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15.09.07 / Arbeit nur mit »Hartz« / Berliner Unternehmer nutzen »Aufstocker«, um auf Staatskosten Lohn zu sparen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-07 vom 15. September 2007

Arbeit nur mit »Hartz«
Berliner Unternehmer nutzen »Aufstocker«, um auf Staatskosten Lohn zu sparen
von Patrick O’Brian

Sandy W. ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und arbeitet in einem Getränkemarkt in Berlin-Spandau. Sie verdient vier Euro fünfzig in der Stunde und kommt bei einer 40-Stunden-Woche auf weniger als 700 Euro netto im Monat.

Also bekommt sie Hartz IV. Sandy W. ist nämlich trotz Erwerbstätigkeit Arbeitslosengeld-II-Empfängerin. Nach dem Gesetz stünden ihr allein seit dem 1. Juli zwar nur 347 Euro zu. Weil Sandy W. aber noch zwei Kinder unter 13 hat, bekommt sie 888 Euro.

Ihr Nettogehalt wird von dieser Regelleistung abgezogen, so daß die 29jährige nun fast 200 Euro vom Amt zusätzlich zu ihren Hungergehalt kassiert. Und außerdem zahlt der Staat ihre Miete. Sie wohnt in einer 70-Quadratmeterwohnung in einer Mietskaserne für 380 Euro monatlich. „Demnächst ziehe ich vielleicht um“, schwärmt sie neuerdings. Seit sie gelesen hat, daß das Sozialgericht Dresden gerade festgestellt habe, daß jedes Haushaltsmitglied (also beide Kinder) Anspruch auf ein eigenes Zimmer hätten, erwägt sie den Wechsel in eine zehn Quadratmeter größere Drei-Zimmer-Wohnung.

Sandy W. ist nur einer der mittlerweile zahllosen Fälle, bei denen ein Geringverdiener sein Einkommen aufgestockt bekommt. Anders herum läuft das bei Selbständigen wie Maximilian C. aus Friedrichshain. 2006 wurde der Journalist bei einem Magazin entlassen und arbeitet jetzt als „freier Journalist“ – ein hartes Brot für jemanden, der neu auf diesem Markt ist. Das Arbeitsamt fördert seinen Weg in die Selbständigkeit, indem es ihm rund knapp 1000 Euro monatlich bezahlt. Dieser individuelle Betrag errechnet sich aus dem Arbeitslosengeld I, das ihm zusteht, und einem Zuschuß von 300 Euro.

So kommt er mit den wenigen Honoraren aus veröffentlichten Artikeln über die Runden. Nach einem Jahr muß er aber auf eigenen Beinen stehen, dann läuft die Förderung aus. Allein das für C. zuständige Arbeitsamt Berlin Mitte betreute im August 5686 Selbständige, die auf diese Weise gefördert wurden.

Die Arbeitslosigkeit sinkt. Aber werden diese „guten Zahlen“ nicht dadurch stark eingetrübt, daß es immer mehr Personen gibt, die von ihrem Einkommen nicht richtig leben können? 78000 Berliner und 50000 Brandenburger sind trotz Erwerbstätigkeit auf Zuschüsse nach dem Hartz IV-Gesetz angewiesen. Diese Zahl hat die Bundesagentur für Arbeit im August veröffentlicht. Im nationalen Rahmen betrifft dies derzeit knapp eine Million Menschen. In Berlin und Brandenburg ist der Anteil der sogenannten Aufstocker demnach besonders hoch.

Diese Entwicklung ist Wasser auf die Mühlen der Befürworter von Mindestlöhnen. Bekäme jeder Arbeitnehmer automatisch 7,50 Euro, wie vom DGB gefordert, oder acht Euro, wie von der Linkspartei vorgeschlagen, dann müßte der Staat nichts dazubezahlen, argumentieren auch andere Mindestlohn-Befürworter. Dann würden aber viele Arbeitsplätze ersatzlos wegfallen, sagen die Gegner.

Die dauerhafte Bezuschussung von Hungerlöhnen führt jedenfalls dazu, daß der Staat die Lohnkosten der Arbeitgeber übernimmt. Kann das richtig sein? Andreas Splanemann, Pressesprecher des Berliner Landesverbandes der Gewerkschaft Verdi, bestätigt die Vermutung, daß es eine indirekte Subventionierung von Betrieben gibt, deren Angestellte wie Vollzeitkräfte arbeiteten, aber nur wie Teilzeitkräfte bezahlt würden.

Diese Förderung des einzelnen Arbeitnehmers sei stark anfällig für das, was die Gewerkschaften „unzulässige Quersubventionierung“ von Betrieben nennen, schärfer ausgedrückt: für Abzocke. Ein konkretes Beispiel: Der Kneipier Ö. stellt die Arbeitslose Melanie M. als Tresenkraft ein, allerdings zu folgenden Bedingungen: Sie bezieht weiter Arbeitslosengeld II und verdient nur ein paar Euro dazu. Das ist völlig legal. Arbeiten muß sie aber fast so, als wäre sie eine Vollzeitkraft. Und wenn sie es nicht tut? Dann verdonnerte sie das Amt zu einem anderen Job. Arbeiten muß sie so oder so. Also läßt sie sich auf den Handel ein.

Kritiker von links wie Professor Rudolf Hickel (Uni Bremen) sehen diese Regelungen sehr kritisch: „Das hat zu einer Verwahrlosung des Arbeitsmarkts geführt.“ Hartz IV habe „diese Ängste“ unglaublich ausgeweitet. Einfache, kleine Beschäftigte ließen mitunter alles mit sich machen.

„Da gibt es große Probleme“, meint auch Gewerkschafter Splanemann. Vor allem in Kleinbetrieben habe die Gewerkschaft nichts zu sagen. „Da wird es schwierig, etwas zu unternehmen.“ Das gelte neben dem Gaststätten- auch für das Hotelgewerbe, wo mitunter äußerst niedrige Löhne gezahlt würden. Konkrete Zahlen liegen ihm aber nicht vor.

Die kennt dafür Gunther Kenk. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuß, Gaststätten (NGG) in Mecklenburg berichtet über eine Nahrungsmittelbetrieb, der viel zu wenig zahlt, wie Kenk meint: Bei dem Fischverarbeitungs-Unternehmen erhielten Arbeiter 5,41 pro Stunde. Der Betrieb ist von Hamburg nach Mecklenburg umgezogen – wegen der niedrigeren Lohnkosten. „Es ist ein offenes Geheimnis, daß einige der Arbeiterinnen Hartz IV beantragen müssen, um über die Runden zu kommen“, berichtete auch das ARD-Magazin „Panorama“ kürzlich. Motto: Die Firma spart am Lohn, der Steuerzahler muß dafür einspringen.

Foto: „Da gibt es große Probleme“: Bedienung in einem Straßencafé Unter den Linden in Berlin


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