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22.09.07 / RAF: Die Sympathisanten sind noch unter uns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

»Moment mal!«
RAF: Die Sympathisanten sind noch unter uns
von Klaus Rainer Röhl

Letzte Woche konnten wir ihnen beim besten Willen nicht entgehen, den Gespenstern, die einmal fast das ganze Land beherrscht hatten, die Schlagzeilen und die Sicherheitsbehörden. Sonntag und Montag zur besten Sendezeit in der ARD – ein ganz großer Erfolg für „Spiegel“-Chef Stefan Aust, der am Montag noch mit einer Titelgeschichte im „Spiegel“ nachsetzte: Noch einmal wurden die Zombies zu gespenstischem Leben erweckt, die Terroristen der sogenannten „Roten Armee Fraktion“, junge Männer und Frauen aus dem deutschen Bildungsbürgertum, die Menschen kaltblütig und heimtückisch aus dem Hinterhalt ermordet hatten, sieben Jahre lang. Es konnte nicht gutgehen mit ihnen, einem paar Dutzend verkrachter Studenten und Berufsloser, die das ganze Volk und seine Regierung in Angst und Schrecken versetzten. Zunächst auch in Ratlosigkeit, die die liberalen Medien noch schürten, allen voran der „Spiegel“. Doch das Volk selbst und die demokratisch verfaßten Behörden unseres Landes wurden am Ende ihrer Herr. In dieser Reihenfolge übrigens – es war nicht die Rasterfahndung und die Computertechnik oder andere Wundermittel der Kriminalistik, es war das deutsche Volk selbst, die kleinen Leute, die sie zur Strecke brachten – fast alle Terroristen wurden auf Grund von Hinweisen der Bevölkerung gefaßt, darauf können wir stolz sein, nicht auf Herold und das BKA. Selbst Schleyers Versteck wurde rechtzeitig von einem einfachen Bürger angezeigt, und der Arbeitgeberpräsident hätte befreit werden können, aber ein schlecht motivierter Polizist verschlampte den Hinweis. 

Es war ja nie der großkotzig angekündigte „Krieg gegen die USA“ auf Seiten des kämpfenden vietnamesischen Volkes. Es war der Kampf eines inhaftierten Brandstifters um seine Freilassung aus dem Gefängnis. Burn warehouse, burn! hatten die Kommune-Clowns von Berlin 1967 auf Flugblättern gereimt. Zwei Jahre später war es soweit. Baader und Ensslin zündeten ein Berliner Warenhaus an. Warenhausbrandstiftung für Vietnam. Eine Brandstiftung mit Grinsen über die möglichen Opfer. „Wenn das Hausmeister-Ehepaar anwesend gewesen wäre, hätten wir das Warenhaus auch angezündet!“ sagte Gudrun Ensslin in einem Interview mit Ulrike Meinhof, damals noch Journalistin. Das Interview wurde nie veröffentlicht. Die Justiz war entsprechend milde. Neun Monate Gefängnis waren der Preis für die Warenhausbrandstiftung, und weil Baader keine Lust hatte, diese wenigen Monate abzusitzen, mußte er von zwei jungen Frauen und einem Mitläufer befreit werden, wobei sofort geschossen wurde, ein Justizbeamter einen Lebersteckschuß erhielt und fast starb. Das war die „Geburtsstunde der RAF“ und ihr Ende war auch nicht viel ruhmreicher. Nach einem Dutzend Bankeinbrüchen und Morden, an allen, die sich ihnen entgegenstellten, und einem Anschlag auf einen Parkplatz beim Europa-Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg (drei Tote) ging es am Ende, nach sieben Jahren, wieder nur darum, den Kern der Bande aus dem Gefängnis freizupressen. Es mißlang, aber sie hatten über Jahre in die Öffentlichkeit gewirkt und Anhänger und klammheimliche Sympathisanten gewonnen. Selbst im Tode warben sie noch neue Anhänger, indem sie die Legende begründeten, sie seien von fremder Hand, womöglich von Staatsbeamten, hinterrücks umgebracht worden wie einst „Karl und Rosa“ von den Freikorps, 1919! Baader hatte seine durch einen seiner (20!) Anwälte in die Zelle geschmuggelte Pistole im eigenen Nacken angesetzt und mit dem Daumen abgedrückt, damit es aussehen sollte wie ein aufgesetzter Genickschuß. Die anderen versuchten ähnliches. Es ist das einmalige Verdienst von „Spiegel“-Chef Stefan Aust, die von vielen seiner Kollegen bewußt im unklaren gelassene Mordtheorie aufgehellt und endgültig beendet zu haben. Noch am Tag vor dem Film formulierte ein Rundfunksender, die Terroristen seien „tot aufgefunden worden“. Eine verklausulierte Billigung der „Mordtheorie“. Vielleicht war der große „Spiegel“-Report auch eine Wiedergutmachung des Nachrichtenmagazins für so viele Jahre Verharmlosung und kumpelhafte Privatisierung des Problems („Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“).

