusammenhang gestellt mit den Traditionen seines Orient- und Indianerbildes sowie der Faszination, die er damit vor dem kulturgeschichtlichen Hintergrund des deutschen Kaiserreiches auf seine Leserschaft ausübte. Abschließend gibt die Ausstellung einen Überblick über die wechselhafte Geschichte seiner Rezeption bis heute.

Vom 16. bis 18. November wird am Deutschen Historischen Museum mit Unterstützung der Karl-May-Gesellschaft e. V. ein Symposium zu Werk, Rezeption und Aktualität des Autors stattfinden, Anfragen an: hschmied@uni-kob-lenz.de.

Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 5 Euro, Begleitband 36 Euro.

 

Karl May wurde am 25. Februar 1842 als Sohn eines armen Webers im sächsichen Ernstthal geboren. Er wurde Volksschullehrer, geriet jedoch bald auf „die schiefe Bahn“ und landete im Gefängnis. Insgesamt mußte er Freiheitsstrafen von acht Jahren verbüßen – meist wegen kleiner Diebstähle und wegen Betrugs. Ab 1874 lebte er als freier Schriftsteller in Dresden, schrieb Novellen und Kolportageromane. Seine Reiseerzählungen erschienen 1892 erstmals in Buchform. Heute sind seine Werke in über 40 Sprachen übersetzt und umfassen eine Weltauflage von mehr als 200 Millionen. Karl May starb am 30. März 1912 in Radebeul bei Dresden in seiner „Villa Shatterhand“, in der sich heute ein Museum befindet.


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