Das zweite große Verdienst des ARD-Films und der anschließenden „Spiegel“-Serie besteht darin, den 1977 schon ein Jahr zurückliegenden Selbstmord Ulrike Meinhofs endgültig dokumentiert zu haben und ihr damit die Achtung vor der letzten Entscheidung eines Menschen zurückgegeben zu haben. Sie ist, wie der Autor dieses Artikels bereits 1993 veröffentlichte, durch einen unvorstellbaren Gruppenterror von Baader und Ensslin regelrecht in den Tod getrieben worden. Regelrecht: nämlich exakt nach den Regeln eines der schlimmsten stalinistischen Stücke von Bertolt Brecht: „Furchtbar ist es zu töten. / Aber nicht andere nur, auch uns töten wir, / wenn es nottut.“ Die drei illegalen Genossen fragen den zu einem Risiko gewordenen vierten, ob er einverstanden sei mit seiner Tötung. Er antwortet ja, er hätte falsch gehandelt und es sei jetzt besser, er wäre nicht da. Dann fragen sie ihn, ob er es allein tun wolle. Er sagt, sie mögen ihm dabei helfen: „Er sagte noch: Im Interesse des Kommunismus. / Einverstanden mit dem Vormarsch der proletarischen Massen / Aller Länder.“ Ein Exemplar des Brechtstücks „Die Maßnahme“, in dem diese Stelle angestrichen war, fand sich in der Zelle von Gudrun Ensslin. Noch Fragen?

Man sollte bei diesen Szenen aus Deutschland nicht so vergeßlich sein und sich auch daran erinnern, wer am Abend nach der angeblichen Ermordung Ulrike Meinhofs die Massen der Frankfurter Studenten (mit-)aufstachelte, die sich am nächsten Tag mit Ladungen voll hochbrisanten Brandsätzen bewaffnet, verniedlichend „Molotow-Cocktails“ genannt, auf die Polizei stürzten: Es war der spätere Außenminister Josef („Joschka“) Fischer. Die Gespensterparade ist vorbei, die Legenden wohl nachhaltig zerstört. Aber das Gefühl, damals in einer großen Zeit gelebt zu haben und viel Gutes für Deutschland getan zu haben, ist bei den meisten Beteiligten geblieben, ob sie damals hochmotivierter Wahlverteidiger von Gudrun Ensslin waren wie unser Ex-Innenminister Otto Schily, der in der Hauptverhandlung gegen die RAF-Rädelsführer vom Mai 1976 die Attentate der RAF-Mitglieder auf US-Einrichtungen in Deutschland mit einem Bombenanschlag auf das Reichssicherheitshauptamt der SS in eine Reihe stellte und damit das Widerstandsrecht Stauffenbergs für seine Mandantin in Anspruch nahm. Vergessen? Vergessen, was der Anwalt von Baader, der heute immer noch in der Politik herumgeisternde Hans-Christian Stroebele, für seine Mandanten gesprochen und getan hat? Vergessen das unmißverständliche Wort Rudi Dutschkes am Grab von Holger Meins, „Holger, der Kampf geht weiter!“, dessen Hungertod, wie wir nun im „Spiegel“ erfahren, von der Ensslin regelrecht befohlen worden war: „Du mußt jetzt noch mehr mit dem Gewicht runter gehen!“ Er wog noch 39 Kilo.

Wichtiger ist die Frage, was aus den vielen Tausenden geworden ist und was aus ihnen werden soll, die bis heute überzeugt blieben: Die Gefangenen der RAF sind in Stammheim ermordet worden! Was ist mit ihrem Staatsverständnis, die 30 Jahre lang in der Überzeugung gelebt haben, in der Bundesrepublik Deutschland werden Gefangene gefoltert und ermordet? Sie haben unsere Kinder und Enkelkinder erzogen, haben über uns zu Gericht gesessen, über die Deutschen Gedichte, Satiren und Theaterstücke verfaßt und Magister- und Doktorarbeiten geschrieben über diesen Staat und seine Bewohner. Glauben auch sie, obwohl längst in Beruf und vielfach in Amt und Würden, teilweise sogar schon im Ruhestand sind: „Der Kampf geht weiter“? Das ist zu fürchten, auch nach dem glänzenden Befreiungsschlag des investigativen Journalismus gegen den dumpfen Mordverdacht. Die klammheimliche Bewunderung für die Helden wird bleiben, und die offene Schadenfreude über den angerichteten Schaden am demokratisch verfaßten Staat und die Untoten werden weiter herumspuken in den Seelen neuer Generationen von übersättigten Bürgersöhnchen und Bürgertöchtern, und in ihren Wohnstuben werden Poster der toten Häftlinge aus dem letzten „Spiegel“ aufgehängt werden, als Ikonen einer neuen und tiefen Verachtung der Zivilisation und einer Verehrung für die Gewalt, deren Helden und Idole diese Jugend bald mit den Darstellern aus Filmen wie „Bonny and Clyde“ und „Viva Maria“ und den Filmen, die noch kommen werden, verwechseln werden. So wie man Tom Cruise mit Stauffenberg verwechseln wird. Armes, vergeßliches, selbstvergessenes Deutschland. Währenddessen aber rüstet sich in deutschen Städten und Moscheen und den Ausbildungslagern Pakistans eine neue, furchtbare Spezies von Terroristen zum Endkampf, eine neue Gattung menschenähnlicher Wesen, die nicht einmal mehr diskutieren würde, ob Schleyer oder ein kleines Kind das bessere Erpressungsopfer wäre: die radikalislamischen Krieger deutscher Abstammung. Antiamerikanismus, Antisemitismus und die alte Eroberer-Religion zu einem wahrhaft mörderischen Sprengsatz vereint. Dagegen hilft kein Kontaktsperregesetz und keine Isolierhaft. Allah dringt in jede Zelle. Allah akbar. Gott schütze unser Land!

 

Klaus Rainer Röhl war bis 1967 verheiratet mit Ulrike Meinhof. 1968 wurde die Ehe geschieden. Im Mai 1970 gründete sie die sogenannte Rote Armee Fraktion, die Röhl von der ersten Stunde an erbittert bekämpfte.

Foto: Heute nur noch im Museum zu sehen: Fahndungsfotos der RAF-Attentäter


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